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EIN NEUES LIED

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Vor mir liegt ein kleines Heft in ziegelrotem Umsehlag und darinnen befinden sich Liedtexte und Noten. Es ist das Liederbuch der jungen Menschen, die regelmäßig zu der weit über die Grenzen unseres Vaterlandes hinaus bekannten und leider nur allzu selten stattfindenden Pötzleinsdorfer Jugendmesse kommen.

Vor mir auf dem Schreibtisch liegen aber auch die „Wiener Kirchenzeitung“ vom 3. Oktober 1965, es liegen da die Nummern 3 und 4 der „Singenden Kirche“ aus dem gleichen Jahr,

Die Jazzmesse und, im weiteren Sinn, Jazzelemente in der Kirchenmusik waren und sind Gegenstand lebhafter Diskussionen. Wir bringen heute einen temperamentvollen Beitrag zur Verteidigung der Jazzmesse, der vielleicht ebenso temperamentvolle Gegenstimmen auslösen wird. — Wer sich eingehend mit dem ganzen Fragenkreis beschäftigen will, sei auf das gründliche und gut dokumentierte Buch von Lothar Zenetti, des im deutschen Sprachraum bekannten „Jazzkaplans“ und ersten Fachmanns für Spirituals und Goespel-song, hingewiesen. Das mehr als 300 Seiten umfassende, mit schönen Bildern ausgestattete Werk, von denen wir auf dieser Seite zwei reproduzieren, ist im Verlag J. Pfeiffer in München erschienen und kostet etwa 100 Schilling.

Die Redaktion der „Furche“ die Nummer 14 des „österreichischen Klerusblattes“ ex 1965 und das Heft 9 der „christlich pädagogischen blätter“ aus 1966. Nachdem ich alle die in diesen Zeitungen und Zeitschriften angestrichenen Stellen gelesen hatte, holte ich mir noch die Nummer 21 des „österreichischen Klerusblattes“ ex 1965, denn ich bin ein. gelernter Jurist und halte den Rechtsgrundsatz des „ets altera pars audiatur“ sehr hoch.

Und doch hätte ich mir eigentlich diese ganze Literatur ersparen können, denn weder Anklage noch Verteidigung nahmen auch nur einen Deut von dem großen Erlebnis weg, das ich am Abend des Maria-Empfängnis-Tages in Pötzleinsdorf hatte. Weil ich aber von den Angriffen gehört hatte, habe ich mich entschlossen, für eine Sache, die es nach meinem Ermessen wert ist, eine Lanze zu brechen.

*

Der Jugenddekanatsseelsorger Kaplan Koller schickte im Heft 21 des „österreichischen Klerusblattes“ seiner großangelegten Verteidigungsschrift seine Visitkarte voraus. Ich will das gleiche tun. Ich bin 54 Jahre alt und seit meiner frühesten Jugend in den verschiedensten Jugendgruppen tätig gewesen. Ich habe immer versucht, mit dem Herzen jung zu bleiben und die Jugend zu verstehen. Das war nicht inwner leicht, denn ich lehne die Überwucherung unserer gesamten abendländischen Kultur durch Amerikanismen ab.

Wieso ich dann gutheiße, daß man nun auch die Kirchenmusik von diesen Dingen überwuchern lassen soll? Da muß ich klar und deutlieh antworten: Ich hieße das keineswegs gut, wenn es ein Überwuchern wäre. Aber ich stehe mit beiden Beinen auf dem Boden der Realität. Wir haben an maßgeblichen Stellen des österreichischen Kulturlebens aus Liebedienerei vor den Spendern der UNRRA und der Marshaihilfe, der ERP und wie das alles hieß, jahrelang zugesehen, wie diese Überwucherung Platz griff. Wir haben nicht, oder doch nur lendenlahm dagegen protestiert Jetzt aber, weil es unsere ureigene Domäne angeht, jetzt schreien wir Feuer und verlangen, daß andere den Brand löschen! Wir alle, wir Alten — ich schließe mich da keineswegs aus! — haben es nicht verstanden, dieser Jugend andere Ideale zu geben. Wir haben uns durch Mehrverdienen, durch den Tanz um das goldene Kalb von unserer Pflicht, diese Jugend im Sinne europäischer, christlicher Kultur zu erziehen, ein Alibi verschafft — und tun es heute noch.

Warum ich Ihnen das alles sage? Weil es nun einmal so weit ist, daß diese Jugend von unseren althergebrachten Kulturformen nur mehr wenig wissen will, daß sie vom Rhythmus des Jazz, der Spirituals und Negerarbeitslieder befangen ist oder besser gesagt gefangen ist; daß sie suchend und irrend, ohne Ideale von der Hetze nach Verdienst, Wohlleben und Geld abgestoßen, nihilistisch oder revolutionär wird, daß sie sich nur allzu leicht in der äußerlichen Verwahrlosung des Gammlers ein Abbild der innerlichen Leere, wenn nicht schon Verwahrlosung schafft.

