6766199-1968_35_17.jpg
Digital In Arbeit

Ein Schulbeispiel

19451960198020002020

DIE REVOLUTION REHABILITIERT IHRE KINDER. Hinter den Kulissen des Slän&ky- Prozesses. Von Eugen Löbl und Dusan Pokorn Übertragung Ins Deutsche von Paula Mrr und Peter Aschner. Europa-Verlag, 1968, 228 Selten. Paperback, S 98.—.

19451960198020002020

DIE REVOLUTION REHABILITIERT IHRE KINDER. Hinter den Kulissen des Slän&ky- Prozesses. Von Eugen Löbl und Dusan Pokorn Übertragung Ins Deutsche von Paula Mrr und Peter Aschner. Europa-Verlag, 1968, 228 Selten. Paperback, S 98.—.

Werbung
Werbung
Werbung

So haben wiir es am akademischen Gymnasium gelernt: Cicero lehrt — accusativus cum inflnitivo —nur unter Guten könne Freundschaft bestehen. Das war eben die klassische, vernünftige Auffassung der Antike. Dann haben wir die sentimentale, romantische Vorstellung von Sturm und Drang kennengeilemt; sowohl Schumdhefte als auch die vorgeschrie- oene Lektüre von Schillers „Räubern“‘ zeigten uns die Räuberehre des verschworenen Haufens von Kameraden. Seither haben wir so manches an solchen Männerbünden erlebt. Ihre Ehre hieß Treue, das schrieben sie auf — nun, eben auf Dolche, und sterbend stießen sie einander aus ihrer Partei in einem „Delirium von Verrat“. (Sagten sie.) Hier ein neues Schulbeispiel; ein Beispiel, meine ich, das unser altes lateinisches Übungsbuch bekräftigt.

Der vorliegende Band ist, wohlgemerkt, sehr ungleich auf die Autoren aufgeteiit. Von Dusan Pokorny stammt nur ein Zehntel — ein Essay über „Gerichtsprozeß und Geschichtsprozeß“. Das scheint recht geistreich geschrieben, aber wenig schlüssig zu sein doch vielleicht irren wir in beidem. Man sieht hier nämlich klar die Tatsache (wessen Schuld sie sein mag, ist eine andere Geschichte), daß unsereiner ein auf parteichinesisch verfaßtes Argument nicht mehr verstehen kann. „Diese Projekte harren wohl in mehr als einer Hinsicht noch ihrer Auswertung durch eine umfassende Analyse, ohne Vorurteil, gleichviel, ob dieselbe nun aus unüberwundenen Einflüssen der staldnistischen Deformierung des Marxismus oder aus deren traditionellen, des anthropologischen Ausgangspunkts und der dialektischen Auffassung im Sinn der konkreten Totalität beraubten Stereotyp entspringen“ nemtu- dum. Aber das eigentliche Buch ist ja von Löbl; es beschreibt seinen Anteil am Prozeß gegen Slänsky und andöfe ,, Zionisten“. igsi’—sis?

Es- fällt uns gar nicht ein, den Tnhsflt dieser Schilderung Wiederzugeben, Erstens Ist das Publikum durch die unqualifizierbaren Fdlm- industriellen gerade sattsam mit Folterungen versorgt. Zweitens ist es viel wichtiger, die ganz eigentümliche Bewandtnis (dieser Schauprozesse klarzustellen. Ein Prozeß im Wachen geht darum, ob der Angeklagte ein Verbrechen begangen hat oder unschuldig ist. Ein Prozeß im Alptraum fügt sich diesem Schema in keiner Weise ein. Die Angeklagten hatten nämlich die Taten freilich nicht getan, die in den Geständnissen standen — doch gerade darum waren sie schuldig. Sie waren gerade darum schuldig, weil man sie verurteilte für Dinge, die sie nicht getan hatten. Wie!? Nun ja, wir sind in einem Alptraum — aber hier ist die Sache ganz logisch. Eine Regierung, die Menschen köpft für etwas, was sie nicht getan haben, ist eine Regierung von Verbrechern. Einer Gesellschaft von Verbrechern zur Regierung zu verhelfen, ist ein Verbrechen. Die Angeklagten im Slänsky-Prozeß waren alle Kommunisten, welche der Regierung zur Machtergreifung verholfen hatten. Je klarer sie also heute nachweisen, daß man sie bestraft hat aus unwalhr- haftigen Gründen, desto klarer ist es, daß sie eines Verbrechens gegen ihre Landsleute schuldig waren.

