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Ein radikales „Zurück zur Natur“

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Das Gespräch, das ich in diesen Tagen mit einem einfachen Mann aus der Ortschaft Djuma (im Randgebiet des Rebellenzentrums vom Kwilu) hatte, ließ das Endergebnis seines langgehegten Nachsinnens über die Enttäuschungen seiner Unabhängigkeitserwartung klar durchblicken. Er ging zurück auf den Ursprung des Übels und fragte sich, wie es nur kommen konnte, daß ihr einst so freies Stammesleben in die Knechtschaft eines raffinierten Verwaltungsapparates geraten war und in eine Welt, wo man ohne schöne Kleidung, Geld und Schule nicht mehr leben kann. Mit Einfalt und einem gewissen natürlichen Spürsinn glaubte mein Gesprächspartner, der Sache auf dem Grund gekommen zu sein, und er schüttete vor mir vertrauensselig sein Rebellenherz aus. Er war in seinen Überlegungen so aufrührerisch, daß er bereits jegliches Vertrauen auf irgendeine Staatsform wie auch die Hoffnung auf jede höhere Zivilisation über Bord geworfen hatte, und er war sich der Konsequenz bewußt, daß demnach alles, was die neuangekommene, im Aufschwung stehende Zivilisation gebracht hat, ausgelöscht werden müßte. Ich mußte gestehen, daß auch an der Wiege mancher Kongorevolutionäre Dorf- und Savannenphilosophen stehen, die, wie die Paten der französischen Revolution, ein radikales „Zurück-zur-Natur“ predigen, in der man das „verlorene Paradies“ wiederzufinden vermeint.

Resümee einer Rebellenphilosophie

„Seitdem die Weißen zu uns gekommen sind, ist uns der Kopf schwer geworden“, begann mein Gesprächspartner das lange Resümee seiner Rebellenphilosophie. „Das ganze Übel kam mit dem Geld. Der weiße Mann führte das Geld ein, und in der Folge wurde das Leben ohne Geld unmöglich. Um aber auch nur ein wenig Geld zu haben, mußte man schwer arbeiten und sich beim Weißen in den Dienst stellen. Unsere Vorfahren hatten noch die wahre Unabhängigkeit. Sie kannten kein Geld und waren keines Herren Diener. Sie lebten einfach und zufrieden in ihren Dörfern, machten sich ihre Kleider selbst, teilten sich ihre Arbeit nach eigenem Gutdünken ein. Sie hatten ihre Frauen, ihre Kinder, ihr Essen und ihren Palmwein. Es gab keine Steuern, kein Kaufhaus, keine Ausgaben für Kleider und Schuhe.“

„Aber das Leben eurer Bambuta (.Vorfahren') war doch gar nicht so rosig“, wandte ich ein, „sie standen den Krankheiten ganz hilflos gegenüber, und mitunter starben ganze Dörfer an Epidemien aus.“

„Was die Krankheiten angeht“, sagte er, „haben unsere Bambuta eine bedeutende Kenntnis von Heilmitteln gehabt, die zum Teil den Medikamenten der Weißen ebenbürtig waren.“

„Und die Kindersterblichkeit“, warf ich neuerdings ein, „über die Hälfte aller Kinder starb noch im Säuglingsalter!“ „Yo ikele mambu na Nzambi“ entgegnete er, „das ist eine Sache von Nzambi (,Gotf).

Wenn er die Kinder zu sich ruft, wollen wir nicht trauern. Wir zeugen andere.“ Der Verweis auf Gott und die Ubernatur ist unter unseren Leuten eine Alltäglichkeit; aber ich wollte auf diese billige Antwort nicht weiter eingehen. Ich griff den Gedanken von der Abschaffung des Geldes auf und fragte: „Wie sollen die Menschen in den Städten und Zentren leben, wenn sie keine Geldwerte haben?“ „All diese Städte haben die Weißen gebaut, und sie entsprechen nicht unserer Lebensart. Jeder sollte in sein Dorf zurückkehren, und die Städte blieben verlassen zurück. In der Stadt ist der Mensch ein Sklave des Geldes. Dort ist ein freies Leben nicht möglich, ausgenommen für einige Reiche.“ „Die Städter wollen doch gar nicht ins Dorf zurück“, hielt ich meinem „schwarzen Rousseau“ entgegen, „sie lieben die schönen Kleider, die neuen Wohnungen, das Stadtleben mit seiner Muße, dem Kino und Theater, der Bar und dem Tanz.“ „Die Geruhsamkeit des Dorflebens mit seinen Freuden und seiner Sorglosigkeit ist noch schöner. Die Kleider sind vom Weißen gebracht worden, und sie sind ein vorzügliches Mittel, das für die Arbeit ausbezahlte Geld wieder zurückzuholen. Unsere Bambuta waren darin unabhängig und fabrizierten sich Rind- und Bastschürze und hatten damit eine billige und ausreichende Kleidung.“ In diesem Zusammenhang sei erwähnt, daß die Erwachsenen noch heute den Kindern drohen, die ihre Kleider nicht anziehen wollen: „Wenn dich ein Mundele (.Weißer') sieht, wird er dich einsperren!“ „Aber ihr seid doch jetzt frei und unabhängig und könnt ins Dorf zurückgehen, um dort nach eurer herkömmlichen Art zu leben“, wandte ich meinem Gesprächspartner ein. „Unter dem gegenwärtigen Regime ist das nicht mehr möglich. Wer nicht arbeitet, kann seine Steuern nicht bezahlen und wandert ins Gefängnis. Um auf dem Dorfe neuerdings glücklich zu leben, müssen wir auch die Staatsgewalt und ihren gesamten Verwaltungsapparat beseitigen.“ „Im Dorf leben der Bambuta waren ja doch nur die Männer bevorzugt; sie hatten viel Muße und

