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Ein Platz für Stars von Gestern

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DA DAS MÄZENATENTUM ZU BESTEHEN aufgehört hat, muß der Staat immer intensiver die Kunst und damit auch die lebenden Künstler unterstützen.

Der Künstler blieb lange Zeit hindurch der Außenseiter der Gesellschaft. Noch heute wird die Andersartigkeit des Künstlers, von der breiten Masse des Publikums allgemein als feststehende Tatsache an-

genommen. Wir dürfen aber nicht vergessen, daß die besondere Stellung des Künstlers innerhalb der Gesellschaft sich nicht von dem Umstand lösen läßt, daß er stets — im Unterschied zu „den gewöhnlich Sterblichen“ — sein Publikum hinzureißen und zu verzücken trachtet.

DIESE GÖTTERKINDER ZWISCHEN OLYMP und unserer unmystischen Erde halten das Publikum zauberisch im Bann, sie erobern uns und füllen sogar mit mehr oder weniger interessanten Schlagzeilen unsere Presse. Sie werden verehrt, geliebt, sie sind Idole für so viele unserer Mitmenschen.

Sie stehen im Rampenlicht der Öffentlichkeit, auf Brettern, die die Welt bedeuten, sie werden bewundert, beneidet, sie werden in den Himmel gehoben, und wenn das Publikum ihrer überdrüssig wird, werden sie genauso schnell fallengelassen. Wir verdanken ihnen viele schöne Stunden, sie lassen unseren harten Existenzkampf im realen Leben vergessen. Wir aber vergessen indessen, daß diese Künstler auch nur „gewöhnlich Sterbliche“ sind, die »bar viel intensiver die verschie denen Lebensphasen eines Menschenlebens durchleben und daß ihnen das Älterwerden, das Platzmachen, das Abtreten in vielen Fällen besonders schwer fällt. Schiller wies dem Künstler den Platz in der Welt:

„Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze;

Drum muß er geizen mit der Gegenwart,

Den Augenblick, der sein ist, ganz erfüllen,

Muß seiner Mitwelt mächtig sich versichern

Und im Gefühl der Würdigsten und Besten

Ein lebend Denkmal sich erbauen.“

Kaum ein Mensch macht sich Gedanken darüber, was mit den Künstlern, die man verehrt hat, im Alter geschieht. Wenn die Publikumslieblinge finanziell Glück haben, ist ihnen ein gesicherter Lebensabend bestimmt; aber allzu viele von ihnen haben, wenn auch nicht finanzielle, so doch große seelische Nöte. Eiinst an Publikum, an Beifall, an Verehrung und Bewunderung gewöhnt, leben sie nun vergessen, einsam und verlassen.

NACH DEM ZWEITEN WELTKRIEG wurde der Verein „Künstler helfen Künstlern“ von Menschen gegründet, die in Not auch anderer gedachten. Wie zu jeder dieser großartigen Ideen, die in die Wirklichkeit umgesėtzt werden, gehörte auch hier eine Portion Mut, Liebe und sehr viel Arbeit dazu.

16 Jahre nach dieser Vereinsgründung konnte in Baden bei Wien das Künstleraltersheim eröffnet werden.

Baden bei Wien, eine der bezauberndsten Kleinstädte Österreichs, Kurstadt mit viel Romantik, wo der Hauch vergangener Zeiten noch weht, schien dazu prädestiniert zu sein, das erste Künstlerheim in Österreich zu besitzen.

Das Haus, in dem 42 alte Künstler eine Heimstätte fanden, war früher ein Offlziersheim. Es wurde neu adaptiert und zweckentsprechend eingerichtet. Im Garten steht ein Betonblock mit der Inschrift: „Dank der beispielhaften Opferbereitschaft der noch aktiven Künstler und der tätigen Unterstützung durch Freunde und Gönner könnte der von Hilde Wagener 1949 gegründete Verein ,Künstler helfen Künstlern' dieses Heim schaffen und im Mai 1965 eröffnen.“

Die 42 Zimmer sind architektonisch einheitlich gestaltet, ein Wohnschlafraum mit großen Fenstern, einer kleinen Teeküche und einem Waschraum, wobei ein jeder Künstler nach eigenem Geschmack, mit einigen eigenen Möbelstücken, Büchern und Bildern den Wohn- raum «inrichten konnte. So trägt ein jedes dieser Zimmer das „Gesicht" seines Bewohners.

