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Ein polnischer Alptraum

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FOLGE IHM DURCHS TAL. Von Marek Hlasko. Aus dem Polnischen von Janusz von Pilecki. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln — Berlin. 278 Seiten. DM 22.—.

Das Experiment, das die osteuropäischen Völker nach 1945 begonnen hatten, verhieß ihnen nach allen Regeln der Logik die schönsten Aussichten und nach allen Sprüngen der Dialektik die glücklichsten Ergebnisse. Das erklärte den heißen Enthusiasmus zunächst für das kommunistische Regime und später für die Hoffnung während der Tauwetterrevolte, als sich eine Chance der Menschlichkeit bot; es erklärt aber auch den hohen Grad von Bitterkeit, Abgebrühtheit und pauschaler Skepsis, wo solche Chancen von der Politik und der Polizei zunichte gemacht wurden. Die Situation im Osten und darin den Sonderfall Polen (das zweihundert Jahre geteilt war und nie ein Staatsgefühl entwickeln konnte) charakterisierte der Erzähler und Essayist Adolf Rud-nicki 1956: „Anderswo in der Welt ist vielleicht Platz für schöne Kunst, aber wir hier, wir hier im Osten und wir hier in Polen, sind zu arm für schöne Kunst ... Wir waren immer zu arm, darum hat unsere Literatur geschrien. Sie hat die Ausländer peinlich berührt — uns begann sie peinlich zu berühren, wenn sie aufhörte zu schreien.“

Ein Großteil der polnischen Tauwetterliteratur, die seit etwa 1954 mit den Entartungen und Fehlern der unmittelbaren Vergangenheit abzurechnen begann, stand noch unter dem Vorzeichen der Mitverantwortung und der Schuldkomplexe der älteren und mittleren Generation. Jüngere Autoren dagegen, die in diesen Jahren ziu Wort kamen, waren weder Zeugen noch Betroffene von einst; sie brauchten nicht erst die Einflüsse des sozialistischen Realismus zu überwinden, denn ihre Prosa war eine offenkundige Reaktion auf das falsche Dogma. Unter ihnen der bald als große, ursprüngliche Begabung gerühmte Marek Hlasko (Jahrgang 1933). Schon sein Erstlingswerk, ein Band Erzählungen, wurde von einer Jury, die sich aus der literarischen Elite Warschaus zusammensetzte, mit dem „Literaturpreis 1957“ ausgezeichnet. Ein weiterer Band enthielt unter anderem die berühmt gewordenen Erzählungen „Der achte Tag der Woche“ und „Die Friedhöfe“. Der Zusammenbruch von Idee und Glaube war das immer wiederkehrende Thema; der von geheimem Phatos erfüllte Protest formte sich zum Aufschrei. Hlasko beschrieb die materielle und moralische Verelendung seines Volkes, spann seine Tragödien aus dem Nachkriegsalltag des kommunistischen Polens (insbesondere Warschaus) mit seiner nackten Lebensnot, seinem erstrickenden politischen Klima, diesen Alltag aus Dumpfheit und Zügellosigkeit, aus Korruption, Trunksucht und Wohnuntgselend. Das war weit anehr als bloße Zeit- und Milieuschilderung zum gewonnen Krieg und verlorenen Frieden, das war Kunst und Information in einem. Hinter jeder dieser politischen Erzählungen spürte man die große Sehnsucht des verkappten Romantikers nach echtem Gefühl und seine bittere Enttäuschung, den Menschen in ein System gepreßt zu sehen, in dem er nicht menschlich bleiben konnte. Dagegen richtete sich sein Protest, ganz im Sinne des prachtvollen Satzes: „Ich glaube an die Auflehnung als höchste Form der Liebe der Jugend zum Leben“, den er in einem Brief an das kommunistische Parteiorgan Polens schrieb.

Im nachgelesenen Roman hatte sich Hlasko ein Gespenster-Polen aufgebaut, eine nahezu abstrakte Kulisse des Terrors, der Hoffnungslosigkeit Angst und Verzweiflung, vor der die Menschen, getrieben und gehetzt, agieren. Alle hasten sie mit erbitterter Intensität einer bescheidenen und so oft versagten Wunscherfüllung entgegen. „Ich bin einfach die ganze Zeit über gerannt. Das ist alles“, faßt der dem Gefängnis entgangene, aus England heimgekehrte Jagdflieger, die Hauptgestalt des Buches, am Ende sein Leben zusammen. Zweimal hat er es mit den Frauen gehalten, deren Männer unschuldig aus politischen Gründen verurteilt worden waren. Alle suchen sie den zweiten Menschen, weil sie in der Liebe die Wahrheit zu finden hoffen, und wenn schon nicht sie, so doch den Mitmenschen oder die Gefährtin. „Folgte ich Dir auch ins Tal des Todes, ich werde das Böse nicht fürchten, denn Du bist mit mir.“ Zweimal an entscheidender Stelle wird der Vers zitiert, der auch im Buchtitel aufscheint. Der Eindruck des unfertigen Werkes ist zwiespältig: Ergreifendes steht neben Derbem, Elementarem, wobei die Unterleibsrealistik bisweilen allzu kraß Grobschlächtiges streift (vielleicht auch bedingt durch das unzureichende Ubersetzungsvokabular für diese Sphäre). Situationen wiederholen sich, Dialoge laufen leer, aber dann gibt es wieder Partien, die faszinieren. Wie saft- und kraftvoll ist die Humorgestalt des Onkel Josef gezeichnet (dem Sätze wie: „Eines wirst du niemals kennenlernen: Verzweiflung, ohne die es unmöglich ist, die Welt und sich selbst wirklich zu lieben“ entschlüpfen); wie ergreifend, wenn der Hauptakteur mit IHM hadert. („Man findet IHN nur im Unglück. — Das ist auch der Grund, warum Er lebte, lebt und ewig leben wird“). Packend die Episoden des Grauens: gleich zu Beginn der Bericht des Reisenden im Eisenbahnabteil, der nur schwer verständlich sprechen kann, weil man ihm bei den Verhören alle Zähne eingeschlagen hat, und der erzählt, wie er sich, nur um freizukommen, als Henker eines Mithäftlings betätigt hat und nachher erfahren mußte, daß ein Unschuldiger hingerichtet wurde („Töten, um zu leben“). Oder die minutiöse Schilderung der Exekution eines Delinquenten am Galgen. An diesen und ähnlichen Stellen erinnert Hlaskos Darstellungsprinzip der Desillusionionierung an jenen epischen Realismus, wie ihn Hemingway so virtuos gehandhabt, dessen Einfluß auf Hlaskos Tonfall mit seiner harten Lyrik unverkennbar ist. Man bedauert, daß es ihm nicht mehr beschieden war, seinen Roman in die endgültige Form zu bringen. Mag auch die soziale Realität in Gomulkas Polen weniger düster sein als dieser ganz in fahle Endzeitbeleuchtung gerückte Alptraum des Romans, in den fast nie ein Strahl der Hoffnung dringt, so ist er doch als eine „Ungerechtigkeit, die in Bewegung ist“ — wie Hlasko es nannte — wenn auch nicht überall, so doch in vielen Teilen unserer Welt möglich. Mit etlichen Variationen eigentlich überall.

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