Ich sprach vom Boden der Realität. Alle Menschen, die mit dieser heutigen Jugend — wohlgemerkt: der Durchschnittsjugend! — befaßt sind, die sich um sie kümmern, die ihre Probleme zu den ihrigen machen, wissen ganz genau, daß man diese jungen Menschen nicht mehr mit frömmelnder Süßlichkeit, nicht mehr mit Liedern und Melodien einer vergangenen Epoche packen kann. Das hat P. Duval erfaßt ebenso wie Soeur Sourire. Jede Generation hat ihren eigenen Stil. Wir — und ich glaube doch wohl auch unsere bekannten und angesehenen Kirchenmusiker — waren glücklich, als Papst Johannes XXIII. das Wort vom „aggiornamento“ prägte. Aggiornamento aber bedeutet, sich loslösen von einer Gedankenwelt, die niemand mehr mitdenken kann, der mit beiden Beinen im Leben steht. Christ-Sein heißt aber nicht weltfremd beiseite stehen, Christ-Sein heißt sein Christentum in die letzten Winkel des Lebens hineintragen, sie ausfüllen.

Als Fazit aus dem Gesagten stelle ich zur Rechtfertigung des Pötzleinsdorfer Jugendgottesdienstes mit Jazz folgenden Satz an die Spitze:

Man kann eine Jugend, die durch unsere Schuld einem fremden Rhythmus, einer fremden Musik verfallen ist, nicht mit Melodien und Texten einer süßlich-kitschigen Vergangenheit packen. Wer aber Jugend in der Kirche zum Singen bringt, bringt sie zum doppelten Beten, wie der heilige Augustinus sagt.

Als zweiten Verteidigungssatz — er bezieht sich allerdings mehr auf etwas Äußerliches *— mochte ich als alter Jurist folgendes aufstellen:

Gleiches Recht für alle! Wie Ich darauf komme? Es war im Sommer 1960. Da ging ich durch die Nußdorferstraße und blieb plötzlich vor einer Piakatwand stehen. Ich sah ein weißes, schwarz überstrichenes Plakat. Fängt die blöde politische Schmiererei schon wieder an! dachte ich mir und mußte dann zu meinem Erstaunen feststellen, daß es sich um eine Kunstausstellung handelt, die in einer bekannten Wiener Galerie veranstaltet wird. Arnulf Rainer malt Bilder und überstreicht sie dann einfach mit einem breiten Pinsel und schwarzer Farbe. Wen will man damit ansprechen? Will man der Jugend etwas sagen? Dann ist man falsch informiert. Jeder Pädagoge wird mir bestätigen: Sosehr diese Jugend dem Rhythmus ihrer Musik verfallen ist, so sehr lehnt sie die moderne darstellende Kunst ab. Surrealismus und Abstrakte sagen ihr nichts.

Auf alle Fälle ist in diesem Zusammenhang die Anregung der Redaktion der „blätter“ zu begrüßen, einmal die Jugend selbst diskutieren zu lassen. Ich glaube, daß die Siebzehnjährige da stark in der Minderheit bleiben würde. Woraus ich das schließe? Damit komme ich zum Abschluß meiner Ausführungen.

*

Ich besuche fast täglich eine Frühmesse und ich besuch sie in den verschiedensten Kirchen, wo ich gerade zu tun habe. In keiner Kirche aber habe ich in den Frühmessen so viel Jugend, nicht nur betend und singend, sondern auch am Tische des Herrn gesehen, wie in St. Gertraud zu Währing, wo der Jazz-Koller diese Jugend führt und leitet. Ich war also auf einen starken Zustrom zu dieser Jugendmesse am Empfängnistag gefaßt, zumal mir Freunde schon gesagt hatten, man müsse eine Stunde vorher dort sein, wolle man auch nur einen Stehplatz haben. Was ich dann aber erlebte, war überwältigend. Und wenn das junge Mädchen in den „blättern“ schreibt, die Messe trete in den Hintergrund, dann hat sie wohl noch nie so richtig erfaßt, daß die moderne Liturgie von uns beim Meßopfer etwas anderes will, als ein in sich gewandtes Abwesendsein, sondern ein Dabeisein, ein Mitfeiern, ein Mittun! Hier aber taten alle mit, und wer wirklich mittut, der erlebt dieses Meßopfer und ich glaube mit Recht behaupten zu dürfen, daß viele, die innerlich abwartend, ja vielleicht sogar ablehnend dabei waren, dann doch mitgerissen wurden und vielleicht zum ersten Male eine Messe mitgefeiert haben.

Und was mich noch mehr überraschte: da waren ja gar nicht nur Junge! Da waren so viele Menschen meiner Generation, ja noch viel Ältere und eine Klosterschwester neben mir sang begeistert mit und — welch Entsetzen! — wippte dazu im Rhythmus des Jazz!

