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Eine Frau, die viele Frauen glücklich machen konnte

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Vor Jahren habe ich den Namen Herlinde Moises zum erstenmal gehört. Da saß die Angehörige der Vbrarlberger Franziskaner-Missionsschwestern, gebürtige Bad Hofga-steinerin, gerade im Gefängnis. Vom Militärregime in Kolumbien als Kommunistin denunziert, wurde ihr, die zwei Jahre nach ihrer Matura im Jahre 1949 nach Kolumbien gegangen war, und dem Orden die Hölle heiß gemacht. Aber nicht einmal Schlangen, die nächtens in ihre Zelle geworfen wurden, konnten ihr Zuversicht und Glauben austreiben.

In dieser dunklen Zeit, erzählt sie heute, da sie wieder einmal ihre alte Heimat Osterreich besucht, habe ihr die sogenannte Amtskirche - in Gestalt des schon verstorbenen damaligen Erzbischofs von Cartagena und des heutigen Alterzbischofs von Salzburg, Karl Berg - sehr geholfen. Das war auch die Zeit, da sie gezwungenermaßen Abschied vom Orden nehmen mußte, weil man sie vor die Wahl stellte, entweder das Land oder die Ordensgemeinschaft zu verlassen. „Schwester" Herlinde Moises wirkt noch immer in Kolumbien, wenngleich nicht mehr als Ordensfrau.

Herlinde Moises, 68 Jahre alt, hat für den Ort Pasacaballos (12.000 Einwohner) und fünf kleinere Ortschaften mit insgesamt weiteren 3.000 Einwohnern, in der Bucht von Cartagena im Norden Kolumbiens gelegen, das Projekt Fundacion Social Cristiana (FUNSCBI) entworfen, das schon in seiner früheren Form von der Katholischen Frauenbewegung Österreichs und vom österreichischen Staat finanziert wurde. Seit mehr als 30 Jahren arbeitet die Österreicherin in den Bereichen der Gesundheitsvorsorge, der formellen und informellen Erziehung sowie auf dem Gebiet der Rückbesinnung auf die bodenständige Kultur der in der Gegend von Pasacaballos lebenden Menschen afro-amerika-nischer Herkunft. Kulturelle Aktivitäten, wie beispielsweise Tanz, sollen helfen, die Fischer, Bauern und Handwerker auf ihren Ursprung zurückzuführen und ihnen ihre verlorene Identität zurückzugeben.

Das Bild, das Herlinde Moises von ihrem Tätigkeitsbereich zeichnet, scheint auf den ersten Blick trostlos, trägt aber unverkennbar einen Hoffnungsschimmer. Sie weiß, daß sie das Land nicht verändern kann: „Aber an dem Platz, wo ich bin, haben viele Leute schon gewisse Veränderungen erfahren. Man kann die Finsternis auch mit einem Zündholz bekämpfen."

Am schlimmsten geht es den Frauen in dieser Gesellschaft der Armen. Sie leiden besonders an Analphabetismus, an den schlechten Einkommensmöglichkeiten, an sexueller Ausbeutung, an den häufigen Geburten, an der Sorge um die Kinder, die sie allein durchbringen müssen, an der miesen Hygiene- und Ernährungssituation. „Die Männer", so Herlinde Moises zur furche, „sind sehr darauf bedacht, über Frauen zu herrschen, ihr Machismos geht über alles. Von der Kirche wurde leider Gleichberechtigung nicht gerade gefördert. Der Mann ist zudem der einzige, der eine Einnahmequelle hatte, obwohl die Frau auf dem Feld genauso hart, manchmal viel härter, gearbeitet hat wie der Mann. Dazu kam die Kindererziehung. Aber, wer etwas verkaufte, das war der Mann. Da haben wir etwas tun müssen, da war Veränderung notwendig. Man sagt manchmal, es sei nicht so wichtig, was man hat. Aber der Mensch braucht doch, davon bin ich überzeugt, das Notwendig zum Leben. Wenn er das hat, kann man die Landflucht eindämmen. Das ist uns zum Beispiel gelungen. Die Menschen in Pasacaballos wollen ein besseres Leben für ihre Kinder, eine gute Ausbildung, medizinische Betreuung - das suchen sie in der Stadt, ohne zu bedenken, daß dort alles zunächst einmal etwas kostet, angefangen vom Fahrgeld. Wir haben daher in den letzten Jahren, neben unserer schulischen, erzieherischen und medizinischen Arbeit, begonnen, die landwirtschaftliche Produktion anzukurbeln, beispielsweise mit Gemüseanbau. Mit Hilfe der Frauenbewegung konnten wir in sechs Dörfern ein ganzheitliches Programm entwickeln, das Gemüseanbau, Gemüsekonsum und -verkauf vorsieht. Zunächst wurde der Eigenbedarf gedeckt, jetzt wird schon an Vermarktung gedacht. Die Gemeinschaft hat eine Reismühle, wo 18 Leute unter Leitung von zwei Frauen arbeiten. Mehr als 100 Bauern bringen den Reis jetzt schon zu uns. Das stärkt das Gemeinschaftsgefühl, auch zwischen Männern und Frauen. Das hebt aber auch das Selbstwertgefühl der Frauen."

