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Ein neues Nibelungen-Drama?

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Fast unvermittelt, nebeneinander, stehen diese Worte in den letzten Strophen des Nibelungenliedes: die nüchterne archaisch knappe Meldung vom Tod der Feigen', das heißt derer, die ihr Heil verloren, die durch ein Schicksal Todgeweihten — und die prä-aiöse, der höfischen Dialektik des Minnespiels entstammende, so sehr an Tristan und Isolde“ gemahnende Formel von Liebe und Leid.

Das Nibelungenlied, wie es uns heute vorliegt, ist ein ungemein komplexes und kompliziertes Gebäude, ein Schloß, in dem der neugierige Besucher durch heitere, spät-staufische Zwerggalerien an Abgründe der Vorzeit geführt wird. Die zierliche Form einer höfischen Gesellschaftskunst birgt Erinnerungen, Traditionen, die in einer Vorzeit „gesagt“ wurden: in Sage, Lied und Zauberspruch. Eine sehr fremde Weltj meiden wir das Mal des „Heidnischen“, es ist zu billig, schmiegt sich als bekannt an und verdeckt ganz große Unbekannte — eine Welt, die sich in Maßen mißt, die wenig gemein haben mit jener der christlich-humanistischen Schriftkultur. Und doch gelang es, in der dem Westen gegenüber durchaus „rückständigen“ Welt geistlicher und weltlicher adeliger Herren, hierzulande den Sang der Vorzeit einzukleiden in das Feiergewand höfischer Festlichkeiten.

Ein erstaunliches, ein seltsames Werk.

Nichts für Neugierigel Nichts für Reimschmiedel „Unbefugten ist der Zutritt verboten“, steht unsichtbar vor den labyrinthischen Steinen des Eingangs, die von Urangst, vom Entsetzen der Wanderjahre in der Geburtsstunde Europas künden. Unberaten oder schlecht beraten hat sich Max Meli, der Senior der österreichischen Lyriker, der Dichter liebenswürdiger und liebenswerter Stücke, an den Giganten gewagt. „K r i e m-hilds Rache“, Uraufführung im Burgtheater. Als Fortsetzung von „Der Nibelunge Not“, die im letzten Krieg hier herauskamen. — Freunde sprechen, nach der Premiere, von einer „Gymnasiastentragödie“. Das ist durchaus der richtige Titel: nacherzählend, nachreimend illustriert der Autor die Mär vom Ende der Nibelungen. Klitterungen, die dadurch nicht besser werden, daß er glaubt, die eigenständigen und eigenstarken Gestalten des alten Epos stärken und vergegenwärtigen xh müssen durch neue symbolische Unterlage: Nazarenergold, unterlegt den Löwen früher Romanik.

Da wüten also, rechts hinter den Kulissen, Theaterbrand und Theaterdonner, im Vordergrund weilt und badet Kriemhild in pathetischen Phrasen. Wie lange noch braucht es, bis Ihr Kopf rollt und, Lohengrins Schwan vertretend, ein mythisch' Roß erscheinet, Herrn Dietrich von Bern in ein mythisch' Märchen rückzuführen; dieser Glanzrecke, dieser DP, diese displacierte Person, die Schulsprüche von Recht, Frieden, Gewaltlosig-keit von sich gibt.

Nein. Diese Sehulmeistertragödle ehrt nicht das Nibelungenlied und achtet nicht das Leiden der Völker, die heute durch Brände und Wanderungen neuem Schicksal, neuem Heil, auf unheilen Pfaden, entgegenziehen.

Diese Nachdichtung ist ein einziges Mißverständnis. So geht es nicht. So kann sich — ein Dichter heute nicht mehr aus der Situation ziehen. Kein Zweifel: auch das Nibelungenlied, auch sein Stoff kann, wenn innerlich geschaut und zum großen Gesicht, zur Gerichtsvision geworden, ebenso wie die antike Tragödie, den Anstoß gibt zu Kunstwerken, die Wissen, Erlebnis und Erfahrung in der Dimension unserer Zeit verdichten zu echten Symbolen. Was, auf ihre durchaus andere Art, ein Camus, Cocteau, Anouilh, McNeill leisten, kann auch bei uns geleistet werden. Kafkas „Prozeß“, der unter anderem auch die Verdichtung der Bürokratie unseres alten Reiches ist, zeigt, was ein Dichter schaffen kann.

