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Ein Österreicher als Pionier am Michigansee

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„Ich kenne die Indianer, ich habe dreiundzwanzig Jahre mit ihnen zugebracht und wäre noch jetzt unter ihnen, wenn mich die .Vorsehung nicht anderswohin berufen hätte. Ich bin auch jetzt nicht ganz los dn den Indianern und werde es nicht sein, solange ich lebe.“... So schrieb im Jahre 1861 an seinem Lebensabend der einstige Student der Rechte an der Wiener Universität Friedrich von Baraga aus Döbernik m Unterkrain, Bischof und Apostolischer Vikar von Ober-Michigan. Und ob er seine Indianer kannte! Er ist der Verfasser der ersten Grammatik der Otchipwe - Sprache, die von verschiedenen um den Michigan- and den Oberen See wohnenden Indianerstämmen mit unwesentlichen Dialektunterschieden gesprochen wird, eines Wörterbuches, mehnerer Katechismen, Schul-, Gesangs- und Gebetbücher in den Sprachen der Ottawastämme und sogar eines Betrachtungsbuches im Chippewaydialekt. Das würde reichen, die verdienstvolle Lebensarbeit eines Sprachforschers zu sein and es war doch nur die Nebenfrucht der Missionsarbeit eines Mannet, der alles, auch den Ertrag seiner

sprachkundlichen Arbeit, für seinen apostolischen Beruf einsetzte.

1822 hatte das „Werk der Glaubensverbreitung“ in Lyon das eingeschläferte Interesse der curopäisdien Katholiken für die Missionen aufzuwecken begonnen und kurz darauf hatten in österreichdie Vorarbeiten zur Gründung der L e o p o 1-dinenstiftung für die amerikanische Mission eingesetzt. Damals war der zündende Funke in die Seele des jungen Friedrich von Baraga gefallen, der, den Antritt seines schönen väterlichen Erbes, der Herrschaft Tressen, verschmähend, nach seinen juridisdien Studien dem Priestertum sich zugewandt hatte. Es zog den Dreißigjährigen ans der heimatlichen Kaplanei hinaus in die Neue Welt.

Ungeheuer groß ist die Aufgabe, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Kirche in Nordamerika gestellt ist. Wie ein reißender Strom hatte sich über die Savannen die Einwanderung aus allen europäischen Nationen ergossen. Die Seel-

sorge für die Katholiken Hatte “den Bedürfnissen bei weitem nicht zu folgen vermocht, zumal erst 1829 die katholische Kirche nach vielen Bedrängnissen die volle gesetzliche Gleichstellung mit der anglikanischen Hochkirche erhielt. Die zehn jungen Diözesen, die 1830 in den Vereinigten Staaten bestanden, zählten unter einer Gesamtbevöl-kerung von 13 Millionen nur 518.000 Katholiken, für die in dem riesigen Räume nur 288 Priester vorhanden waren. Zudem wartete der heidnische Urboden. kaum an seinen Rändern noch angetastet, der Ackerleute des Herrn.

Einzug in die Wildnis

Friedrich Baraga trieb eine innere Stimme in die Indianermission. Die Leopoldinen-sriftung kam ihm in der Ausführung seines Planes zu Hilfe. Nach mehr als zweimonatiger Reise trifft er am \7. Jänner 1831 an seinem ersten Reiseziele, in Cincinnati, ein, von seinem künftigen Oberhirten, dem großen Bischof Eduard Fenwick, liebevoll aufgenommen, der.erste Sendling des österreichischen Missionswerkes für Amerika. Einige Monate sind ihm noch gegönnt zur Vorbereitung, dann geht es unter Führung des Bischofs hinaus nadi der für ihn aus-ersehenen ganz jungen Missionsstation L'Arbre Groche, die am 28. Mai 1831 erreicht wird. Es ist eine rauhe Gegend. Nicht umsonst nennt man diesen Norden „Sibirien von Michigan“. Die mittlere Jahrestemperatur ist fünf Grad Celsius. Gefährliche Nordstürme brausen in den langen Wintern über die Wälder an den Nordgestaden des Michigansees, des fünftgrößten Sees der Erde. Dieses Nordland ist ein Reich für sich, vor hundert Jahren nur spärlich bewohnt, weite Strecken unerforscht, die Heimat der nomadenhaften Ottawa-Indianerstämme. Kein weißer Ansiedler ist noch hier. Eine kümmerliche Holzhütte empfängt den neuen Missionär, die - kleine hölzerne Kirche nebenan ist nicht besser. Als Bischof Fenwick Abschied genommen und auf dem Fährboot den Blicken des Zurückbleibenden entschwindet, versinkt vor Friedrich Baraga die letzte Berührung mit der Welt, der er bisher angehört hatte.

Friedrich Baraga“ ging frohen Mutes an die Arbeit. Erbarmungslos überfielen ihn die Unbilden der Witterung. Im Winter wurde die Kälte so grimmig, daß er bei der Opferung den gefrorenen Inhalt der Meßkänndien aufbrechen mußte. Zur Regenzeit jagten die Stürme das Wasser durch das Gefüge seiner Hütte; seine Bücher und Schriften mußte er mit einem Mantel überdecken, die Nächte unter einem Regenschirm schlafen. Zur Verständigung mit den Indianern standen dem jungen Missionär nur spärliche _ Sprachkerintnisse aus seiner kurzen Vorbereitungszeit und ein indianischer Dolmetsch, der gut französisch verstand, zur Verfügung. Von seinem nächsten priesterlichen Amtsbruder trennten ihn 80 Kilometer, von anderen eine zehnfach größere Entfernung. Man kannte damals den Ski noch nicht wie heute. Baraga lernte das Gehen auf den großen, schweren Schneeschuhen der Indianer Aber er wäre bald umgekommen, als er im Winter 1833 den 80-Kilometer-Marsch auf tief-verschneiten Urwaldpfaden und über gefrorene Wässer zurücklegte. Der Nachschub in diese Einsamkeit und das Geld für das Nötigste mangelte. Nicht reicher all seine Indianer ging er nicht selten „in zerrissenen Beinkleidern aus blauer Leinwand und mit durchlöcherten Schuhen ohne Strümpfe einher“. Er macht nicht, viel Wesens daraus, wenn er darüber der Heimat erzählt. Aber inständig bittet er in seinen Briefen an die Leopoldinenstiftung um Bekleidung für die armen Indianerkinder, die selbst im harten Nordwinter fast nackt einhergehen müssen.

Und siehe: Ein wunderbares Blühen beginnt in der Wildnis: Dieser Einsame, der in seiner paulinischen Begierde Vaterhaus, Heimat, selbst die letzten Ansprüche des Kulturmenschen geopfert, an seine Sendung hingegeben hat, wird der Mittelpunkt einer kräftig aufwachsenden katholischen Glaubensgemeinde.

Grammatiker der Indianersprache

Mit der Sprachbegabung seines krai-nischen Heimatvolkes ausgestattet, bewältigte Baraga überraschend frühzeitig die sprachlidien Schwierigkeiten, so fremdartig und unregelmäßig Wortbildung und Satzbau der Indianer sind. Er begann mit der Anlage eines Wörterbuches und machte sich daran, aus dem schwankenden Halbdunkel

der mcuanischen Satzformen efie unbewußten grammatikalischen Sprachgesetze dieses Naturvolkes herauszuholen. Der Dolmetsch wurde bald überflüssig. Schon 1833 hatten die Indianer von L'Arbre Cröche und den Nachbarsiedlungen Gebet- und Gesangbücher und die 40 Kinder der Stationsschule Katechismen, die Baraga verfaßt hatte, in der Hand. Weit über die Seegestade drang der Ruf von dem gütigen weißen Manne, der wie ein Vater zu den Indianern sei. Eine Einladung der Bewohner der in dämmernder Ferne liegenden Biberinsel rief Baraga zu einer gewagten Reise. Mit Freudenschüssen empfangen, mußte er vor dem versammelten „Großen Rat“ des Stammes über „Notwendigkeit und Nützlichkeit der christlichen Religion“ sprechen. 22 Indianer ließen sich vor seiner Abreise taufen. Allen Gefahren trotzend durchstreifte Baraga auf langen Wanderungen und Seefahrten das Uferland. In schwere Seenot geraten, von Hunger und , Anstrengung erschöpft, schien auf einem dieser Streifzüge ihm und seinen indianischen Gefährten der Tod nahe. Da sahen sie über einem Felseneiland Vögel aufsteigen und fanden zu ihrer Rettung 180 große Eier.

