6584496-1951_37_15.jpg
Digital In Arbeit

Ein spanischer Dramatiker

Werbung
Werbung
Werbung

Unter dem Namen „W h a t m o r e“ stellt Hans W e i g e 1 als Ubersetzer, Bearbeiter, (Nach)-Dichter in der Josefstadt einen Schwank auf die Bühne, der in allem und jedem Abgesang der Sommersaison sein will: „Grüne Jalousien“. Der Versuch eines Cocktails aus Tragödie, Komödie, Travestie und sozialkritischer Studie. Von allem etwas, ein wenig, der Ernst des Ansatzes wird überrollt vom Burlesken, es siegt die Groteske auf der ganzen Linie. — „Grüne Jalousien“, das ist das Symbol der Hoffnungen, Sehnsüchte und Wahnträume einer Frau der englischen Mittelstandsgesellschaft: ein vornehmes, reiches Leben in einem komfortablen Haus, das seine Schätze verbirgt hinter „grünen Jalousien“. Diese an Jahren reife, innerlich infantil gebliebene Frau verläßt also ihren Gatten, eine verträumte Künstlerseele, unter Mitnahme ihrer Kinder (die arge, verzogene Rangen sind) und verhofft sich die Heirat mit einem millionären Lord. Dieser unvorsichtige Greis findet sich aber in letzter Minute mit dem Exgatten, der nun unter seiner Assistenz das treubrave herzliebe Dienstmädchen als (zweite) Ehefrau heimführt. — Eine krude Historie, deren innere Brüchigkeit sich spiegelt in der erbarmungslosen Härte der erfolgs- und geldhungrigen „jungen Generation“, geschart um die alternde Ehefrau, ihr gegenüber die beiden Männer, im Zwielicht des unsicher tastenden Herzens. — Viel rettet das Spiel: das natürlich-herzwarme Zusammenspiel Heli Ser-vis und Leopold Rudolfs.

Die erste große Herbstpremiere Wiens darf in jeder Hinsicht als ein Erfolg gewertet werden. Das Volkstheater hat es gewagt, Alejandro Casona Wien vorzustellen mit einer „Komödie“ „Bäume sterben

aufrecht“, hier unter dem Titel „Illusionen“. Casona ist der überlebende spanische Dramatiker der Jetztzeit, der Freund starb unter den Kugeln der Falange, 1936: Federico Garcia y Lorca, ein Jüngling,' der nahezu ein Weltwunder war an Begabung, weitausholender Tiefe und maurischer Seltsamkeit (seine Werke wurden und werden in der ganzen freien Welt gespielt — bei uns will die Burg sich heuer an ihn wagen). Ist es denn so ein Wagnis, diese Spanier auf unsere Bühne zu bringen? Nein und ja.

Nein, denn ihre „Geschichten“, ihre Stories malen zumeist scheinbar recht simple, jedermann verständliche Begebnisse, fast wie Moritaten (sie kommen von der Volksbühne her, vom Versuch, dem einfachen spanischen Volk Klassiker und Klassisches mundgerecht vorzubringen). So auch der heute in Südamerika lebende Casona hier. Was erzählt er uns? Die Geschichte von zwei jungen Leuten, die auf etwas- ungewöhnliche Art zusammenkommen, dann einem alten Paar die

ersehnte Wiederkehr des Enkels vorspielen, im Konflikt zwischen Spiel und Wirklichkeit, im Zusammenstoß zuletzt auch noch mit dem tatsächlich heimkehrenden verbrecherischen, verkommenen „verlorenen Sohne“ neue Augen bekommen; für sich selbst, für ihre Umwelt, für ihre Mitmenschen, Neben dieser Geschichte, und in sie verflochten, steht die Legende, ein heroisches Epos, der grande dame, der „Großmutter“, der ihr besorgter Gatte zwanzig Jahre lang durch fingierte Briefe das Leben ihres geliebten Enkels so vorgemalt hat, wie sie es zu sehen wünschte. Im Blitzlicht weniger Sekunden durchschaut diese große alte Frau im Angesicht des Heimkehrenden die Illusion ihres Lebens — und trägt sie aus zur heilsamen Enttäuschung. — Hier aber ist nun ein Wort über das „Ja“ zu sagen — über die große Schwierigkeit, einen Spanier auf unsere Bühne zu stellen. Unserem österreichischen Leben, unserem Theater mithin auch, fehlt heute jedwedes Verständnis für das Unbedingte — für jenes große, harte „Allee oder Nichts“ des Spaniers — für seinen fanatischen, glasklaren Willen, den Menschen zu ent-täuschen, zu desillusionieren — und dergestalt zu einem neuen Leben zu erziehen. (Der Kenner bemerkt, wie seltsam verwandt dieses spanische Ethos dem des Kalvinisten Brecht und auch manchem Russischen ist.) Eine österreichische Aufführung eines solchen desillusionistischen, „enttäuschenden“ Dramas steht also immer heute in der Gefahr, die Grundlinien zu verschmieren, das Drama in eine menschliche, allzu menschliche rührselige „G'schicht“ hinüberzuspielen. Es verdient Anerkennung, wie sehr das Volkstheater gegen diese Gefahr angekämpft hat — ganz konnte es diese nicht meistern, da ihm für die einzelnen Rollen die Schauspieler von Format fehlten — mit Ausnahme des alten Paares, das durch Annie Rosar und Hans Frank „verkörpert“ wird.

Alles in allem: ein erster, ernstzunehmender Versuch, das Wiener Publikum mit Casona bekannt zu machen, mit einem Dramatiker, für den die Schaubühne durchaus „moralische Anstalt“ ist, zu gestalten mit den Mitteln unserer Zeit. Friedrich Heer

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung