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Ein Probegalopp?

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Ein europäisches Wahljahr ist angebrochen. Oesterreich wählt am 22. Februar seine neue Volksvertretung. Italien und Deutschland werden folgen. Schwer fallen die Würfel... Allein der Auftakt ist bereits gemacht: wir sprechen von den Hochschulwahlen, die kürzlich über zehntausend junge Oesterreicher an den Urnen sahen. Eine Episode am Rande der großen Politik — gestern aktuell, heute beinahe schon überholt, morgen aber bestimmt aus dem Gedächtnis der Oeffentlichkcit getilgt und in Vergessenheit geraten? Vielleicht; wahrscheinlich sogar. Wenn man aber auch nicht, wie dies da und dort geschehen ist, die Studentenwahlen als eine Art von „Probegalopp“ für unmittelbar bevorstehende größere Entscheidungen ansehen kann, so spricht doch alles — und das sind in diesem Fall die Erfahrungen vergangener Jahrzehnte — dafür, jeden, auch den feinsten Ausschlag des politischen Stimmungsbarometers der jungen akademischen Generation gewissenhaft zu registrieren.

Um von allem Anfang an kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: zu ernsterer Besorgnis besteht nicht Anlaß. Auch die Studenten der „Nachkriegsgeneration“ haben, gleich ihren älteren Kollegen, die als sogenannte „Kriegs- oder Heimkehrergeneration“ in den Jahren nach 1945 mit hungrigen Mägen und in Uniformblusen die Hörsäle und Institute unserer hohen Schulen bevölkerten, dem von christlich-demokratischen Studentenorganisationen und reinen Fachvertretern gebildeten „Wahlblock österreichischer Akademiker (FOeSt)“ einen schönen Vertrauensbeweis gegeben. Selbsttäuschung wäre es aber, zu übersehen, daß dieses Vertrauensvotum 1946 von über 75 Prozent aller Hörer, 1951 von 62 Prozent und nun vor wenigen Tagen von nicht ganz 50 Prozent erteilt wurde. Und der Rest der Stimmen? Hatten schon alle vorhergehenden studentischen Wahlgänge bewiesen, daß der Werbekraft des Sozialismus auf akademischem Boden eine klare Grenze mit ungefähr 20 Prozent gesetzt ist, so mußten die sozialistischen Studenten diesmal einen Rückgang der Sympathien auf 16,65 Prozent zur Kenntnis nehmen. Dies ist um so bemerkenswerter, als die sozialistische Fraktion nicht nur durch beinahe zwei Jahre in heftiger Opposition in der studentischen Selbstverwaltung stand, sondern auch eine massive und ziemlich hemdärmelige Kampagne in sehr kurzsichtiger Weise fast ausschließlich gegen den „Wablblock“ beziehungsweise einen seiner Verbände richtete. Cui bono? Da der Kommunismus mit 1,88 Prozent unter den jungen Akademikern am Rande seiner Existenz überhaupt angekommen ist, bleibt nur noch eine Gruppe übrig: Da, wieder da, ist dasnational-IiberaleLagef. Sein Kern die in den letzten Jahren aktivierten Burschenschaften und andere Korporationen verwandten Couleurs. Seine Vertretung: der „Ring freiheitlicher Studenten“, voraussichtlich mit dem Vorsitz im Studentenausschuß an der Tierärztlichen Hochschule in Wien, der Technik Graz, der Montanistischen Hochschule Leoben — mit 32 Prozent aller ab-gebenen gültigen Stimmen.

So viel — sagen jene, die die frische zukunftsweisende Sinnesart der österreichischen Hochschüler in den ersten Nachkriegsjahren gekannt haben und die auch heute noch nicht an die Automatik des restaura-tiven Charakters unserer Epoche, über den man in Deutschland so gerne diskutiert, glauben wollen.

So wenig — meinen wieder andere, die noch die unumstrittene und alles andere als freiheitliche Herrschaft des „nationalen“ Elements auf Hochschulboden in der Zwischenkriegszeit oder gar um die Jahrhundertwende in wacher Erinnerung haben, als es für katholische und andere Studenten nur ein Schattendasein in einem verfehmten Winkel gab.

Dennoch wird der Beobachter dieser, wenn auch zahmen „Normalisierung“ ein Frösteln nicht los. Findet nicht vor seinen Augen die Wiederaufführung der sehr blassen Kopie eines alten, schon verschollen geglaubten Films statt? Noch ist alles in Ordnung, noch ist die Handlung tadellos in Schwung und nichts Außergewöhnliches, geschweige denn Besorgniserregendes in ihr zu entdecken. Allein — er kennt das fatale Ende...

Genug der Bedenken. Schon in naher Zukunft wird sich zeigen müssen, ob sich jenes dritte „historische“ Lager der österreichischen Innenpolitik in der Rolle der Nachhut einer in Blut und Trümmern untergegangenen Ideologie gefällt oder ob es sich zu einem erfreulicheren Profil wird durchringen können. Die in dem Mitteilungsblatt „Der Ring“ letzthin ausgesprochenen Gedanken klingen ruhig und durchaus einer Aussprache wert. Auf der anderen Seite freilich stehen unüberlesbar und nicht zu überhören Bekenntnisse, wie die des Schriftstellers Zillich und jenes prominenten Mandatars, der (1953 bitte, nicht 1893 oder 1933!) nichts anderes zu bieten hat als eine neue Variation des Schönerer-Wortes vom Schielen und Schauen aufs deutsche Vaterland. Ein klares Ja zum freien österreichischen Staat, nicht nur, wie dies gerne und weniger verbindlich oft genug geschieht, zur österreichischen Heimat wird einem Europabekenntnis vorausgehen müssen, das, nicht mehr oder weniger verschlüsselt, sehr einseitigen Aspirationen Unterkunft gewährt. Aus dem Geist der Julkneipe kann keine Zukunft gebaut werden, geschmolzen in Bränden von ganz anderen Dimensionen sind die blauen Kerzen, und die Kornblume im Knopfloch verträgt sich kaum mit dem Grün der Europafahne. Klar müssen sich die Geister scheiden.

Aber auch im eigenen Haus sind Ueber-legungen durchaus am Platz. Auf Hochschulboden werden die Leute des „Wahlblocks“ vielleicht überlegen, ob es nicht gut wäre, die als Vertretung nichtkorporierter Studenten 1945 gegründete „Freie österreichische Studentenschaft“ mit stärkerer Aktivität wie in den letzten Jahren zu erfüllen. Sonst aber heißt es die Zeit dazu zu nützen, für eine stärkere Heranziehung der Akademiker bei der Konsolidierung unseres Staatswesens zu sorgen und endlich durch Beseitigung der drückenden materiellen Not.vieler unserer geistigen Junga rb.e i t e r diese nicht auf Wege zu drängen, die der Großteil von ihnen wissentlich gar nicht gehen will.

„Probegalopp“ im landläufigen politischen Sinn waren also die Studentenwahlen des vergangenen Monats bestimmt nicht. Wohl aber eine günstige Gelegenheit, einmal, wieder einmal einzuhalten und auszusprechen, was not tut: Oesterreich und seine Demokratie können es sich nicht erlauben, durch Unterlassungen zum zweiten Male in einem Menschenalter die Jugend und damit die Zukunft aufs Spiel zu setzen. Die jungen Menschen selbst aber werden sicher nicht leichten Herzens die wiedergewonnene Heimat und die erst halb errungene Freiheit gering einschätzen. Der Schaden wäre für beide- Teile gleich groß.

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