Von dieser schönredenden Neoromantik aber führt kein Weg zu einem neuen Drama. In Europa nicht, auch in Österreich nicht. Die neue Verreimung des Nibelungenliedes bestätigt dies.

Zur Aufführung wäre zu sagen: diesmal sparsamer Burgtheaterbarock. Die Regie Rotts tut, was sie kann. Hervorragend, eine klassische Tragödin, Liselotte Schreiner als Kriemhild. Attila Hörbiger, dieser grundehrliche Darsteller des Menschlichen, weiß mit Recht mit der unnatürlichen Staffagefigur des Dietrich von Bern nichts anzufangen.

Immerhin: die Burg hat Ihr Repertoire für Schüleraufführungen erweitert. .

Die Josefstadt in den Kammer-spielen: „Lustspiel in Moll“ von S. N. B e h r m a n. Ein Komödienschreiber, Gay Eeasterbrook, fühlt sich unter Einwirkung einär hochstrebenden Dame verpflichtet, in dieser ernsten Zeit ernste Stücke zu schreiben. Seine kluge Frau und seine kluge Haushälterin halten ihn von diesem Versuch ab, so bleibt er beim sanft verebbenden Lustspiel: ein Mann zwischen zwei Frauen. — Die vornehme Gattin, die alles ahnt, alles fühlt: Vilma Degischer.

Die Scala bringt mit viel Geschick ein

Lustspiel des jungen Goethe aus seiner Leipziger Studentenzeit auf ihre Bretter. „D i e M i t s ch u 1 d i g e n“. Da Stoff und Handlung an sich dünn sind, wurde eine Balletteinlage geschaffen, das amouröse Spielchen anzureichern. Strebsame Arbeit des Ensembles — nur fragt man sich: lohnt sich diese Ausgrabung wirklich?

C r o n i n, weltbekannt durch seine Arzte-romane, stellt sich im Akademietheater mit einem Drama aus der Arztwelt vor: „Jupiter lacht“. Tiefere Probleme, die aber handfest oberflächlich abgehandelt werden; bühnensicher, in dieser Aufführung aber so zerdehnt, daß viel von einer möglichen Wirkung verlorengeht. Ein hochbegabter junger Arzt mit bitteren Lebenserfahrungen, Atheist, ringt um eine revolutionäre medizinische Entdeckung. In der Enge eines Privatsanatoriums für Nervenkranke, umgeben von hysterischen, intriganten, dummen und selbstsüchtigen Kollegen, Schwestern, Frauen, trifft er auf eine lichte Erscheinung: eine junge Arztin aus einer (protestantischen) Missionärsfamilie, die sich hier das Geld für die

Uberfahrt verdienen will; sie geht nach China In die Mission, das Lebenswerk ihrer Eltern fortzusetzen. — Vereinfacht und verflacht, treten sich nun Christentum und atheistische Forschung im Ringen dieser beiden jungen Menschen um ein Miteinander gegenüber. Der Opfertod der jungen Ärztin (sie stirbt, um die Lebensarbeit des Forschers aus den Flammen zu retten), bestimmt den Helden, auf die Ehren und Reichtümer dieser englischen Welt zu verzichten und nach China zu gehen. Eine zunächst noch atheistische Nachfolge Christi; zuletzt noch überlegt er, das Evangelium dem Papierkorb zu übergeben. — Neues China und altes dekadentes europäisches Staats- und Gesellschaftschristentum, Ethos und Eros wissenschaftlicher Forschung, das Evangelium als Wahrheit und Leben... — Eine Fülle von Fragen und echten Themen; schade, daß sie Cronin nur ganz vom Rande her anpackt, so weit als er sie braucht, sein Stück zu zimmern. Hervorragend in der Aufführung Hilde Wagener als Oberschwester. Lieblich Hilde Mikulicz. O. W. Fischer, als Hauptheld outriert, leistet sich zu viel in seinem Streben, seine Mitspieler von der Bühne wegzuspielen.

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