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Ein Märtyrer in Mauthausen

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G.m.b.H., Augsburg 1959. 156 Seiten

Haben wir schon die Hölle gesehen? Nein? — Vielleicht haben wir sie übersehen bisher, in unserem Leben, im Leben unserer (Mitmenschen.

„Hinein geht's durchs Tor, hinaus durch den Schornstein.“ Diese Inschrift, Dantes berühmte Inschrift am Höllentor übertrumpfend, steht an einem Schild in Güsen, der dazu einen Totenkopf über zwei gekreuzten Knochen trägt. Trug: damals, am 26. Oktober 1944, als Marcel Callo mit den Kameraden seines Elends zum Kommando Güsen, einer Nebenstelle von Mauthausen, sieben Kilometer südlich, marschierte. Friedsame oberösterreichische Landschaft. Adalbert Stifters Lerchen singen über deinen sanften grünen Hügeln: Licht, Leuchten liegt jetzt, im März 1960, über der stillen Ebene, die ruhig das Wachsen der jungen Saat trägt.

St. Georg, St. Georg: die Ostkirche bildet den (hohen Engel ab, als Kämpfer des Himmelslichtes gegen den höllischen Drachen, der aus der Tiefe Feuer speit. St. Georg: das war eine unterirdische Fabrik, in der drei Schichten von 2000 Verurteilten aus aller Herren Ländern sich in vierundzwanzig Stunden ablösten bei der Arbeit. Die Kapos, darunter auch österreichische Zivilisten, schlagen nach dem Bericht eines Überlebenden „zu mit allem, was sie gerade greifen konnten: Schaufeln, Latten, Knüppel oder Steinen“.

Marcel arbeitet im Stollen 4 — diese Stollen sind eng wie Kaninchenställe — an der Montage von Messerschmittflugzeugen.

„Wie ist Aas alles deck so unmenschlich. Es gibt

auf Erden keine Tiere, die so mißhandelt werden

wie wir.“

Leise Worte Marcel Callos zu einem Mitgefangenen. Tritte, Schläge, auf den Kopf, in alle Teile des Körpers. Ein Leben inmitten von Leichen.

„Überall lagen sie herum, haufenweise, karrenvoll, dann wieder vereinzelt, solche, die liegenblieben, wo sie zusammengebrochen waren; die einen waren langsam verloschen wie eine abgebraunte Kerze, die anderen entstellt durch die satanische Brutalität ihrer Mörder. Zu bestimmten Stunden warf man sie auf einen Haufen vor der Tür. Am Abend brachte man sie wieder herein zum Appell.“

Ende auf dem „Scheißerbrett“.

„Das war ein Klumpen Menschenfleisch, zusammengesetzt aus Leichen und “Sterbenden, aus dem die Jauche der Ruhrkranken herausflof!. Man räumte es aus, wenn die Hundert erreicht waren. Dann wurden sie im Hof auf einen Haufen gewor-

den in Erwartung der Lastwagen, die sie zum Verbrennungsofen brachten. Wurde der Gestank allzu stark, dann besprengten die Barackenwärter den Haufen mit einem Strahl glühender Asche oder mit einigen Eimern eiskalten Wassers. Die Sterbenden brüllten dabei vor Schmerz.“ Sanft, wie eine Lampe, die kein Öl mehr ha;, erlosch in Mauthausen am 19. März 1945 Marcel Callo. Genau auf den Tag zwei Jahre nach seiner Abreise nach Deutschland, als Fremdarbeiter. Keine Beerdigung.

„Mit 300.000 Leichen aus mehr als 20 verschiedenen Nationen verzehrte sich die seine in einem wahren Sühnopfer im Verbrennungsofen von Mauthausen, nur wenige Wochen vor der Ankunft der amerikanischen Truppen.“ Marcel Callo war ein Kind der Bretagne. Ein bretonischer Dickschädel. Kind einer armen Familie, das Zweitälteste von neun Kindern. Der am 6. Dezember 1921 in Rennes geborene Marcel wird Arbeiter, Setzer und Führer in der katholischen Jungarbeiterbewegung, der J. 0. C. Ein froher Junge, der mit seinen Kameraden Sport treibt. Theater spielt, für sie sorgt, und vor allem unablässig und hart an sich selbst arbeitet: an seiner Heiligung. Christus ist für Marcel „ein Freund jedes Augenblicks“, der große Freund, der große Bruder. Marcel ist für seine Kameraden Bruder, Freund, Helfer. Freiwillig meldet er sich zur Arbeit in Deutschland, um die vielen jungen Franzosen seelisch nicht allein zu lassen. Wegen seiner katholischen Aktivität wird er am 19. April 1944 in Thüringen verhaftet, ins Gefängnis von Gotha eingeliefert: das ist der Beginn des Weges nach Mauthausen.

Nach dem Kriege beginnt in Frankreich, dann in der deutschen katholischen Männerbewegung eine Aktion, die zunächst seine Seligsprechung anstrebt: die kirchliche Anerkennung der Heiligkeit des Lebensweges des Jungarbeiters Marcel Callo, der für seinen Glauben gestorben ist. In Mauthausen. An seinem Todestag, am 19. März 1960, begibt sich der österreichische Zweig der internationalen Pax-Christi-Bewegung, ihm zu Ehren, nach Mauthausen. Marcel Callo zu Ehren, uns zum Nutzen, .zur Erleuchtung: denn wir gehen verwirrt, und wie Menschen, die nicht wissen, was sie tun, durch diese unsere. Tage. Sühne, Bitte, Fürbitte: Hilfe, Solidarität. Wo ist sie zu ge-f„winnen, wenn nicht im Angesicht eines solchen Todes? Fastenzeit also, in Österreich, rund um Mauthausen ...

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