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Ein Paulus-Drama

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Die Uraufführung des Dramas „Die große Entscheidung” von Rudolf Henz im Burgtheater unter der Regie von Direktor Gielen, der auch, einspringend für den erkrankten Max Paulsen, die Rolle des Jakobus übernommen hatte (vorzüglich), bildet den Beitrag unserer ersten Staatsbühne zu den Wiener Festwochen. Wahrscheinlich eignet sich die kältere Jahreszeit besser für ein Drama dieser Art, das sehr viel Kraft vom Zuschauer verlangt. Das Thema ist in anderer Form, sozusagen von der anderen Frontseite her, bereits durch Franz Werfel in seinem Stück „Paulus unter den Juden" behandelt worden. Henz nimmt sich einen Vorwurf, der größer, schwieriger und heikler kaum gedacht werden kann: das Eindringen des Paulus, eines, menschlich gesprochen, genialen Feuergeistes von dämonischer Wucht, in die judenchristliche Ur- gemeinde in Jerusalem. Dem Normalchristen, zumal dem Normalkatholiken, geht selten genug ein Licht auf über die Dramatik jener scheinbar so fernen Ereignisse in Jerusalem — obwohl sich diese Jahrhundert für Jahrhundert und Jahr für Jahr wiederholen —, immer dann, wenn es dem Schoß der Kirche aufgetragen ist, einen Heiligen mit seinen eigenständigen Erfahrungen, seinen Versuchungen und Horizonten, die ein Tor in eine neue Welt auf sprengen, hineinzubergen in ihre Tradition! Der Franziskanerorden rang jahrhundertelang mit dem Papst um die Erlaubnis, da ganze Vermächtnis seines Stifters aufnehmen zu dürfen, ein Ignatius von Loyola kämpfte persönlich über ein Dutzend Jahre mit, um einem Papst — im Ringen des Paulus mit dem Petrus ist dies bereits vorgebildet. Schade, daß Henz dieses Ringen nicht stärker zur Darstellung gebracht hat und die Gegenwartsperspektiven hervorhob. Die „große Entscheidung", die Henz hier in würdiger Form in großen Bildern schildert, ist Tag um Tag und Stunde um Stunde der Kirche und der ganzen Christenheit aufgegeben: und es wird dem, der es wagt, ein omen novum zu sein, ein „neues Zeichen" in der Kirche zu sein (um mit dem Wort Pius’ XI. über Therese von Lisieux zu sprechen), ein letzter Erweis des „Geistes und der Kraft" abverlangt. Es kostet Blut, Blut allerdings „nicht von Böcken und Stieren", sondern Menschenblut, ja Gottesblut, um nun endlich Paulus selbst das Wort zu geben, soll wirklich ein neuer Raum eröffnet werden — für das Einstrahlen der Gnade in andere Menschen, Zeiten, Kontinente. — Paulus ist nun bekantlich der große Unbekannte im normal- katholischen Raum, trotz strebsamen und verharmlosenden Büchern über ihn, die in den letzten Jahrzehnten Mode geworden sind — allzu ängstlich fürchtet man den Feueratem dieses Mannes, der den Geist, die Liebe und die innigste personale Gottbezogenheit und Christusverbundenheit über alles stellt, und der es wagt, dem Petrus und der ganzen Urgemeinde der Apostel ins Angesicht hinein zu widerstehen. Es ist schon deshalb ein Verdienst von Rudolf Henz, diesem Manne ein Stück zu widmen Sein Drama endet mit der Verabschiedung des Paulus’ durch den Petrus — in einer Szene seiner Unterwerfung unter Petrus, die Henz bedeutungsvoll auf dem Oelberg lokalisiert, nachdem wir zuvor Paulus zwischen Juden und Judenchristen, gejagt von beiden, gesehen haben: ringend um seine Anerkennung als Apostel: er, der Jesus nie zuvor persönlich auf Erden gesehen, er, der seine Anhänger verfolgt hatte bis zum Blitzstrahl vor Damaskus. — Fred Liewehr als Paulus, Herbert Herbes als Petrus, Otto Kerry als Philemon, Liselotte Schreiner als Saphira und das bewährte Sprechensemble der Burg bemühen sich um eine vornehme Aufführung.

Aufrichtige Freunde Deutschlands sind gebeten, Werner Finck in den Kammerspielen zu besuchen. Dieser hervorragende Kabarettist, der ein Dutzend Professoren und andere beamtete Diener des Geistes ersetzt, spricht, allein, zwei Stunden zu uns, diesmal unter dem Motto: „Am Besten nichts Neues.” Oberflächig betrachtet, sind das Randbemerkungen über kleine Dinge, „kleine Fische" der letzten Jahre in Deutschland. Wer näher hinhört — und Finck versteht es unnachahmlich, seine Zuschauer (er spricht bei vollem Raumlicht) zum Zuhören zu führen — schon deshalb sollten Prediger guter Art bei ihm in die Schule gehen —, wird bald gewahr, daß es hier um nicht mehr und nicht weniger geht als um eine sorgfältige Darstellung jenes beunruhigenden Prozesses, der seit Jahren im Gange ist. Eine neue „Gleichschaltung", Verengung, Uniformierung und Militarisierung — das aber sind vielleicht nur Oberflächenphänomene, so ernst sie auch zu nehmen sind. Was steckt dahinter? Ein alter Sturm und Drang, in die Uniform zu schlüpfen? Die Flucht vor der Freiheit? Vor der Menschlichkeit? — Finck ist kein Moralprediger (der Formeln bereithält für seine Patienten), sondern ein echter Moralist: der aufdeckt, der gerne übersehene Zusammenhänge erhellt. Ein echter „Aufklärer" also. Ein Mann, der Blinkzeichen gibt: Warnungen, Bitten. „Torkelt nicht in neues Unheil. . ."

Das Wiener Premierenpublikum folgte wach und beifallfreudig seinen Glossen.

Ungemein intensiv die Festwochenpremiere des Akademietheaters: Schnitzlers „Lieb e-

1 e i" und „Komtesse M i z z i”, sehr sorgfältig betreut durch Ernst Lothar. Inge Konradi ist kein „süßes Mädel" und bringt, herb, leidenschaftlich, von Anfang an einen Ton in die „Liebelei", der ergreift. Der Tod im Duell, oft von Schnitzler bekämpft, erscheint als Symbol einer Gesellschaft, die in den Tod tanzt; liebenswürdig, scharmant, in ihren besten Vertretern mit schlechtem Gewissen. Der Totentanz Altösterreichs konnte in seiner ganzen unheimlichen Dichte erst nach 1918 dichterisch ganz bewältigt werden: im Werk Rilkes, Brochs, Musils, Kafkas und ihrer Weggenossen. Sehr beachtenswert aber, wie er hier bereits vor-gesehen wird: im Herzeleid dieses Mädchens aus dem Volke. — Hans Moser als Musiker Weiring, Susi Nicoletti, Maria Kramer, Alexander Trojan als Theodor und Robert Lindner als Fritz tragen mit die Aufführung. — Die anschließend gegebene Komödie „Komtesse Mizzi”, entzückend gespielt von Alma Seidler, Maria Kramer und einem halben Dutzend Herren unter Führung von Fred Hennings und Alfred Neugebauer, wirbelt das Nachdenken um die „Liebelei“ fort, fegt die zerbrochenen Gläser mit einem Sturm des Lachens von der Bühne.

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