Eindringlinge erbeten

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Girolamo Arnaldis Buch über "Italien und seine Invasoren".

Wer in einem Land mit 7.456 Kilometer Küste lebt, kann gar nicht anders, als Eindringlingen zunächst freundlich zu begegnen: Die Rede ist von der Apenninenhalbinsel. Ein Jahrtausend lang aber zieht sich durch die Geschichte Italiens als roter Faden ein erstaunliches Muster: Wann immer es politischen Streit gab, wurden fremde Herrscher gerufen.

Der 1929 geborene italienische Historiker Girolamo Arnaldi schildert in seinem Buch "Italien und seine Invasoren", wer - ungebeten, häufiger freilich gebeten - auf die Apenninenhalbinsel eingedrungen ist, von der Plünderung Roms im Jahr 410 bis zu den Touristenströmen der Gegenwart. Arnaldi beschreibt, wie dieses Muster entstanden ist, und wie sich die vielen Invasionen auf die ursprüngliche Bevölkerung und die Eindringlinge ausgewirkt haben.

Bis zum Tourismus

Die alten Römer suchten Alarichs Westgoten mit Gold, Silber und Spezereien gnädig zu stimmen. Wer konnte, floh nach Afrika, Ägypten und in den Osten. Wer blieb, begann alsbald, die bis dahin unangefochtene Überlegenheit des "zivilisierten" Lebens in Zweifel zu ziehen: "Die Mode, Hosen und lederne Stiefel wie die Barbaren zu tragen, war so verbreitet, dass man es per Gesetz zu verbieten versuchte, freilich ohne jeden Erfolg." Während der Herrschaft des Ostgotenkönigs Theoderich des Großen (493-526) auf italienischem Boden wurde das Wort "Barbar" aus dem öffentlichen Sprachgebrauch verbannt: political correctness. Im 6. Jahrhundert kamen aus Pannonien die Langobarden - 200.000 Menschen, die blieben und sich mit den unterworfenen Romanen vermischten. Sie wurden zu großzügigen Gründern von Klöstern und eifrigen Reliquienjägern. Venedig verdankt seine Entstehung indirekt der langobardischen Invasion. Die Bevölkerung flüchtete aus Festland-Venetien in die Lagunenlandschaft. Die Langobarden bedrohten die Inseln der Lagune nicht, weil sie keine Schiffe hatten.

Arnaldi liefert spannende Beispiele für erbetene Invasionen: Karl der Große kam mit seinen Franken nach Italien, der Papst hatte ihn gerufen. Für den Kampf gegen die Sarazenen (Araber) in Sizilien und Süditalien ließen sich die Normannen anwerben. Um die Herrschaft der Nachkommen des großen Stauferkaisers Friedrichs II. in Sizilien zu verhindern, rief der französische Papst Clemens IV. (1265-1268) Karl von Anjou, den Bruder des französischen Königs Ludwig IX., ins Land. Als die Sizilianer die französische Herrschaft abschütteln wollten, boten sie einem Spanier die Herrschaft an.

Doch jedes Volk wird eines immer wiederkehrenden politischen Strickmusters müde. Das bekamen die Österreicher als Hegemonialmacht in Italien zu spüren: "Die österreichische Regierung war nicht deshalb so verhasst, weil sie schlechter gewesen wäre als die anderen - eher das Gegenteil war der Fall -, sondern einfach, weil die Unduldsamkeit gegenüber der Fremdherrschaft im allgemeinen von Tag zu Tag wuchs."

Fremde waren lange Jahrhunderte gerufen worden, weil es kein einheimisches Königshaus gab und weil immer mehr Städte sich zu freien Kommunen erhoben. Gegenseitige Machtblockaden verhinderten eine gemeinsame politische Linie: Italien war das letzte Land Europas, das sich zu einem geeinten Staat zusammenfand, erst 1861. Das jüngste Beispiel, wie unser Nachbar mit einer - temporären - Invasion human und elegant umging, war wohl das Begräbnis eines "ausländischen" Papstes. Wer die italienische Mentalität verstehen will, wird in diesem anspruchsvollen Buch auf dem Umweg über die Geschichte der Invasionen einen neuen Blick auf das gastliche Land gewinnen.

Italien und seine Invasoren

Vom Ende des Römischen Reiches bis heute

Von Girolamo Arnaldi

Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2005

208 Seiten, geb., e 24,20

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