Ein Vater aus dem Computer-Katalog

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Kinder nach Maß sind selbstverständlich geworden, notiert Athene, unser Mädchen aus der Zukunft, in ihr Tagebuch. Der Traum erfolgreicher Frauen ist ein erlesener, durchgeplanter Nachkomme.

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Kinder nach Maß sind selbstverständlich geworden, notiert Athene, unser Mädchen aus der Zukunft, in ihr Tagebuch. Der Traum erfolgreicher Frauen ist ein erlesener, durchgeplanter Nachkomme.

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Klasse A1!" dröhnt eine künstliche Stimme aus den Lautsprechern im Labor. Rege folgen dem Aufruf einige Laboranten im weißen Kittel. Im Nachbarlabor wird gerade die Befruchtung von zwanzig Eizellen der Klasse A1 vorbereitet. Die Laboranten öffnen die schweren Bleitüren, hinter denen sich die Behälter mit den Spermien befinden. "Klasse A1" steht auf dem Regal gleich links hinter der Türe. Die Spermien bester Qualität werden hier gelagert. Die Mitarbeiter des Labors nehmen die ersten zwanzig mit der Matrize "Klasse A1" versehenen Behälter vom Regal, schichten sie auf den Beförderungswagen und programmieren ihn auf das Nachbarlabor. Der künstlichen Befruchtung und damit dem Ursprung von 20 neuen Elitemenschen steht nichts mehr im Wege.

Eizellen und Spermien der Klasse A1 bringen die Menschen mit den besten Erbanlagen und damit besten Voraussetzungen hervor: die Mitglieder der neuen Herrscherklasse ...

Schweißgebadet wache ich auf. Es ist noch dunkel. Ein Blick auf die leuchtenden Ziffern der Digitalcomputeruhr verrät: es ist zwei Uhr nachts. Welch ein zukunftsweisender Traum! Ich bin völlig erschöpft. Es ist so aufregend an der "schönen neuen Welt" aktiv mitzuwirken. Hoffentlich klappt alles, nur schnell wieder einschlafen, damit im Zyklus nichts durcheinander gerät für die morgige Entnahme der Eizelle.

Ich selbst habe 1998 das Licht der Welt erblickt. Ich war eines der rund 700 Retortenbabys, die damals jährlich in Österreich gezeugt wurden. Welch eine verschwindend kleine Anzahl. Heute ist es fast selbstverständlich geworden.

Auf den Namen Athene hatte mich meine Mutter taufen lassen. Meine Mutter war überzeugt davon, daß es eines Tages auch in Österreich möglich sein würde, Babys aus dem Katalog auszusuchen. Sie war 43, als sie mich zur Welt brachte. Irgendwie hatte davor ein Kind einfach nicht in ihr Leben gepaßt und dann wollte es auf natürlichem Wege nicht mehr funktionieren, also blieb nur noch die Nachhilfe der Medizin, die doch noch den ersehnten Nachwuchs brachte: ihr eigen Fleisch und Blut!

Ja, es waren damals noch die eigene Eizellen und die Spermien ihres Mannes, die mich hervorbrachten.

Ach, das war noch eine andere Welt!

Heute kann sich zwar auch nicht jeder etwas Besseres leisten, aber dafür muß man eben einiges zu opfern bereit seit. Ich habe diese Opfer auf mich genommen. Ich habe nebenbei Transformationstechnologie der 4. Dimension studiert, den Abschluß habe ich ein Semester unter der Mindeststudiendauer mit universalem Erfolg erreicht.

Ich arbeite heute an einem Projekt zur Weiterentwicklung der Beam-Technologie mit. Natürlich hatte ich Beziehungen, aber die Unabhängigkeit wollte ich mir immer bewahren. Da kann man sich eben nicht wirklich binden.

Wohin haben es die wenigen meiner Bekannten gebracht, die altmodischerweise ihre erste große Liebe geheiratet und Kinder bekommen haben? An einer Hand lassen sich die abzählen!

Für die kann man doch nur noch ein müdes Lächeln übrig haben. Zwar verdient im Großteil meines Bekanntenkreises jetzt die Frau das Geld, aber die Männer, ach Gott! Hüten zu Hause die Kinder, kochen, waschen, bügeln und bringen der Familie mit Gelegenheitsjobs ein paar Almosen, die kaum der Rede Wert sind. Der Traum der Vollbeschäftigung war schon um die Jahrtausendwende ausgeträumt. In der heutigen Welt muß man schon viel Ehrgeiz und Können im Beruf aufbringen, um nicht zu den ewigen Verlierern zu gehören.

Ungefähr zur Zeit, als ich geboren wurde, kam die Idee auf, Familien mit ein bißchen mehr Geld zu unterstützen. "Scheck zum Ausgleich für die Kindererziehung" oder so ähnlich nannte sich die Initiative damals. Aber wie alles, das zu viel kostet und zu wenig sichtbaren Nutzen bringt, verlief auch diese Idee im Sand. Außerdem hätte das nur die Frauen wieder zurück an den Herd gedrängt, haben viele damals gesagt.

Man muß sich schon selbst darum kümmern, daß man vor dem Kinderkriegen genug Geld hat. Sich Kinder nicht leisten zu können ist die Klage einiger hoffnungsloser Idealisten, die auch in unserer Zeit, mitten im 21. Jahrhundert, noch aus eigener Kraft Kinder bekommen wollen. Die können nur jammern, anstatt sich um eine gute Ausbildung zu kümmern, um damit wirkliche Aufstiegschancen zu haben. Dann ist es nämlich kein Problem mehr, sich Kinder zu leisten. Ich kann über solche Menschen wirklich nur noch den Kopf schütteln ...

Erschöpft strecke ich mich im Bett aus und versucht doch noch etwas zu schlafen. Ich muß fit sein, denn ich erfülle mir an diesem Nachmittag einen Traum: Groß und schlank ist die Gestalt, brünett das Haar, athletisch durchtrainiert der ganze Körper und einen IQ von 170 hat er. Ich ergötze mich in Gedanken noch einmal am Computerbild des Mannes, den ich zum Vater meines Sprößlings auserkoren hab.

Ob ich ein Mädchen oder einen Buben will? Ich habe mich noch nicht entschieden. Irgendwie hätte ich schon Lust, an der Entstehung einer neuen Generation von männlichen Wesen mitzuwirken. Aber vielleicht bekomme ich in ein paar Jahren noch ein Kind. Das kann ja dann das andere Geschlecht haben. Leisten kann ich mir das, Geld genug habe ich. Wer nicht die entsprechende Leistung bringt, ist selbst daran schuld. Der kann sich das Luxusgut eines wirklich auserlesenen Nachkommen eben auch nicht leisten.

Bei der Fülle an privaten Eliteinstituten, die Kinder heutzutage großziehen brauche ich mir auch keine Gedanken um meine Karriere zu machen. Ich arbeite zwar bis zu 70 Stunden die Woche, doch die Kinderbetreuungseinrichtungen sind wirklich sehr verläßlich.

Die Einrichtungen, in denen ältere Menschen Kinder betreuen, finde ich wirklich gut. Um die Jahrtausendwende hatte man im benachbarten Deutschland solche Projekte gestartet. Dabei wurden Kindergärten in Altersheimen angesiedelt. Kinder und Bewohner des Heimes fühlten sich dort wohl miteinander. Die Alten hatten außerdem das Gefühl bekommen, wieder gebraucht zu werden.

Doch heute ist das überflüssig, wo die meisten bis ins hohe Alter arbeiten, da das damalige Pensionssystem völlig umgekrempelt worden ist und sie sich bester Gesundheit erfreuen. Außerdem will ich meinem Kind den bestmöglichen Start ins Leben geben.

Warum sollen wir uns nicht den Traum unserer Mütter erfüllen und eine neue Generation hervorbringen? Wir müssen nur die besten Voraussetzungen für noch bessere Lebensumstände schaffen. Lebensumstände, in denen fein säuberlich alles vorausgeplant werden kann, damit es keine bösen Überraschungen mehr gibt. Deshalb habe ich ja auch diesen Vater aus dem Computerkatalog ausgewählt, dessen Spermien an diesem Nachmittag mit meiner Eizelle verschmelzen werden.

Ach, wie aufregend! Und, wer weiß, vielleicht wird meine eigene Tochter ja einmal gar keinen Mann mehr benötigen, um zu ihrem Wunschkind zu kommen.

Jacqueline und Jessica, zwei Freundinnen von mir, hatten sich lange Zeit Kinder gewünscht. Doch auch sie hatten auf die Spermien eines Mannes zurückgreifen müssen, um sich ihren Wunsch zu erfüllen. So hatte Jessica im Vorjahr eine Tochter zur Welt gebracht, die sie seitdem gemeinsam erziehen.

Heute sind wir tolerant und aufgeschlossen und können nur noch über die Prüderie lachen, die um die Jahrtausendwende geherrscht hatte. Was war das doch für ein Skandal gewesen, wenn zwei Gleichgeschlechtliche eine Lebensgemeinschaft eingingen und auch noch Kinder wollten.

Welch ein Fortschritt wäre es doch, wenn es der folgenden Generation gelänge, sich auch in den Reproduktionsmethoden völlig unabhängig von einem Mann und von der Natur zu machen!

Zur Jahrtausendwende hatte man die ersten Tiere geklont. "Dolly", das geklonte Schaf, war damals sehr berühmt gewesen. Die ganze Welt geriet in Aufregung.

Vielleicht wird meine Tochter einmal ihren eigenen Klon austragen und zur Welt bringen. Damit wäre ja alles vorprogrammiert und sie hätte die besten Voraussetzungen für ein gelungenes Leben ohne böse Überraschungen! Was für süße Zukunftsvisionen.

Schließlich ist es mir doch noch gelungen einzuschlafen. Ich brauche meinen Schlaf, denn für morgen ist fast jeder Schritt minutiös durchgeplant, wie auch sonst alles in meinem Leben.

Aber anders geht es heute eben nicht mehr.

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