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Ein Yankee am Hof Kaiser Franz Josephs

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Könnte man 'sich Goethe etwa in einem Goldgräberlager vorstellen? Wäre dies verrückter als der Gedanke, daß der wilde Humorist des amerikanischen Westens, zu dem er sich selbst stilisiert hatte, gerade zu der Zeit in der Donaustadt lebte, als dort das entstand, was man in unserem Jahrhundert „die Moderne” nennt und zugleich, noch unbewußt, die Bühne für das bereitet wurde, was Karl Kraus später „Die letzten Tage der Menschheit” nennen sollte?

Diese Frage stellt der amerikanische Gelehrte Carl Dolmetsch in seinem Buch über Mark Twain in Wien. Er hat sich sehr gründlich in den Aufenthalt des amerikanischen Autors zwischen September 1897 und Ende Mai 1899 vertieft und weist nach, daß diese Zeit ihm mehr bedeutete, als seine vielen anderen Reisen. Als er nach Wien kam, hatte er schon acht Jahre außerhalb der USA verbracht, 22mal den Atlantik (per Schiff) überquert und galt als berühmtester Amerikaner seiner Zeit.

Sein Äußeres ließ ihn als typischen Yankee erscheinen und speziell auf die Wiener exotisch wirken. Dolmetsch meint, er sei dieser Maske schon überdrüssig gewesen, habe aber nur wenigen Österreichern einen ßlick auf sein wahres Gesicht gewährt. Dieser „gerissene Show-man... war lieber der Dompteur in seiner eigenen Zirkusmanege und meist hatte er damit beträchtlichen Erfolg.” Da er recht gut deutsch sprach, hatte er auch in dieser Hinsicht keine Kontaktschwierigkeiten.

Kaum war er mit seiner Familie in Wien eingetroffen, bekam er eine Einladung, im Presseclub Concordia eine Rede zu halten. Man kannte ja seine Hauptwerke. Es wurde ein Fest, eine Ehrung, die bisher als einzigem Ausländer Henrik Ibsen zuteil geworden war. Eine Versammlung, die heute alle Klatschspalten jubeln ließe, aber auch damals von den Zeitungen ausgiebig dargestellt wurde. Alle waren da: Hofoperndirektor Gustav Mahler, Schauspieler wie Sonnenthal, Lewinsky, Girardi, Sänger, Maler Korrespondenten ausländischer Zeitungen, Schriftsteller wie Hermann Bahr und Theodor Herzl, der Kritiker Eduard Hanslick, natürlich auch die engeren Humor-Kollegen Eduard Pötzl und Vinzenz Chia-vacci... Kurz: „Es kann in der Geschichte des Habsburgerreiches nicht viele Versammlungen gegeben haben, welche diese an literarischen Glanz übertroffen hätten oder ihr auch nur gleichgekommen wären.”

Mr. Samuel L. Clemens, wie Mark Twain eigentlich hieß, ließ solche Geselligkeit gern gefallen. So republikanisch konnte damals kein Amerikaner sein, daß er nicht empfänglich gewesen wäre für Bankette der Hocharistokratie. „Nirgends standen ihm die Tore der gesamten vornehmen Gesellschaftschichte eines Landes so weit offen wie in Österreich-Ungarn. In diesem Bewußtsein schwelgte er.” Folgerichtig beendete er seinen Wien-Aufenthalt mit einer Audienz bei Kaiser Franz Joseph. Die Gesellschaft riß sich um ihn. Jede Gastgeberin war glücklich, unter die immer gleichen Bekannten eine Exoten mischen zu können. Man war neugierig auf Amerikaner, und ein gebildeter oder prominenter Yankee war für jede Gesellschaft eine heißbegehrte Trophäe.

Clemens - Mark Twain fühlte sich gut in die Rolle des Gesellschaftslöwen ein. Er ging mit seiner Frau auf den Concordia-Rall und führte seine Tochter bei einem Wohltätigkeitsball gleichsam in die Gesellschaft ein. Durch sie, die in Wien Klavierunterricht nahm, kam er auch mit Musikern und Komponisten in Kontakt, lernte Johann Strauß und viele andere kennen. Das Rurgtheater ernannte er gleich zum „schönsten Theater der Welt”, nachdem ihn Direktor Max Rurckhardt durch das Haus geführt und in alle technischen Geheimnisse eingeweiht hatte.

Der reichhaltige Spielplan regte ihn an, sich wieder einmal am Drama zu versuchen. Als er aber, hingerissen von Adolf Wilbrandts vierstündigem „Meister von Palmyra”, mit dem Gewicht seiner Persönlichkeit das Stück auf den Rroadway brachte, gab es dort einen totalen Flop.

Die Clemens wohnten zuerst im Hotel Metropol am Kai (unter NS-Zeit das Hauptquatier der Gestapo), dann in Kaltenleutgeben. Natürlich konnten sie nicht ahnen, welche Schreckensrolle das Hotel am Mor-zinplatz vier Jahrzejinte später spielen sollte. Aber der Dichter spürte bereits, was Antisemitismus in Wien bedeutete. So, wie er auch die „Stadt der Träume” erlebte (eine Begegnung mit Sigmund Freud ist nicht nachzuweisen) und in seine späten Werke einfließen ließ.

Er traf die Friedenskämpferin Bertha von Suttner, erlebte Politiker wie Lueger und Schönerer, konnte den Nationalitätenstreit in der k.u.k. Monarchie studieren und die ersten Nummern der „Fackel” von Karl Kraus lesen.

Carl Dolmetsch kommt zu dem Schluß, daß das Wien-Erlebnis die letzten Lebensjahre Mark Twains mehr geprägt hat, als bisher angenommen. Wenn der Humorist immer mehr zu Verzweiflung und Trostlosigkeit neigte, waren dafür nicht nur persönliche Schicksalsschläge verantwortlich, sondern auch die Melancholie, mit der er in der alten europäischen Metropole konfrontiert wurde: „Wäre es... nicht denkbar, daß die Erlebnisse während seines langen ,Asyls' in der Alten Welt, von 1891 bis 1900, Anregungen und formende Einflüsse für seine, wie man meint, untypische spätere, dunklere Periode erbracht haben?”

Das Buch, ein wohlgeordnetes Mosaik von Detailforschungen, wurde von Gunther Martin adäquat mit erläuternden Anmerkungen übersetzt. Bei einer solchen Fülle von auftretenden Persönlichkeiten ist das bloße Fehlen eines Registers schmerzlich.

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