Freilich ist es wahr, daß der ganze Prozeß einen nicht nur deutlichen, sondern unverhüllten, absichtlichen judenfeindlichen Charakter trug. Wie kam denn das — keine zehn Jahre nach dem Nürnberger Prozeß? Es kam daher, daß die Regierung damit rechnete, mit einem judenfeindlichen Eingriff Beifall zu ernten. Und wie kam denn dies — zehn Jahre nachdem die tschechoslowakische Öffentlichkeit die Judenfeinde des „Arijsky boj“ (Arischer Kampf) bei währender Okkupation wie die Krätzigen betrachtet hatte? Es kam eben auch daher, weil Slänsky und Gemdnder und Simone und Löbl dias Ihre getan hatten, um Gattwald und Zäpo- tocky zur Machtergreifung zu verhelfen. In der Form des Paragraph 19: „Es ist unwahr, daß die Angeklagten gegen den Kommunismus konspiriert haben; wahr ist vielmehr, daß sie sich und der ganzen Tschechoslowakei diese Regierung schenken geholfen haben.“

Woher dann aber diese unmenschliche Verfolgung? Es hat ja bekanntlich die schon ganz kafkamäßige Episode gegeben, daß ein Häftling meinte, die Faschisten hätten die Macht ergriffen — weil er, Jude und Kommunist, verschleppt und ge prügelt wurde. Das taten aber Kommunisten — und warum? Wiederum — Alptraum, verkehrte Welt. Das hat ja schon so angefangen. Als nach der „Februarrevolution“ schon längst demokratische Sozialisten in Haft waren, hat sich gegenwärtiger Rezensent noch aller bürgerlicher und einiger fürstlichen Ehren erfreut; denn ihm traute man ja nicht zu, mehr als etwa den Gemeindeausschuß anzustreben. Ein demokratischer Sozialist aber konnte Minister werden! Und als es damit aus war, ja da waren nur noch die Parteigenossen untereinander im Wettkampf Also Kommunisten in Haft, Kommunisten vor Gericht — nach langer Haft (immer die verkehrte Welt). Und vor Gericht die Geständnisse.

Und da ist noch eine Erklärung nötig. Warum sind die Geständnisse so blöd? Erstens natürlich — weil die Schergen blöd waren. Da konnten die Häftlinge offenbaren Unsinn absichtlich bekennen; oder die Margen haben sich völligen BlödsimNftfc- gedacht. Aber damit ist lange niSPc alles erklärt. Es gibt bei den Kommunisten gute Psychologen (unnötig zu sagen: viel bessere als bei der Kon kurrenz, der Gestapo); und die mußten wissen, wie Geständnisse wirken, die durchaus im Stil einer (unsachlichen) Anklage abgefaßt sind. „Durch unsere feindliche Tätigkeit“, „‘das Ergebnis aller meiner verbrecherischen Eingriffe“, „da sich das staatsfeindliche Verschwörer- zentrum feindlich betätigte“ — diesem Ton reden die Angeklagten; glaubte auch der blödeste Häscher, diese Reden würde auch der blödeste Hörer für echte Geständnisse halten? Natürlich nein; aber der Triumph der Selbstherrschaft bestand darin, daß die Öffentlichkeit solchen Mist mit Beifall aufzunehmen hatte.

Das war also damals. Heute „rehabilitiert die Revolution ihre Kinder“. Es ist also zu hoffen, daß die spätere Regierung aus dem Schicksal der „alten Kämpfer“ etwas gelernt hat. Sie mag innegeworden sein, daß ein Rechtsstaat auch für den Herrscher seine Vorteile hat; sie wünscht hoffentlich, einen Rechtsstaat zu bekommen. „So wie früher“, sagte man in Prag. Es hat ja schon Regenten gegeben mit Wahlsprüchen wie „Recta tueri“, „Justicia regno- rum fundamentum“ oder „Veritas vincit“.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung