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Ein Talent und ein Charakter

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Wer heute den Namen Bartök hört oder liest, denkt zunächst — und mit Recht — an den Komponisten. Aber Bartök hat fast alle seine Werke in den Ferien, in der Freizeit geschaffen. Seine Haupttätigkeit war, seit 1904 bis knapp vor seiner Emigration nach Amerika, die eines Sammlers und Forschers. Und von 1907 bis 1934 war er Leiter einer Meisterklasse am Budapester Konservatorium. Aber keineswegs für Komposition — sondern für Klavierspiel. Den Titel „Meister“, den die romanischen Völker so gern und unbedenklich anwenden, hat er stets abgelehnt. Aber „Herr Professor“ wollte er gerne genannt werden. Das paßte zu ihm — und dieser Titel gebührte ihm. Daher hat er auch, als die Stadt Budapest ihn anläßlich seines 50. Geburtstags ehrenhalber zum Professor ernennen wollte, diesen Titel abgelehnt. Die Ehrung komme zu spät, Professor sei er schon längst...

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Wer heute den Namen Bartök hört oder liest, denkt zunächst — und mit Recht — an den Komponisten. Aber Bartök hat fast alle seine Werke in den Ferien, in der Freizeit geschaffen. Seine Haupttätigkeit war, seit 1904 bis knapp vor seiner Emigration nach Amerika, die eines Sammlers und Forschers. Und von 1907 bis 1934 war er Leiter einer Meisterklasse am Budapester Konservatorium. Aber keineswegs für Komposition — sondern für Klavierspiel. Den Titel „Meister“, den die romanischen Völker so gern und unbedenklich anwenden, hat er stets abgelehnt. Aber „Herr Professor“ wollte er gerne genannt werden. Das paßte zu ihm — und dieser Titel gebührte ihm. Daher hat er auch, als die Stadt Budapest ihn anläßlich seines 50. Geburtstags ehrenhalber zum Professor ernennen wollte, diesen Titel abgelehnt. Die Ehrung komme zu spät, Professor sei er schon längst...

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Bartök war ein „Schwieriger“, ein unbequemer Mensch. Ihn zu ehren, ihm zu helfen war eine heikle Sache. Das hat seine letzten Jahre in Amerika so sehr erschwert. Aber auch früher war es nicht besser. Als der rumänische Komponistenverband im Jahre 1931 das Geburtshaus Bartöks in Nagyszentmiklos (damals rumänisch) mit einer Gedenktafel schmücken wollte und dem Komponisten erfreut mitteilen konnte, daß auch der rumänische Königshof diese Ehrung begrüße, teilte Bartök mit, er stimme nur in dem Falle zu, wenn der Text der Tafel in ungarischer Sprache abgefaßt würde. — Das darf nicht als Zeichen eines intransigen-ten Nationalismus aufgefaßt werden. In jener Zeit hatte sich Bartök längst zum Europäer, zum Weltbürger entwickelt, und niemand liebte und schätzte die rumänische Volksmusik so wie er. Aber er wollte prüfen, wie ernst es den Initiatoren mit dieser Ehrung war, nur ob sie seinen Wunsch respektieren würden.

Der kleine zierlich-schlanke , Mann mit dem wie in Bronze gemeißelten Gesicht und dem früh ergrauten, spater silberweißen Haar, wurde überall, wo er auftauchte, mit Respekt empfangen. Sogar bei seinem Verleger. Vom Portier bis zum Generaldirektor wußte jeder, wen er vor sich hatte. „Bartök lebte“, so erzählt Hans Heinsheimer, der als Angestellter der Wiener Universal-Edition viel mit ihm zu tun hatte,

„in einer schweigsamen Welt, die selten ein Lächeln kannte, in der wenig Raum für unsere menschlichen Schwachheiten war, und keine Verzeihung für unsere Sünden. Seine engelhafte Rechtschaffenheit machte ihn untauglich für eine Welt, in der alles auf Geben und Nehmen beruht, in der jede Hand die andere wäscht, und in der jedes Ding seinen Haken hat.“