Und als ich dann nach dieser Messe langsam stadteinwärts fuhr, da gingen sie rechts und links auf den Gehwegen heim, alte und junge Menschen, lebhaft debattierend die einen, still in sich versunken die anderen, je nach Temperament eben, aber sichtlich alle berührt, alle erfaßt von dem großen Erlebnis.

Sicher: man kann nicht nur Jazzmessen feiern, aber eine Groß- und Weltstadt wie Wien würde jeden Sonntag in wenigstens zwei modernen Kirchen solche Messen vertragen. Spielfreudige Jugend gibt es genug. Daß die Mitfeiernden kommen, beweist Pötzleinsdorl Sicher: man muß vorsichtig sein und es gehört viel Verantwortungsfreudigkeit des Seelsorgers dazu. Aber wir haben genug solche verantwortungsfreudige Priester. Sicher: ich gebe gern und offen zu, daß es eine Gefahr in sich birgt. Aber letzten Endes birgt diese Gefahr jede neue Sache in sich, und Gott hat uns nicht in die Welt gestellt, um satt und zufrieden am Alten haften zu bleiben, sondern um uns zu vervollkommnen, und jeder Weg ins Neuland kann ein solcher zum Vollkommenen sein. Und dieser Versuch ist es wert, gilt es doch, die Jugend, die oft keine Beziehung zu Gott mehr hat, wieder zu Gott zu führen. Und das ist schwer, sehr schwer. Und deshalb halte ich es für unverantwortlich von diesen alten Männern und Priestern, daß sie diese Arbeit, statt sie freudig zu begrüßen, noch schwerer machen. Und deshalb habe ich eine Lanze für die Jugendmesse in Pötzleinsdorf gebrochen, daß in ihr immer wieder das Lied ertöne:

Freunde, Freunde, kommt und freuet euch mit mir! Lacht ihr Himmel! Laßt uns mitsammen frohes

Festmahl halten! Freut euch, freut euch! Ich habe gefunden meinen Freund.

Und ein zweites Moment: mir fällt da eine Diskussion in der „Wiener Kirchenzeitung“ 1965 ein, in der der moderne Kirchenbau aufs Korn genommen wird. Besonders an einen Briei Pfarrer Arthofers erinnere ich mich, der die moderne Kirche rundweg ablehnt. Schon vor Jahren schrieb Chefredakteur Dr. Walter Pollak von den „Oberösterreichischen Nachrichten“: „Die moderne Kirche bietet keinen Platz mehr, um sich hinter Säulen verstecken zu können. Die moderne Kirche fordert das offene Hintreten und Bekennen.“ Dem ist nur zuzustimmen. Diese moderne Kirche verlangt aber auch das offene Bekennen zu einer Frömmigkeit, die aus dem Herzen kommt und sich nicht hinter süßlichen Phrasen einer vergangenen Epoche versteckt. In diese moderne Kirche paßt kein kitschiges Jesusbildlein oder anderes in der Art. In diese moderne Kirche paßt der moderne Rhythmus unserer Zeit. Und wenn eben diese Jugend diesen modernen Rhythmus im artfremden Jazz und Schlager allein findet — ich weiß, daß; der Ausdruck „artfremd“ verpönt ist, aber er ist hier treffend! —, dann muß man ihr diesen Rhythmus bieten, will man ihr in der Ausweglosigkeit ihrer nihilistischen Welt ein Ideal geben, das höchste Ideal, das wir Menschen haben, nämlich Gott!

Und wenn sie alle das Mitwippen, das Mdtbewegen als Sexualität ansehen, dann kann ich ihnen allen nur eines sagen: Sie wippen doch selbst mit! Jeder musikalisch oder auch nur rhythmisch veranlagte Mensch — und nach Feststellung der Psychologen sind alle Menschen bis zu 90 Prozent rhythmisch veranlagt! — bewegt sich beim packenden Rhythmus einer Weise mit, entweder mit dem ganzen Körper, oder auch nur mit dem Fuß, mit der Hand, mit dem Kopf. In dieser vollkommen natürlichen rhythmischen Bewegung Erotik zu sehen, ist ebenso verworren, wie im Händereichen Sexualität zu wittern.

Und jetzt wird man mir vielleicht noch entgegenhalten, daß nicht alle Jugendlichen diese Art der Meßfeier wollen. Das hat auch niemand behauptet, und wenn in den „christlich pädagogischen blättern'“ Nr. 9/1966 eine Mittelschülerin dagegen Stellung nimmt, dann ist das ihr gutes Recht, wenn sie sachlich in ihrem Urteü bleibt. Wenn sie aber einem jungen, begeisterten Seelsorger Selbstgefälligkeit vorwirft, weil er für seine Idee eintritt, dann ist das von einer Siebzehnjährigen zumindest anmaßend und setzt den Wert ihres Urteiles wesentlich herab, denn man gewinnt als unbefangener Laie den Eindruck, als habe es ein mißgünstiger Pädagoge beeinflußt, wenn nicht gar diktiert.

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