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Ein unbequemer Zeuge

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Während auf der Konferenz' der Großmächte in Berlin um den Frieden der Welt gerungen wird, erschütterte die Welt die Nachricht, daß Pius XII., der Friedenspapst, mit einer schweren Krankheit ringe. Sorge und Bekümmernis erfüllte die Christenheit, aber auch Millionen anderer Bekenntnisse, unter denen Papst Pius XII. geachtet und gehört wird wie noch selten ein Mensch. Am Freitag, den 5. Februar, schien die Krisis gefahrdrohend. Seitdem liegen hoffnungerweckende Nachrichten vor. Dankbar dem Schöpfer, begrüßt die Christenheit jeden Tag, da uns dieser Papst neu geschenkt wird.

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Während auf der Konferenz' der Großmächte in Berlin um den Frieden der Welt gerungen wird, erschütterte die Welt die Nachricht, daß Pius XII., der Friedenspapst, mit einer schweren Krankheit ringe. Sorge und Bekümmernis erfüllte die Christenheit, aber auch Millionen anderer Bekenntnisse, unter denen Papst Pius XII. geachtet und gehört wird wie noch selten ein Mensch. Am Freitag, den 5. Februar, schien die Krisis gefahrdrohend. Seitdem liegen hoffnungerweckende Nachrichten vor. Dankbar dem Schöpfer, begrüßt die Christenheit jeden Tag, da uns dieser Papst neu geschenkt wird.

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Im Lager des internationalen Sozialismus wird auf die Pflege guter Beziehungen zu Frau Historia stets ein besonderes Augenmerk gerichtet. Sehr wohl versteht man hier, Aufzeichnungen über die Entwicklung der eigenen Bewegung höher einzuschätzen als eine müßige intellektuelle Spielerei oder eine für das politische Austragstübchen zu reservierende Feierabendbeschäftigung. Parteigeschichte zu schreiben, die Kunde er- strittener Siege zu verbreiten, die Ursache erlittener Rückschläge zu deuten, ist sozialistischen Parteien nicht nur eine Herzensangelegenheit, sondern auch eine wichtige Hilfe zur Schulung der eigenen Kader und zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Wissen ist Macht…

Auch der österreichische Sozialismus hält es nicht anders. Er entfaltet auf diesem Gebiet sogar eine auffallende Aktivität. Schon vor drei Jahrzehnten konzipierte Ludwig Brügel im Auftrag seiner Partei eine mehrbändige „Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie“, der damals unverständlicherweise aus dem anderen großen Lager unserer Innenpolitik kein entsprechendes Gegenstück folgte. Und in den Jahren nach 1945 finden wir eine noch größere Schreibfreudigkeit sozialistischer Historiographen, können wir ein verstärktes Interesse der Sozialistischen Partei an der Herausgabe von Darstellungen unserer jüngsten Vergangenheit verzeichnen. Jacques H a n n a k hat eine sehr , subjektive Geschichte seiner Partei, die er „Im Sturm eines Jahrhunderts“ begleitet, geschrieben, Karl Renners politische Memoiren „Oesterreich, von der Ersten zur Zweiten Republik“ erschienen posthum. Vor allem aber wurde mit nicht geringem Kostenaufwand für Uebersetzung, Druck und Verbreitung von Gulicks Monsterwerk gesorgt. Kein Wunder: „Von Habsburg zu Hitler“ ist wohl das großzügigste Geschenk, das dem österreichi- • sehen Sozialismus je zuteil wurde. Schrieb doch der amerikanische Professor die Geschichte der bitteren Jahre zwischen 1918 und 1938 so, wie man es von einem Parteifreund nicht besser erwarten konnte. Nicht vergessen sei auch, daß selbst Vizekanzler Schärf die Zeit aufbrachte, nicht uninteressante, persönliche Erinnerungen aus den ersten Monaten der Zweiten Republik festzuhalten. Seite auf Seite, Kapitel auf Kapitel, Buch auf Buch wurden so getürmt zu einem trutzigen, festen Wall aus Papier und Druckerschwärze. Hinter ihm läßt sich schon in Ruhe und Gelassenheit abwarten, was „die bösen Nachbarn“ ihrerseits zu unternehmen gedenken.