Nomaden werden zu Bauern

Im Jahre 1833 war die Gläubigengemeinde von L'Arbre Croche bereits fest verankert, Rückschläge, wie sie in der Missionsarbeit zuweilen unabwendbar sind, waren überwunden, so daß Baraga es unternehmen konnte, 500 Kilometer gegen Süden zu den Indianern am Grand River die Glaubensbotschaft zu bringen.

Die Hindernisse, die er dort findet, sind nicht gering; gewissenlose Pelzhändler überschwemmen den Landstrich im Tauschhandel mit Schnaps. Die Verheerungen sind schrecklich und drohen die Eingeborenen zugrunde zu richten. Baragas Auftreten gegen das Übel stürzt ihn in schwere Gefahren, doch er weicht nicht und als er im Februar 1835 von seinem Bischof den Auftrag erhält, eine neue Station höher im Norden, am Oberen See, zu gründen, hinterläßt er seinem Nachfolger am Grand River 170 Getaufte, viele Katechumenen, eine Kapelle, ein Priesterwohn- und Schulhaus und eine Filiale St. Josef zu Masch-Kigong. Überall, wo er als Pionier des Glaubens ackert und sät, läßt er auch eine bessere weltliche Ordnung und wirtschaftlichen Fortschritt zurück, Schulen, ein in Lesen und Schreiben unterrichtetes Jungvolk, die Anlage fester Siedlungen der Ein-gebornen, die, bisher Nomaden, von ihm zum Ackerbau angeleitet worden waren.

Am 27. Juli 1835 landet Baraga an seinem neuen Bestimmungsort 1200 Meilen nördlich von Detroit, an einef Insel, die das Indianerdorf La Pointe trägt. Er wird von den Indianern freudig begrüßt. Schon

nach sieben Tagen hat er unter ihrer Mithilfe ein Kirchlein gezimmert und sofort beginnt auch die Errichtung eines Schul-und Wohnhauses. Reich ist hier die Ernte, unermeßlich das Arbeitsfeld. Neben seiner Missionsarbeit ist er literarisch tätig. Hier in La Pointe schreibt er ein deutsches Budi über „Geschichte, Charakter, Sitten und Gebräuche der nordamerikanischen Indianer“ und ein Gesang- und Lesebuch für die Otchipwe-Indianer in ihrer Mutter-spradie. In dieser unterrichtet er auch seine Katechumenen, die er des Nachts zu versammeln pflegt, da sie bei Tage aus auf Fischfang und Jagd sind Unter seinen Getauften ist die ganze Familie eines angesehenen Oberhäuptlings und eine Hundertjährige mit allen ihren Enkeln und Urenkeln.

Am Eingang zur Unterwelt

Es drückt die autoritative Wertung dieses Wirkens aus, daß im Jahre 1838 Friedrich Baraga zurr! bischöflichen Vikar für das nordwestlidi vom Michigansee bis hinauf zum Oberen See sich erstreckende Gebiet, dem heutigen Staat Wisconsin, ernannt

wird. Entsprechend dieser Aufgabe strebt er weiter hinauf nach Norden in die Uferbereiche des Oberen Sees und gründet in L'Anse eine neue Station. Als läge dieses L'Anse am Eingang zur Unterwelt, so abschreckend ist es in seiner unwirtlichen Öde, in der die Indianer weit verstreut in elenden Hütten und Höhlen wohnen. Hier heißt es ganz tief zur gottgeschaffenen Kreatur hinabsteigen, um sie zu ihrer Würde wieder emporzuheben. Das Unglaubliche geschieht. Schon nach fünf Jahren hat sich eine geordnete dörfische Siedelung gebildet, die Nomaden sind, wie der bischöfliche Vikar berichten kann, „fleißige Arbeiter geworden, wohnen in guten Hütten, halten sich Geflügel und auch schon einige Kühe und Ochsen und machen m Industrie und Ökonomie bedeutende Fortschritte“. Von L'Anse aus unternimmt Baraga auch die Pastorierung der Bergleute in den neuentdeckten Silber- und Kupfergruben am Oberen See. Neben gesundem Menschentum haben sich in den jäh aufschießenden Siedlungen Abenteurer, Glücksjäger, Abschaum aller Art gesammelt. Hier Missionär zu sein, erfordert das Höchste und Letzte des Priesters. Baraga hält aus, bleibt wochenlang unter den Bergleuten, kommt wieder. In den Urwaldwildnissen dieser Nordlandsgefilde hausen schon die Schrecken der nahen Arktis. Auf den 50 Kilometer langen Fußmärschen zu den Bergwerken sieht der Vikar sich wiederholt nur durch Gottesfügung vor einem schrecklichen Ende bewahrt.