Im Parterre befinden sich eine Küche, daneben der geschmackvoll eingerichtete Speisesaal, den man am Abend zu einer kleinen Bühne umwandeln kann, wenn von den Heimbewohnern oder von aktiven Künstlern Rezitationsabende gegeben werden. An Blumen darf es im Haus nicht fehlen, dafür sorgt Frau Bukovics, eine Heimbewohnerin.

Der Salon, in dem Barockmöbel sich mit bequemen Fauteuils behaglich vereinen, sowie die Repräsentationsräume im Bieder- įeierstil sind Schenkungen verschiedener Künstler, unter anderem von Mitzi

Günther, Hubert Marischka und Pucika Kasolin.

Eine Bibliothek befindet sich im Haus, in der auserlesene Stücke der Weltliteratur nicht nur für das Heim, sondern auch für die Spender sprechen. Künstler, Bibliotheken und Verlage traten als Spender auf. In diesem Reich, der Bibliothek, waltet Frau Kammerschauspielerin Han- zenbichl, die unter ihrem Künstlernamen Rumovi lange Zeit in Graz weilte.

DOYEN DES HAUSES IST die heute 92jährige Franciska Tasler- Ernotti, die stets gut aufgelegt im Haus herumspaziert und deren Lebensphilosophie zwar einfach, trotzdem so schwer durchzuführen ist: „Ich gib’ nicht nach und lache gerne, ja, im Leben muß man Humor haben! Wenn niemand lacht, dann lach’ ich alleine.“

Leo Slezak sagte einmal über Hedwig von Debitzka: „Sie war die einzige Desdemona, wo es mir leid tat, sie umbringen zu müssen.“ Hedwig von Debitzka lebt heute auch in diesem Heim. Sowie die Rosenkava- lier-Marschallin Maria Schipper- Olszevska, die such nach zahlreichen Weltreisen von deren Strapazen ausruht.

Hier finden wir aber auch Frau Kammerschauspielerin Käthe Ehren, die vor kurzem aus Amerika zurückgekehrt ist, wo die einstige Soubrette am Carltheater junge Künstler in San Francisco unterrichtet hat; und Frau Falk-Giampietro, die durch ihren Witz im Kabarett vielen Leuten „Pfeffer unter die Nase“ gerieben hat.

In diesem Haus lebt aber auch Friedrich Neubauer, der als Star unter der Direktion von Karczag und Luis Treumann gewirkt bat und heute mit Gedichten die Heimbewohner von Zeit zu Zeit unterhält. Nicht zu vergessen wäre Max Bre- b eck, der auch 52 Jahre Mitglied des Theaters in der Josefstadt war.

WENN DER ARZT — einmal in der Woche — kommt, macht man sich für die Konsultation besonders hübsch.

Jeder einzelne der Heimbewohner, sowohl Damen wie Herren, ist sehr gepflegt. Die Heimleiterin erzählt: „Die Herrschaften fangen schon um acht Uhr an sich für das Mittagessen herzurichten.“

Auf der kleinen Bühn» des Hauses spielen immer wieder namhafte Künstler, aktiv tätige, und erweisen auf diese Weise durch kostenlose Darbietungen den älteren „pensionierten“ Kollegen ihre Ehrerbietung.

So findet jedes Jahr in Zusammenarbeit mit dem Kulturamt der Stadt Baden eine Abendveranstaltung unter dem Motto „Und es blitzen die Sterne“ statt. Angeregt wurde dieser Abend von dem früheren Stadtrat des Kulturamtes und heutigen Bürgermeister Badens, Viktor Wallner. Diese Veranstaltungen sind sehr beliebt, und wenn auch mitunter die Organisation Schwierigkeiten hat, um die Künstler, die unentgeltlich auftreten, freizubekommen.

Bei dieser Aktion wirkten im vergangenen Jahr, natürlich unentgeltlich, das Volksopernballett, Choreographie Dia Lucca, sowie Susi Nico- letti, Renate Holm, Cissy Craner,

Ernst Waldbrunn, Maxi Böhm, Peter Hey, um nur einige zu nennen, mit.

DER VEREIN „KÜNSTLER HELFEN KÜNSTLERN“ betreut noch zahlreiche andere Künstler, die in diesem Heim durch den vorhandenen Platzmangel keine Aufnahme finden konnten.

In Wien allein gibt es 200 „Pfleglinge“. Das Heim ist die erarbeitete „Krone“ des Vereines,'und wenn wir sagien, „ernst ist das Leben, beiter die Kunst“ — so müssen wir froh sein, daß man in unserer oftmals als so kaltherzigen Welt noch Herz und Zeit besitzt für die Interpreten dieser „Heiterkeit“ und sie im Alter nicht vergißt und alleine läßt

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