Ebenso bekannt wie seine Empfindlichkeit und Verletzlichkeit war seine

Wortkargheit. Mit Zöltan Kodäly war er ein Leben lang in echter Freundschaft verbunden. Als Kollege, als Forscher, als Komponist von Weltruf. Die beiden waren dadurch bekannt, daß sie miteinander in den kürzesten Sätzen sprachen. „Wir können erraten, was der andere denkt, wozu viel reden“, soll einer von ihnen gesagt haben. — Bartök hatte früh den Vater verloren und lebte mit seiner alten Mutter, die er sehr liebte. Als er sich, nicht mehr ganz jung, zum Heiraten entschloß, soll er dies mit den folgenden Worten mitgeteilt haben: „Liebe Mama, bitte decke morgen mittag den Tisch für drei Personen. Ich werde nämlich am Vormittag heiraten.“

Zu Beginn der dreißiger Jahre veranstaltete der Budapester Rundfunk eine Umfrage unter dem Titel „Mein erstes Geld“. Die verschiedenen „Prominenten“ schilderten die Geschichte ihres ersten Verdienstes wortreich-feuilletonistisch und möglichst interessant. Bartöks Beitrag lautete: „Bei dem Verlag Bard sind im Jahre 1904 von mir vier Stück erschienen. Für diese erhielt ich Geld, das erste in meinem Leben. An den Betrag kann ich mich nicht mehr erinnern. Bela Bartök.“ Bin andermal spielte Bartök im Budapester Radio eigene Kompositionen. Es war, wie in der guten alten Zeit üblich, eine Direktübertragung aus dem Studio. Ein paar Schritte neben ihm saß der Ansager. Bartök spielte, ernst und konzentriert, ein Stück nach dem anderen. Als er fertig war, bemerkte er, daß der Sprecher (er hieß Scherz!) eingeschlafen war. Bartök trat ungerührt ans Mikrophon und sagte: „Hier spricht Bela Bartök. Der Ausrufer ist eingeschlafen. Die Vorführung ist beendet.“ (Er gebrauchte absichtlich diese Ausdrücke aus dem Zirkusjargon.) Sprach's und verließ das Studio, ohne den „Ausrufer“ zu wecken.

Um sein zweites Klavierkonzert erstaufzuführen, war Bartök, es mochte im Frühjahr 1932 gewesen sein, nach Wien herübergekommen. Otto Klemperer war der Dirigent des Konzertes, das, wenn ich mich recht erinnere, von einem Budapester Orchester begleitet wurde. Als die Probe beginnen sollte, stellte sich heraus, daß eine Maschinenpauke fehlte. Klemperer begann zu schimpfen, zu toben und steigerte sich in immer heftigeren Zorn. Bartök saß, winzig klein und schlank, vor dem Flügel, die Hände auf den Tasten. Die Szene mochte ihm äußerst peinlich sein, aber man merkte ihm nichts an. Nach einer Weile hob er den Kopf und sah Klemperer an. Der tobende Berserker verstummte, schlug die Partitur auf und murmelte grollend: „Na also, dann zunächst mal ohne Pauke!“ Ein berühmter deutscher Musikkritiker besuchte Bartök im Herbst 1939 in seiner Wohnung, die sich in einem Gartenvorort Budapests befand. In einer Gesprächspause legte Bartök eine Platte auf, und ein in schnellstem Tempo virtuos gegeigter Tanz balkanischen Charakters ertönte. „Was ist das für ein Takt“, fragte der Gast. „Das wollte ich gerade von Ihnen wissen“, sagte Bartök gespannt. Dem Kritiker gelang es nach einigen Minuten, das Metrum zu bestimmen, und Bartök war zufrieden.

Derselbe deutsche Kritiker — es ist H. H. Stuckenschmidt — sagt über Bartök: „Selten bin ich einem Menschen begegnet, in dessen Antlitz sich unbedingte Wahrhaftigkeit, intellektuelle Sauberkeit und Unbestechlichkeit so klar spiegelten. Bartök war ehrlich bis zur Brüskierung, und er kannte Kompromisse weder in der Kunst noch in der Politik.“ Bartök gespannt. Dem Kritiker gebetätigt, aber er ließ auch nie einen Zweifel über seine Meinung zu politischen Veränderungen und Zuständen aufkommen. So wurde auch für ihn die Politik zum Schicksal...

Am 30. März 1920 schrieb er aus Berlin an einen Freund, den rumänischen Folkloristen Jon Busitia: „Bei uns zu Hause herrschen trostlose Zustände; ich sah mit Freuden, daß man mich hier schon hochschätzt. Jedenfalls wäre es möglich, mich hier niederzulassen. Doch — wie Sie wohl wissen — kann ich wegen der Volkslieder schwer nach dem Westen; alles vergebens, es zieht mich nach dem Osten...“ Nach der „roten“ drohte die „braune“ Gefahr, die Bartök bald erkannte. Als 1936 in Düsseldorf die Ausstellung „Entartete Musik“ veranstaltet wurde, protestierte Bartök in einem Brief an das deutsche Außenministerium, daß neben den Werken von Schönberg, Strawinsky, Milhaud und anderen nicht auch die seinen an den Pranger gestellt worden sind. Und am 13. April 1938 sehreibt er aus Budapest: „Es besteht nämlich die eminente Gefahr, daß sich auch Ungarn diesem Räuber- und Mördersystem ergibt. Die Frage ist nur wann? Und wie? Wie ich dann in solch einem Lande weiterleben oder, was dasselbe bedeutet, weiterarbeiten kann, ist gar nicht vorstellbar. Ich hätte eigentlich die Pflicht auszuwandern, solange es noch Zeit ist.“ Zur Emigration entschloß sich Bartök erst im Jahre 1940 — und schweren Herzens. Schließlich gab er nicht nur seine riesigen Folkloresammlungen auf, sondern auch einen nicht unbedeutenden Gehalt als aktives Mitglied der ungarischen Akademie, seine Pension und seinen Garten. Über Bartöks letzte Jahre :n Amerika ist viel geschrieben und erzählt worden. Zwar war er „drüben“ nicht ganz unbekannt, erhielt als Komponist und Forscher Aufträge und konnte auch einige Male, gemeinsam mit seiner Frau, der schönen Ditta von Pasztory, die ihm eine nie versagende Stütze war, als Pianist auftreten. Aber er war tief unglücklich in New York, das ihn zermalmte. In einer merkwürdigen, fast selbstzerstörenden Art schien er alle Rück-und Fehlschläge zu genießen und gab diese — er, der Wortkarge — ausführlich zum besten, während er allen guten Nachrichten mit Skepsis und Zweifeln begegnete. Der stolze Mann wollte sich nicht helfen lassen, er gestattete nicht, daß man ihm auf die Schulter klopfte — und er lehnte es ab, zuversichtlich-freundlich zu lächeln. So war er die Verzweiflung seiner wohlwollenden Manager. Er lehnte es auch ab, auswendig zu spielen, verneigte sich auf dem Podium ernst, professorenhaft, manchmal eisig, wenn auch — so berichtet sein Betreuer — „mit großer ergreifender Würde“.

Der Ausgang des Krieges im Frühjahr 1945 bereitete ihm Genugtuung, und daß er unmittelbar nach Friedensschluß zum Mitglied des neuen ungarischen Parlaments gewählt wurde, freute ihn. Aber als er sah, wie sich in seiner Heimat die Dinge entwickelten, lehnte er die Rückkehr in das unfreie Ungarn brüsk ab und unternahm die ersten Schritte zur Erlangung der amerikanischen Staatsbürgerschaft. So blieb er, bis zu seinem Tod (am 26. September im Westside Hospital von New York) der „vir iustus“, von seinem Volk und Vaterland getrennt, keinem Kreis und Klüngel zugehörig, nur gelenkt von den Gesetzen des An-standes, der Unantastbarkeit des Individuums und von seinem strengen, unbeeinflußbaren Gewissen.

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