Freizeit. Die Frauen aber wurden als Arbeitssklaven gehalten und hatten die Hauptlast des Lebensunterhaltes zu tragen“, hielt ich meinem Dorfphilosophen wiederum entgegen, aber darauf ging er nicht ein. Die Stellung der Frau ist in der traditionellen Gesellschaft sehr niedrig, und die Männer haben über diese Frage kaum je nachgedacht. „Sollten eure Kinder demnach auch gar nicht zur Schule gehen?“ fragte ich weiter. „Die Schule und das ganze undurchsichtige Staats- und Verwaltungswesen, die Technik und Wissenschaft sind mit den Europäern zu uns gekommen, und wir bekommen dadurch nur verwirrte Köpfe und können so vieles nicht verstehen. Die althergebrachte Lebensart unserer Vorfahren braucht das alles nicht.“

Zurück zur alten Dorfherrlichkeit

„Ihr wollt also auch keine höhere Zivilisation?“ — „Nein“, beteuerte der Rebell, „wenn wir wieder glücklich werden wollen, müssen wir zur Lebensart unserer Vorfahren zurückkehren.“ Ich zeigte lachend auf seine schöne Armbanduhr^und sagte: „Das gehört also auch nicht zu einem Dorfleben nach Art eurer Bambuta!“ „Diese Uhr schenkte mir ein Pater, bei dem ich lange Jahre im Dienst war.“ Tatsächlich ist der Mann selbst Christ, und er achtet die Missionare als „Nganga Nzambi“, „Mittler zwischen Gott und dem Menschen“; die Vorstellung von der Rolle des Priesters ist bereits in ihrem vorchristlichen Religionssystem anzutreffen. Dennoch sind seine Ideen ganz und gar gegen die Arbeit der Missionare, die mit dem Aufbau des Reiches Gottes eine bedeutsame Kulturerneuerung bringen. Und überall, wo diese rebellischen Ideen zu Aufständen führten, wurden ohne Unterschied Schulen, Missionen, Polizeiposten und Verwaltungsgebäude gestürmt und vernichtet. Als Mulele im Kwilu seine Aufstandsbewegung organisierte, begeisterte er die unwissende Dorfjugend mit der Idee von der wahren und eigentlichen Unabhängigkeit, die in der alten Dorfglückseligkeit enden sollte, und seine Rebellion richtete sich gegen jede bestehende Ordnung. Mit seinem in Rotchina erlernten Alphabet teilte er die im Kongo lebende Bevölkerung in drei Gruppen:

• Die Ausländer oder Imperialisten, die das Land um seine Reichtümer bringen.

• Die Staatsbeamten, Funktionäre, Polizisten und Soldaten, die das Volk niederhalten.

• Das arme Volk und die Arbeiter, die im Elend leben.

Durch den allgemeinen Volksaufstand sollten die beiden ersteren vernichtet werden, um das „arme Volk“ zur alten, geruhsamen Dorfherrlichkeit der Vorfahren zurückzuführen. Daß derartige Vorstellungen nur unter einfältigen Savannenbewohnern lebendig werden konnten, liegt auf der Hand. Rotchina wollte sie benützen, um nach der hergestellten Unordnung die alle befreiende kommunistische Ordnung aufzubauen. Der einfache Mann mit seinen rebellischen Ideen ahnt nicht, daß er über Nacht zum Spielball einer unbarmherzigen Weltmacht und damit grob mißbraucht werden kann.

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