"Eine Liebeserklärung ans Theater"

Werbung
Werbung
Werbung

Philippe Jordan, Dirigent der letzten Staatsopernpremiere dieser Saison, Richard Strauss' "Capriccio", über seine kommende Pariser Aufgabe, sein früheres Interesse, Dirigent zu werden, Opernfragen von gestern und heute, künftige Herausforderungen und eine spätere Möglichkeit, auch einmal in Wien eine Chefposition zu übernehmen.

Die Furche: Herr Jordan, vergangenen Sommer deutete einiges darauf hin, dass Sie Fabio Luisi als Chefdirigent der Wiener Symphoniker nachfolgen könnten, Sie werden aber ab 2009/10 als Direktor an die Pariser Bastille Opera gehen. Lockt Sie Oper mehr?

Philippe Jordan: Oper ist mein Zuhause, da komm' ich her. Nach wie vor beträgt Oper zwei Drittel meiner Arbeit, der Rest ist Konzert. Ich hätte gerne ein Verhältnis von 50:50. Ob die Symphonik je überwiegen könnte, weiß ich nicht, da mir Oper zu wichtig ist und ich sie gerne mache. Durch meine neue Aufgabe wird die Oper in Zukunft weiter überwiegen.

Die Furche: Wie sieht Ihr Pariser Vertrag aus?

Jordan: Er bindet mich für sechs Jahre, ich habe alle Verpflichtungen eines Musikdirektors. Pro Saison muss ich 35 bis 40 Vorstellungen dirigieren, das teilt sich auf zwei Premieren und drei Wiederaufnahmen oder drei Premieren und zwei Wiederaufnahmen auf. Dazu kommen zwei symphonische Programme mit dem Orchester.

Die Furche: Ist Ihnen Musik schon in die Wiege gelegt worden oder mussten Sie sich diesen Zugang erst erkämpfen?

Jordan: Überhaupt nicht, schon mit neun Jahren wusste ich, dass ich Dirigent werden wollte, nur der Weg dorthin war noch nicht klar.

Die Furche: Sie studierten am Zürcher Konservatorium neben Komposition Klavier bei Karl Engel, einem einst sehr geschätzten Mozart-Pianisten, der heute etwas in Vergessenheit geraten ist. Wie hat er Sie geprägt?

Jordan: Zu Karl Engel kam ich erst am Ende meines Studiums, ihm verdanke ich eine Menge guter praktischer Tipps, was den Klang, die Phrasierung angeht, wie man am Klavier singt, wie man bewusst gestaltet. Leider war dieser Unterricht nur kurze Zeit, denn ich war schon unterwegs zu meiner ersten Stelle als Korrepetitor in Ulm. Wäre es nicht so gekommen, hätte ich mein Konzertdiplom in Klavier gemacht und eine Pianistenkarriere angesteuert. Aber Dirigieren hatte für mich immer Priorität, mich hat immer fasziniert, vom Graben aus ein Stück zu führen und zu gestalten. Mein Vater riet mir, den Weg als Korrepetitor zu gehen, das sei das Solideste und Praktischste.

Die Furche: Gab es je eine Konkurrenz zwischen Ihnen und Ihrem Vater?

Jordan: Konkurrenz kann man überhaupt nicht sagen, denn mein Vater hat meinen Wunsch weder gefördert noch wollte er ihn unterdrücken. Er sah, dass ich talentiert bin - allerdings musste ich ihn davon erst einmal überzeugen. Ich musste ja die Schule früher verlassen, um mehr Zeit zum Üben zu haben. Mein Vater war immer positiv und hilfreich eingestellt - Stunden hat er mir nie gegeben, ich konnte aber alles mit ihm besprechen. Für mich war wichtig, von Beginn an meinen eigenen Weg zu gehen, um nicht als Sohn eines Dirigenten abgestempelt und mit ihm verglichen zu werden. Deswegen ging ich nach Ulm, wo mein Vater keinen Namen hatte. Dort lernte ich das Dirigierhandwerk in der Praxis. Mein erstes Stück war "Funny Girl", dann kam "Wiener Blut" und als erste Oper "Don Giovanni".

Die Furche: Zur Zeit bereiten Sie an der Staatsoper die Premiere von "Capriccio" von Richard Strauss vor. Wer hat das Stück vorgeschlagen?

Jordan: Es war ein Angebot von Direktor Holender. Ich sehe es als besondere Herausforderung, diese Oper in Wien zu machen, denn es ist ein großes Stück mit einem großen Orchester, ein echter Strauss, auch wenn er nicht die Tradition der populäreren Opern hat und es nicht das gängigste Stück für das Publikum ist. Man muss sich daher fragen, wie man es dem Publikum vermittelt, dass es daran Spaß findet. "Capriccio" zählte ich schon als Student zu meinen liebsten Stücken. Ich habe es etwa 15-mal in Zürich unter Ralf Weikert, dem damaligen Chefdirigenten der Oper, gesehen.

Die Furche: Diese letzte Strauss-Oper schließt wie "Rheingold" und "Götterdämmerung" in Des-Dur, wartet mit zahlreichen Zitaten auf, wird deswegen von manchen als bunte Montage angesprochen. Worin liegt für Sie der Charme dieses Stücks?

Jordan: Für mich ist es in erster Linie eine Liebeserklärung ans Theater, an die Oper, an Stimmen, an Text, an Kammermusik. Es ist auch ein Stück des Rückblicks, des Abschieds. Strauss spürte, dass es seine letzte Oper sein wird, er schrieb sie in einer furchtbaren Zeit (1942 uraufgeführt; Anm.), in der er sich selbst zurückzog. Man kann darüber nachdenken, wie jemand dazukommt, in einer so schrecklichen Zeit sich mit etwas so Künstlichem wie Ton und Wort zu beschäftigen. Aber gerade dann, wenn man nicht mehr die Macht hat, etwas zu verändern, zieht man sich zurück.

Die Furche: "Capriccio" ist auch ein musikhistorisches Stück, es erinnert an den Opernstreit zwischen den Anhängern von Gluck und Piccini, also an eine Zeit, die heute nur Wenigen etwas sagt. Wie sehr muss man sich als Interpret mit dieser Historie auseinandersetzen?

Jordan: Man muss schon wissen, worum es geht, um es für die Gegenwart lebendig zu machen. Opernreform und Opernstreit sind damals wie heute aktuell. Ich muss immer schmunzeln, dass Strauss und sein Librettist Clemens Krauss die gleichen Themen diskutiert haben, vor allem was Tradition und Regie angeht, wie wir. Die Frage ist auch: Was will uns dieses Stück sagen? Ein Kollege hat mir gesagt, er wisse nicht, warum ich dieses Stück machen will, es wolle nichts. Aber muss denn immer jedes Stück etwas wollen? "Capriccio" ist ein Stück, dem man sich mit Liebe zum Detail, fürs Delikate hingibt, bei dem man sich ins Theater setzen und für zwei Stunden in eine andere Welt begeben kann. Diese Oper transportiert Emotionen, und jede ihrer Personen verkörpert eine Haltung mit einer Emotion, die wunderbar ausformuliert ist.

Die Furche: Wohin führen Sie Ihre nächsten Engagements, welche Rolle wird Wien in den nächsten Jahren spielen, werden Sie neben Paris noch eine zweite Chefposition anstreben?

Jordan: Im Sommer dirigiere ich einen "Tannhäuser" in Baden-Baden, nächste Saison einen "Ring" in Zürich, zwischendurch Konzerte. Mit den Wiener Symphonikern ist eine gute Beziehung entstanden, ich hoffe, dass sich dies noch weiter entwickelt. Die Aufgabe in Paris wird viel Aufmerksamkeit erfordern, aber früher oder später ein Symphonieorchester dazu, wäre sehr gesund.

Die Furche: Den Wiener Symphonikern wären Sie also nicht abgeneigt?

Jordan: Keineswegs, vor allem, wenn alles so angenehm läuft, aber man muss die Entwicklung abwarten.

Das Gespräch führte Walter Dobner.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung