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Eine Fackel christlichen Geistes

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Nahe bei Innsbruck vollendet Ludwig F i c k e r sein siebzigstes Jahr in den Räumen, in denen — sie müssen voll der Erinnerungen für ihn sein — so viele verschiedenartige Menschen für Stunden, für Tage, für Monate und länger Aufnahme gefunden haben, geistvolle, oft sehr sonderbare, zuweilen schon fast verzweifelte Menschen, die Erfüllungen wurden, der Erwartungen, die er in sie setzte, oder Enttäuschungen. Der wahrhaft gastfreundliche Hausherr hat manchem von ihnen das Leben gerettet, darf man wohl sägen, das geistige und auch das physische. Und es waren Bedeutende darunter. Er hat ihnen Raum gegeben auch in seinem Herzen, dem gütigen, wahrhaft wohlwollenden, menschengläubigen, immer wieder, und er erkannte zuweilen mit intuitiver Sicherheit das Einmalige, Große, Echte im unscheinbar Bizarren, Hoffnungslosen, Verlorenen. Er hat dann vielen unter ihnen in seiner Zeitschrift das Wort gegeben, das sie sonst vielleicht nie gefunden hätten.

Die Zeitschrift, die er gründete, nnd der Verlag, den er dazu eröffnete, wurden jedoch zu einem Faktor im geistigen Leben der Zeit, und jetzt bilden die Hefte der einen, die Bücher des anderen ein Dokument des vergangenen halben Jahrhunderts der beiden Weltkriege, wie es nur wenige in Österreich ttnd in Europa gibt.

.Der Brenner“ war vor 1914 ein kleines, kampflustiges, modernes Literaturblatt mit kulturkritischen Tendenzen. Während des ersten Krieges erschien er nur einmal, als Jahrbuch, mit Versen von Rilke, mit den letzten Gedichten von Georg Trakl, dem großen Dichter, den das Literaturblatt der Welt gebracht hatte, mit einer Betrachtung von Kierkegaards .Vom Tode“ (übersetzt von Theodor Haecker), mit der eigenwilligen Übertragung des Tao-tse-king von Carl Dallago, mit der stark von Karl Kraus inspirierten Satire von Theodor Haecker: „Der Krieg nnd die Führer des Geistes“. (Nebenbei: Dieses Jahrbuch wie die Kriegsnummern der „Fackel“ von Karl Kraus sind Zeugen einer für uns fast nicht mehr glaublichen Freiheit des Wortes im Krieg.)

Damit hat „Der Brenner“ die Richtung eingeschlagen, die ihm seine Funktion in den folgenden Jahrzehnten gab. In dem Programm der VI. Folge (vom Oktober 1919 bis Juni 1921) bestimmte Ludwig Ficker das geistige Feld und die innere Spannung mit stolzem Bogen: zwischen der „Entrücktheit“ Lao-tses und der „Denk- und Glaubensinbrunst“ Kierkegaards — zwischen Carl Dallago, wie sich bald herausstellte, und Theodor Haecker — im Gegensatz zu der

Gesellschaft, die den Krieg verschuldet hatte, zu dem liberalen, selbstzufriedenen Bürgertum wie zu dem verweltlichten, verbürgerlichten, entseelten Christentum (beider Konfessionen), das ihn gesegnet hatte, das sich ahnungslos noch so sicher fühlte. In der Ablehnung dieser Gesellschaft und dieses Christen- und Kirchen-tums waren sich alle Mitarbeiter einig: Dallago und Haecker, Erik Peterson und Kanso Utschimura, der Christ gewordene Japaner, und der nun neu auftauchende Ferdinand Ebner (zu dessen Ehren Ludwig Ficker vor kurzem in Gablitz gesprochen hat).

Bald freilich kam es zu Auseinandersetzungen gerade in der Frage der Kirche. Ludwig Ficker hatte in seinem Programm noch erwartet, es würde sich der „An-

Schluß an ein Urheimatliches“, das der Welt verlorengegangen sei, in den Heften der Zeitschrift auf beiden Polen der Spannung gleichmäßig vollziehen, in dialektischer Gegensätzlichkeit; aber er wurde für die meisten Mitarbeiter früher oder später und schließlich für Ficker selbst Heimweg zur Kirche, trotz allem Ärgernis, das sie gegeben hatte und gab.

Der „Brenner“ hat große Zeugen aufgerufen für sein Werk: Dostojewski und immer wieder Kierkegaard (in der Ubersetzung und Auffassung Theodor Haeckers); gelegentlich Vergil (wieder in Haeckers Sprache) und Hölderlin, die Patmos-Ode (noch bevor die „späten Oden“ Mode geworden waren) und Karl Kraus. Vor solcher Zeugenschaft aber war er der Vermittler und Erreger religiöser Unruhe und religiösen Dranges für viele, die sich im kirchlichen Bereich durch nichts mehr angesprochen fühlten, nicht durch die Sonntagspredigt, nicht durch das „gute Buch“, nicht durch die Liturgie. Die Kraft dazu bekam die Zeitschrift durch ihre großen Mitarbeiter.

Ludwig Ficker hat vor dem ersten Weltkrieg Georg Trakl entdeckt, vielleicht gerettet, indem er seine schwer verständlichen Gedichte treu, mit unbeirrtem Glauben an ihren Wert, mit sicherem Gefühl für ihre Tiefe wie für ihren Wohllaut, Folge für Folge aufnahm. Er hat sie so dem kleinen Kreis bekanntgemacht, von dem aus sie ihren Gang in den Ruhm antraten. (Ficker hat noch für das Grab Trakls gesorgt.) — In ähnlicher Weise hat er sich nach dem (ersten) Krieg um Ferdinand Ebner angenommen, ihn für einige Zeit zu sich geladen und dem Einsamen und Kranken dadurch das noch nie erlebte Glück des Verstandenseins gegeben. Er hat dessen Werk „Das Wort.und die geistigen Realitäten“ erst stückweise in der Zeitschrift, dann in seinem Verlag veröffentlicht und in den folgenden Jahren eine Reihe bedeutender Aufsätze dieses ernsten Denkers. Er hat schließlich vor und nach dem zweiten

Krieg den Träumen und Visionen von Paula Schlier das erste Erscheinen ermöglicht. Daneben kamen Tiroler Lyriker zu Wort, Sanier und Leitgeb, aber auch Konrad Däübler und Gertrud von Le Fort und auch Hildegard Jone.

Eine solche Zeitschrift, ein solcher Verlag, das waren natürlich nicht einträgliche Geschäfte. „Der Brenner“ konnte nur mit großen Opfern erhalten werden. Seine Anhänger gehörten nicht unter die reichen Leute, wie Ficker wohl wußte. Das Bestehen der Zeitschrift war eine ständige Sorge für den Herausgeber. Trotz aller Nöte, trotz Verdrängung und Krieg blieb „Der Brenner“ aber erhalten. Er erstand wieder 1946 und 1948. Er hätte auch der Gegenwart noch etwas zu sagen.

Dem Siebzigjährigen aber ist er zum Denkmal geworden nach außen: wie könnte man ihm besser gratulieren als mit einem Hinweis auf diese Bände? — wenn er darin blättert, muß ihm Erinnerung über Erinnerung kommen: Seite für Seite muß ihm der Geist entgegentreten, den er geweckt, gehegt, bewahrt hat, der Geist der Poesie und der Religion, in dem er selbst gelebt hat.

Und wir, die wir in unserer Jugend von diesem Geist ergriffen, erschüttert, gestärkt wurden, wir blättern darin mit Rührung nicht nur, sondern immer wieder auch mit Staunen über die Fülle dessen, was von dort her uns- jetzt noch lebendig anspricht.

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