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Ein Meisterwerk uber Goya

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GOYA. Von Antonina Vallentin. Deutsch von Hermann Schreiber. Paul-Ncff-Verlag. 356 Seiten, 70 einfarbige und acht farbige Tafeln. Preis 115 S

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GOYA. Von Antonina Vallentin. Deutsch von Hermann Schreiber. Paul-Ncff-Verlag. 356 Seiten, 70 einfarbige und acht farbige Tafeln. Preis 115 S

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Antonina Vallentin hat mit der französischen Originalfassung ihres Werkes über Francisco Goya einen großen verdienten Erfolg errungen; nun liegt ihr Buch in einer vorzüglichen deutschen Uebcr-tragung in vornehmer Ausstattung vor; es dürfte dank seinem inneren Wert über sein glanzvolles Debüt hinaus die Ausnahmestellung einer Leistung von zeitlosem Rang behaupten; denn die Autorin hat mit reifem Können und feinstem Takt nahezu alles vermieden, was den Gehalt eines im Kinozeitaltcr entstandenen Werks über einen großen Künstler der Vergangenheit zu mindern oder zu vernichten pflegt: Sie hat aus Goyas Leben und Schaffen, die mit ihren Peripetien und Abgründigkeiten besonders zu einer sensationsfrohen Darstellung verleiten könnten, nicht einen effektvollen „Künstlerroman“ von trügerischer Aktualität gemacht, eines jener armseligen Kreuzungsprodukte aus Journalistik und Wissenschaft. Ihr Buch stellt vielmehr Goya mit Beherrschung der politischen und Sittengeschichte mit tiefer psychologischer Einfühlung in organischem Zusammenhang mit seiner Umwelt — dem sterbenden Rokoko Spaniens, den napoleonischen Kampfeszeiten und den gewitterschwülen Jahren der Restauration — als ein künstlerisch begnadetes, aber menschlich schwaches, von unbändigem Lebensdrang erfülltes und doch in den nächtigen Schluchten des Lebens sich verlierendes armes Wesen dar. Unvergeßlich einprägsam, aber nie verwirrend, wird der Reichtum historischer Entwicklungen, geistigen Strebens und bedeutender Persönlichkeiten rings um ihn geschildert; von dieser Seite fällt Licht auf das Schaffen dieses Maiers und erhellt es. Ebenso anschaulich zeigt Vallentin auch, wie aus der Vereinsamung des ertaubenden Künstlets die immer üppiger wuchernde, ihn und uns bedrängende Fülle seiner gespenstigen Gesichte aufwächst, die er unter dem Diktat seiner rastlosen Phantasie, um sich von ihnen im Goethe-schen Sinne zu befreien, in künstlerische Form bringt. Die beiden Pole seines Schaffens, kindliche Weitfreude und das Versinken in Dämonie, werden mit einer Eindringlichkeit erhellt, die nur jenen gegeben ist, die wissen, daß die Deutung einer schöpferischen Persönlichkeit wesentlich eine künstlerische, nicht aber eine rein wissenschaftliche Aufgabe ist. Wollte man gerade Goyas Werke als bloße formale Tatbestände auffassen und auf den Seziertisch der Formanalyse schnallen, so bliebe von dem unheimlich bannenden Zauber gerade seiner persönlichsten Aussagen nichts oder — nur Helenas Gewand übrig. Doch in Vallentins klarer und nie seichter Darstellung gewinnt des Malers Werk trotz aller seiner Hinter-giündigkeit, mit seinen gewollten Doppeldeutigkeiten volle geistige Transparenz. Die Autorin nähert sich allerdings bisweilen bedenklich der Grenze gewaltsam „geistreicher“ Interpretation, so bei der Ausdeutung der beiden Majabildnisse.

Schwerer fällt ins Gewicht, daß im vorliegenden Buche Goyas Schaffen als wesentlich von seinen physischen Regungen und Wandlungen bestimmt geschildert wird. Was wir über Goyas Persönlichkeit wissen, führt kaum zur Annahme Vallentins, daß die Bindung des großen Meisters an die schöne Herzogin von Alba eine so enge gewesen wäre, daß ihr früher jäher Tod ihn aus seiner Lebensbahn geworfen hätte. — Es ist ferner ein die Grundauffassung von Goyas Schöpfertum tangierender Irrtum, wenn die Verfasserin jenes Nervenfieber, welches ihn während der Jahre 1793/94 von aller Arbeit fernhielt und seinem geistigen Auge die Schau in die Tiefen des Daseins öffnete, als venerische Erkrankung deutet; ein solches Siechtum hätte bei der Machtlosigkeit der damaligen Medizin zur Geistesnacht der Paralyse und einem vorzeitigen Tode führen müssen, während Goya genas und es in fast voller Schaffenskraft auf 82 Jahre brachte.

Es ist eine gewaltsam materialistische Deutung, wenn Vallentin annimmt, daß Goyas nachtdunkle gespenstige Visionen nur gleichsam Ausgeburten seiner Krankheit waren. Wir müssen, wir können wohl tiefer blicken: Goyas zeitweises Niederbrechen und die damit anhebende vollkommene Wandlung seiner Weltschau ist die unmittelbare Folge der Zerstörung der parfümduftenden Paradiese des Ancien regime, in denen der Künstler gelebt hatte. Die Große Revolution hat seine Seele heimatlos gemacht. Zwischen den Trümmern der alten Welt sah er mit Grauen in das noch halb gestaltlose Chaos einer neuen, in der er fcrtleben mußte. Daher das eruptive Emporsteigen seiner dämonischen Gestaltenfülle gerade in dieser Schicksalsstunde Europas. Der Beweis für die Richtigkeit dieser Auffassung liegt rn der leider in diesem Buche nicht berührten Tatsache, daß Goya durchaus nicht der einzige Künstler war, der aus dem ungeheuren geistigen Umbruch der Großen Revolution nächtige Visionen aufsteigen sah: An der Sonnenseite Europas, in Italien, hatten die Maler Alessandro Magnasco und Giuseppe Bazzani diese Geisteswende in ihrer Kunst um Jahrzehnte vorgeformt. Schon vor dem Sturm auf die Bastille wölkt sich der Hintergrund der galanten Bilder Fragonards in geisterhaftem Dunkel. Ein Altersgenosse Goyas, der Züricher Johann Heinrich FüßH (1741 bis 1825) hat schon vor Goya in seiner kraftgenialen Graphik und in malerischen Skizzen das Unheimliche gestaltet. Wenn im wohlbehüteten theresianischen Oesterreich der Bildhauer F. X. Messerschmidt (1736 bis 1783) das Pathologische in seinen Charakterköpfen plastisch gestaltete, in München der aus Graz stammende Maler J. G. Edlinger (1741 bis 1819) — gleichsam auf dem Wege zu Picasso hin — das Seelenleben der von ihm Porträtierten schonungslos entblößte, ja gleichsam vivisezierte, so stehen wir bei allen diesen Künstlern der Generation Goethes und ihren Werken vor einem Europa umfassenden geistesgeschichtlichen Phänomen, das die Große Revolution von 1789 als eine unabwendbare, von den Künstlern vielfach schon vorgefühlte und vorgeformte Notwendigkeit erscheinen läßt. Goya verliert nichts von seiner Größe, wenn wir erkennen, daß er nur einer von vielen war, die diese Wende wach erlebten und künstlerisch zu deuten wagten. Wir haben keinen Grund, kein Recht, sein dämonisch überschattetes Spätwerk als Produkt der Krankheit eines Einzel-nienschen anzusehen, wie dies Vallentin tut. Es ist vielmehr der künstlerische Ausdruck einer Weltenwende.

Aus dem faulig-fahlen Schimmer des spanischen Hofes und der ihn umgebenden Adelsgesellschaft, aus Schilderungen des Landlebens und der Kriegsgreuel, von Spuk und Traum glänzt dort, wo Goya — in vielen seiner besten Bildnisse und in seiner bekennerhaften Graphik — mit vollem Einsatz seines Könnens am Werke war, tiefe seelische Offenbarung, alle Tragik des Daseins, der komplexe Geist Spaniens auf.

Nicht allein um seines packenden Themas willen, sondern mehr noch dank seiner reifen Darstellungskraft und der weiten kulturellen Schau, die es eröffnet, dürfen wir Vallentins Goya-Buch — mit den oben aufgezeigten Einschränkungen — doch herzlich begrüßen.

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