Und doch zeigt die feste Mauer offizieller und offiziöser sozialistischer Geschichtsdeutung plötzlich merkliche Risse und klaffende Lücken. Sie rühren nicht von „feindlichen“ Geschossen her! Der Name des Mannes, der einige Unordnung in das wohl- und selbstgefällige Geschichtsbild der zweiten Regierungspartei bringt, ist der österreichischen Oeffentlichkeit wie auch politisch interessierten Kreisen so gut wie unbekannt. Und doch hatte Josef Buttinger seine Sternstunde; damals, als er im Jahre 1935 unter dem Namen Gustav Richter zum Obmann der illegalen „Revolutionären Sozialisten“ vorrückte und ihre Kader bis zum Jahre 1938 führte. Die Aussage eines Genossen, der fern der Heimat in den Vereinigten Staaten ein neues Leben fand, in kritischen Zeiten aber ohne Zweifel unter dem Einsatz seiner ganzen Persönlichkeit der Partei in hervorragender Stelle diente, dürfte doch hochwillkommen sein! Was läge näher, als von Seiten der SPOe begeistert nach jenem Zeugnis aus einer Zeit, in der die Partei harter Bewährung ausgesetzt war, zu greifen. Noch dazu, wo gerade die illegale Phase in der oben erwähnten Parteiliteratur nur sehr summarisch behandelt wird. Doch umsonst dürfte man in der sozialistischen Presse in den kommenden Wochen und Monaten nach einem Abdruck aus dem soeben in Deutschland erschienenen Buch Buttingers suchen. Wahrscheinlich ist sogar, daß der Name des Autors in ihren Spalten überhaupt nicht erwähnt werden wird. Buttinger? Nein, den kennen wir nicht… Er ist zu der von Orwell für das Jahr 1984 vorhergesehenen und 60 Kilometer östlich von Wien bereits anzutreffenden „Unperson-“ geworden. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.. .

Die Lösung des Rätsels: der ehemalige Obmann der illegalen Partei ist nämlich bei den heute führenden Männern des österreichischen Sozialismus Persona ingrata. Sein Buch ist die Aussage eines unbequemen, eines unwillkommenen Zeugen.

Was verdient aus dem Spruch dieses Mannes, der aus dem Dunkel in das Licht des Zeugenstandes der Geschichte tritt, unsere besondere Aufmerksamkeit? Wer denkt, aus der allgemeinen Ablehnung des Parteivorstandes auf einen Mann schließen zu können, den die Erfahrungen der letzten beiden Jahrzehnte vielleicht belehrt haben, daß die politischen Gegner jener Jahre nicht unbedingt lauter böswillige Gesellen waren, verfällt einer Täuschung. Gleich den Hütern der „Linie“, verschließt sich auch Buttinger in diesem Punkt allen Argumenten. Auch die mit scharfem Auge gesehenen und mit spitzer Feder gezeichneten Porträts mancher ehemaliger Kampfgenossen — sie wirken heute zum Teil in führenden Staatsämtern und Parteifunktionen — können wir überschlagen. Die Auswertung dieser Art von „Material“ ist nicht unsere Sache. Interessanter ist schon der Einblick in das Leben und Denken der Sozialistischen Partei in ihrer illegalen Phase. Zunächst erscheint es nach den mit minuziöser Genauigkeit geführten Aufzeichnungen Buttingers, die auch die kleinsten personellen und taktischen Veränderungen registrieren, überhaupt euphemistisch, nach der großen Katastrophe vor zwei Jahrzehnten von einer sozialistischen Partei Ai sprechen. Die Tage vor Hainfeld scheinen wiedergekejirt. Die Zeiten sind böse. Nachdem die Partei Viktor Adlers vom öffentlichen Wirken ausgeschlossen ist, scheint auch das große historische Einigungswerk, das dieser vor einem Menschenalter vollbrachte, bedroht. Eine „intellektuelle Kritik“ wetteifert mit einer „proletarischen“. Antisemitische Unterströmungen treten in einer Partei auf, die sich gern als zu allen Zeiten immun gegen jene irrationale Welle rühmt. Die Reste des „Schutzbundes“ machen sich selbständig und rüsten zur „direkten Aktion“. „Einigungsgespräche“ mit den Kommunisten werden geführt. Gruppen, die die „reine Lehre“ zu besitzen vorgeben, bilden sich da und dort, und selbst der seit Hainfeld in Oesterreich entschlummerte Anarchismus erhebt plötzlich sein Haupt. Begeisterte Jungso'zialisten wollen „dem Regime“ an Leib und Leben — durch eifriges Fahren mit gefälschten Straßenbahnfahrkarten. Nur mit Mühe und unter Bemühung der Autorität Otto Bauers gelingt es, in die verworrenen Köpfe einigermaßen geistige Ordnung zu bringen. Der alte Parteiname geht hierbei — unter Mißbilligung Otto Bauers — über Bord.

Aber auch nachdem sich die erste allgemeine Verwirrung gelegt hat, mußte es, wie Buttinger freimütig bekennt, den Revolutionären Sozialisten „zeitweilig vorkommen … als bestehe ihr Kampf nur in Streit und Intrigen, mit denen sie sich gegen alle anderen Gruppierungen im Lager der Arbeiterbewegung zu behaupten versuchten …“ (p. 313). Auf diese heftigen ideologischen Streitigkeiten und persönlichen Quertreibereien näher einzugehen ist aufschlufireięh, erscheint aber müßig. Vorbei die Zeit… Nicht unerwähnt " darf bleibet - daß Buttingers Buch wenig bekannte Einzelheiten über rdfe Verhandlungen zwischen freien und christlichen Gewerkschaftern wiedergibt. Sie wurden von der illegalen Partei argwöhnisch verfolgt. Das erste Mal wird auch von sozialistischer Seite zugestanden, daß in sozialen Fragen zwischen 1934 und 1938 die Kirche es war, die drängte, daß „mit dem Einlösen der Versprechen mehr Ernst gemacht werde“ (p. 324). Die Kapitel über die Emigration bestätigen das bekannte geringe Interesse an der österreichischen Selbständigkeit bei vielen- sozialistischen Exulanten. Buttinger bekennt offen, daß er und andere entschlossen waren, „einer Wiederherstellung der österreichischen Unabhängigkeit um so entschiedener ent- gegehzutreten, je besser die Aussichten auf eine deutsche sozialistische Revolution waren“ (p. 556). Aus diesem Grund werden auch die erfolgreichen Torpedierungen aller Bemühungen zur Bildung einer überparteilichen österreichischen Exilvertretung mit Befriedigung erwähnt. Julius Deutsch, für Buttinger stets die Zielscheibe heftiger Angriffe und — Ironie des Schicksals — in den Tagen seines 70. Geburtstages von der offiziellen Partei genauso totgeschwiegen wie sein heftiger junger Widerpart, ist der einzige Mann, der sich hier weiter vorwagt. Von ihm wird die Bereitschaft, wenn notwendig Schulter an Schulter mit Starhemberg in einer „Oesterreichischen Legion" gegen Hitler zu kämpfen, berichtet. Natürlich mit Abscheu, denn österreichische Interessen über Parteiinteressen — dazu brauchte es wohl noch einiger härterer Lehren, bis diese Einsicht wenigstens etwas Raum gewann.

Von diesen nicht unerheblichen Details am Rande der Weltgeschichte finden sich viele in Buttingers Buch. Das zentrale Problem aber ist die Auseinandersetzung zwischen den „neuen Menschen“, die in der illegalen Phase das Heft in die Hand bekommen, und den „Partisanen der Vergangenheit“, wie die Vertreter der legalen Partei von damals und heute respektlos genannt werden.

In diesen „neuen Menschen“ regten sich zuerst Zweifel an dem ihnen von Jugend auf gepredigten „sozialen Optimismus", an der „historischen Notwendigkeit“, ja „Unvermeidlichkeit" ihres Sieges. Die „neuen

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