Kurz gesagt: In den Dörfern um Pasacaballos werden Mütter in Gesundheitsvorsorge ausgebildet, die Entwicklung und das Wachstum der Kinder wird medizinisch überwacht, gesunde Familien sind vordringlichstes Ziel der erzieherischen Tätigkeit, Kleinapotheken tragen wesentlich zur Verbesserung des Gesundheitsstandards bei, Kindergärten, Förderung des Familienzusammenhalts sowie kulturelle und sportliche Aktivitäten kennzeichnen das Projekt von Herlinde Moises.

Für die Salzburgerin ist die Stärkung des Gemeinschaftsgefühls in den Familien ein besonderes Anliegen: „Mittlerweile bringen viele Frauen auch schon ihre Männer zu unseren Familientreffen. Zunächst wird getrennt gearbeitet, Frauen zeichnen sich selbst, wie sie sich sehen, wie sie sich verändern möchten. Dann wird sehr offen mit den Männern gesprochen. Frauen kommen dann sehr oft drauf, daß sie sich nicht mehr von ihren Männern herumkommandieren lassen wollen. Das hat auch etwas mit der wirtschaftlichen Unabhängigkeit zu tun, die wir ihnen ermöglichen. Wenn Frauen arbeiten können, dann über etwas verfügen, dann steigt ihr Wert durch die Arbeit, dann müssen sie nicht mehr um jede Kleinigkeit bei ihren Männern betteln. Das Haben steigert auch das Selbstbewußtsein der Frauen."

Ganz schwierig, fast ein Kampf gegen Windmühlen, ist die Bekämpfung der Korruption, die Kolumbien von oben nach unten zerfrißt, „ich mache keine Politik", sagt Herlinde Moises, „aber nichts was ich tue, ist unpolitisch." Und sie weiß, wie unendlich schwierig es ist, der Korruption zu widerstehen. „Man kommt oft selbst in starke Versuchung, wenn einem von irgendwoher unter bestimmten Bedingungen plötzlich 50 Millionen angeboten werden, von denen nur 30 verbucht werden sollen. Was soll eine Lehrerin machen, die eine Anstellung sucht, die aber nur kriegt, wenn sie 50 Stimmen bringt? Wir leben in Kolumbien in einer fürchterlichen Situation - und die ist für den Armen noch um ein Vielfaches schlimmer. Wenn ein Armer ein Huhn stiehlt, kommt er ins Gefängnis, ein anderer, der Millionen verhaut, läuft frei herum. Da kommt es darauf an, daß man im kleinen dem entgegensteuert, Gerechtigkeit und Solidarität vorlebt, dem Menschen Hoffnung aus dem Glauben gibt, daß es wieder weitergeht"

Die politische Situation in Kolumbien hat sich für Herlinde Moises insofern gebessert, als der Kampf gegen „subversive kommunistische Elemente" aufgegeben wurde. Die Drogenproblematik gekoppelt mit der Korruption (die Drogenkartelle von Medellin und Cali sind weltbekannt) stellen sie jedoch vor ungeheure Herausforderungen. Die Versuchung, zu raschem Geld zu kommen, ist ungeheuer stark. Mit Jugendbeschäftigungsprogrammen will Moises auch dieses Problem in den Griff bekommen.

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