Nach zehn Jahren setzte seiner Tätigkeit im Gebiet von L'Anse die Berufung zur bischöflichen Würde ein Ende. Am Allerheiligentage 1853 wurde Friedrich Baraga in Cincinnati zum Bischof und Apostolischen Vikar für Ober-Michigan konsekriert. Seine Diözese reichte über die Süd- und Südostufer des Oberen Sees bis in das heutige Kanada hinein. Der neubestellte Bischof

Hatte seinen Wohnsitz in Sault de Ste. Marie aufzuschlagen, an der Wasserstraße, die Michigan-, Oberen- und Huronensee verbindet. Hier bestand nicht einmal ein ausreichendes Gotteshaus, Kirche, Schule, Wohnhäuser für Priester, Ordensleute, Lehrer waren erst zu errichten. Mit seiner eisenharten Energie warf sich Bischof Baraga aof die neue große Aufgabe.

Bescheiden und gütig gegen seine Untergebenen, kannte Baraga auch jetzt im zunehmenden Alter keine Schonung gegen sich selbst. Auf einer Winterreise im Jahre 1861 wurde er zum erstenmal krank. Die Märsche auf Schneeschuhen wurden ihm fortan mühselig und zumal die rauhen Nordlandnächte im Freien zu verbringen, fiel ihm nun immer schwerer. Aber er ging doch noch 30 Kilometer weit zu einer Sterbenden, wanderte im Winter 1862 trotz seiner Brustschmerzen zu einem weitentfernten Indianerstamm und besuchte seine „geliebten Kinder“ in seinen einstigen Stationen. Er hatte noch die Kraft, seine Diözese durch die folgenden schweren Heimsuchungen des Bürgerkrieges zu steuern, und führte noch die Verlegung des Bischofsitzes nach Marquette am Südufer des Sees durch, weil dies die dort rasch zunehmende Besiedlung rätlich erscheinen ließ.

Aber nun war diese Riesenkraft ausgeschöpft — leise erlosch nach einem Schlaganfall am 19. Jänner 1868 das Leben dieses kühnen Streiters Christi. Katholiken und Protestanten aller Nationen gaben dem großen Indianerapostel das letzte Geleite. Eine „Bishop Baraga Association“ in Chikago und eine Niederlassung slowenischer Franziskaner „Baraga Zveza“ pflegen sein Andenken. Wo immer von den Pfadfindern für die christliche Kultur in der Neuen Welt die Rede sein wird, dort wird man auch immer mit Ehrfurcht des österreidiers Baraga gedenken müssen.

Die katholische Kirche sah den Anfangaller Regierungen und Einrichtungen, die heute in der Welt existieren; sie wird vielleicht ihier aller Ende erleben; sie war groß und geachtet, bevor die Sachsen ihren Fuß auf Britanniens Bodeq setzten, bevor die Franken den Rhein überschritten, als griechische Beredsamkeit noch in Antiochien blühte, als heidnische Götzen noch im Tempel von Mekka angebetet wurden; und sie mag noch in unverminderter Kraft weiterbestehen, wenn eines Tages irgendein Wanderer vom fernen Neuseeland sich inmitten einer wüsten Einsamkeit, auf einem zerbrochenen Bogen der Londonbridge aufstellen und die Ruinen der St.-Pauls-Kathedrale nachzeichnen wird. , _ .... _ , .

M a c a u 1 e y : Geschichte Englands

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