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Eine neue Geschichte des Altertums

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Das großartige Vorhaben, das von Fritz Kern geplant und von Fritz V a 1 j a v e c ebenso liebevoll wie kundig verwirklicht worden ist, schreitet rasch der völligen Verwirklichung entgegen. Dem ersten, vorgeschichtlichen. Band folgte nun die Darstellung der Geschichte des Altertums bis an die Schwelle der Antike. Jenes Streben nach einer wirklichen Weltgeschichte, das schon im Zeitalter der Aufklärung vom frommen (oder unfrommen) Wunsch zaghaft zu flüchtigen Umrissen gediehen war und dem Heimolts Unternehmen um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert erstmals eine durch die Zünftigen anfangs belächelte konkrete Gestalt verliehen hatte, wird nun immer wieder erneut. In allen großen Kulturstaaten, wie in England und in Frankreich auch im deutschen Sprachraum.

Der Historia Mundi eignen von vornherein zwei große, antithetische Vorzüge. Sie ist einheitlich geplant und einheitlich geleitet: sie gründet jedoch auf internationaler Zusammenarbeit hervorragender Gelehrter. Beides kennzeichnet auch diesen Band, den ersten, der ins helle Licht der Geschichte führt und der nach letztem Rückblick auf die Prähistorie die Hochkulturen schildert. Kurt Tackenberg behandelt geistige und materielle Kultur der jüngeren Steinzeit, die früheste Epoche produzierender Wirtschaft. Er tut es mit souveräner Kenntnis der gesamten, erfreulicherweise auch der slawischen, iberischen und skandinavischen Forschung. Nicht minder gelungen ist das Kapitel „Hirten, Pflanzen, Bauern“ von Karl J. Narr. Auch da wirken Umsicht, Vorsicht und Einsicht harmonisch zusammen. Mit bewundernswerter Klarheit reiht der Autor Ergebnisse der Wirtschaftsethnologie aneinander. Martin Almagro Bäsch umreißt das Bild der nordafrikanischen Vorzeit, das bis tief in anderwärts historische Epochen hineingeleitet.

Hermann Trimborn, der den Band mit einem gedrängten meisterhaften Panorama der altamerikanischen Hochkv'turen beschließt, versteht es, auf zwei Seiten in unübertrefflicher Prägnanz den Wesenskern der Hochkulturen zu zeichnen. (S. 128 bis 129.)

Rudolf A n t h e s bietet ein ausgezeichnete Geschichte Aegyptens.

Einen der Hauptreize an Anton Moortgats „Grundlagen und Entfaltung der sumerisch-akkadi-schen Kultur“ erblicken wir an der einfühlsamen Sorgfalt, mit der hier das Werden des Geschichtlichen aus dem Frühgeschichtlichen und Vorgeschichtlichen erspürt ist. Wir hören von der frühesten Sozialreform des Urakagina, wir bestaunen das Menschliche und das Göttliche an Lagasch und Ur. Wir betrachten endlich das älteste uns greifbare Großreich der Sumerer, das früheste Weltreich der — semitischen — Akkader, das fast den ganzen Nahen Osten einbegriff. Babylonien und Assyrien treten das Erbe der Sumerer und Akkader an. Von beiden Großstaaten hält Giuseppe F u r I a n i die währende Leistung mit einprägsamem Griffel fest. Er gleitet über die politische Geschichte so schnell hinweg, als dies mit der Notwendigkeit chronologischen Gefüges vereinbar ist, und er ruft dann die Schöpfungen der alten Mesopotamier ins Gedächtnis, von denen, in noch höherem Grade als von der ägyptischen Kultur, die Antike und damit auch unsere Gesittung den Ausgang genommen hat.

In logischer Folgerichtigkeit wendet sich sodann die Historia Mundi dem syrisch-phönizisch-palästi-nensischen Raum zu. Er hat von zwei Seiten her, aus den Stromgebieten des Euphrat-Tigris und des Nils, seine Anregungen empfangen. William Foxwel! Albright zeigt dieses doppelte militärisch-politische und kulturell-wirtschaftliche Ringen der vorderasiatischen und der ägyptischen Herrscher um den Zwischenraum. Er bestätigt den hohen geschichtlichen Wert der Erzählungen des Alten Testaments. Die einzigartige Rolle Israels rechtfertigt es, daß ihm noch ein eigener Abschnitt „Religionsgeschichte“ gewidmet wird, den der Basler Walther Eichrodt beigesteuert hat. Sogar inmitten der so hochstehenden Beiträge zu diesem Band ragt er durch Niveau empor. Wie sehr ist doch die Wissenschaft von der kleinlichen, rationalistischen Bekrittelung der biblisehen Ueberlieferungen abgerückt, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts üblich war! „Die getreue Widerspiegelung längst versunkener Geschichtsverhältnisse der Sage der altisraelitischen Erzähler hat das berechtigte Staunen der Forscher erregt und den allgemeinen Umrissen des von ihnen vermittelten Bildes der Vorzeit neue Glaubwürdigkeit gegeben.“ (S. 337.) Diesen Satz nehmen wir als Motto des die Bibel stets den andern, vornehmlich den durch Ausgrabungen und durch außerisraelitische Quellenzeugnisse monumentaler oder schriftlicher Aufzeichnung gesicherten Ergebnissen gegenüberhaltenden Gemäldes, das wir Eichrodt danken.

Sir John L. M y r e s beschäftigt sich sehr eingehend mit der Landschaft und mit der Bevölkerung Kleinasiens, ehe er dazu schreitet, die Kulturen und die politische Geschichte dieses Raumes zu erörtern.

Die altindischen, vorarischen Kulturen von Mohen-jodaro und Harappa sind Gegenstand der etwas knappen Zusammenfassung Christoph v. F ü r e r-Halmendorfs, der auch gleichsam im Flug Südindien und die Primitiven des Subkontinents gesittungsmäßig situiert. Weit ausführlicher ist das Kapitel „Indien in vedischer und frühbuddhistischer Zeit“ von Ernst W a 1 d s c h m i d t, der dieses Thema bereits in der Bruckmannschen Weltgeschichte, als Teil einer umfänglicheren Gesamtdarstellung der vorislamischen Epochen Indiens behandelt hatte. Von gleichem wissenschaftlichen Rang, wenn auch nicht von ebenbürtiger schriftstellerischer Qualität, ist die „Geschichte Chinas bis zum Ende der Han-Zeit“ des berühmten Sinologen Wolfgang Eberhard. Sehr angebrachte Skepsis gegenüber den chinesischen Traditionen der ersten beiden angeblich historischen Jahrhunderte, dann gegenüber der überlieferten Chronologie hindern den Autor nicht, den Kern vieler legendenumwobenen Berichte geschichtlich auszuwerten und so schon für die Shangdynastie, geschweige für die Chou, einen unanfechtbaren institutionellen und sozialwirtschaft-licben Rahmen zu entwerfen. Die Ch'in schaffen bereits jenen bürokratisch verwalteten absoluten

Staat, der unter den westlichen Han die von Eberhard als „Gentry“-Reich abgestempelte Gesellschafts-oidnung entwickelt, ein System, das im Grunde bis zum Umsturz durch Mao Tse-Tung fortgedauert hat. Eberhard wird diesem oft verlästerten Altchina in ähnlicher Weise gerecht, wie man das in Europa heute dem Ancienregime gegenüber tut. Stabilität und wohlbehütete Dauer einer organisch erwachsenen geistigen und materiellen Kultur beruhen auf einer hierarchisch und ständisch gegliederten Gemeinschaft, in der es auch den breiten Massen nicht so übel gegangen sein kann: denn um Christi Geburt zählte China in seinen damaligen Grenzen von Tonking zur Südmandschurei und vom Gelben Meer bis an die Marken Tibets fünfzig Millionen Einwohner; mehr als das Römische Reich je besessen hatte und, wie in unseren Tagen, rund ein Fünftel der gesamten Menschheit, wenn nicht ein Viertel. Derlei Erkenntnis und ein paar Sätze im schon erwähnten letzten Aufsatz Trimborns über die amerikanischen Hochkulturen und ihren herrschaftlichen Charakter enthüllen blitzartig, wie sehr eine zum Wesentlichen vorstoßende Weltgeschichte noch immer, und stärker denn je, Magistra vitae, Lehrerin fürs heutige Leben sein kann. Damit aber ist der Belang dieses Werks nicht nur für den Fachkundigen gegeben. Unsere, gezwungenermaßen kurze Anzeige sei nicht beendet, ohne dem Bedauern Ausdruck zu verleihen, daß wir nicht zu vielen Einzelfragen Anmerkungen machen und mitunter Widerspruch erheben, daß wir anderseits auch nicht die verschwenderisch umhergestreuten begrüßungswürdigen Ergebnisse, die glücklichen Formulierungen und die schönen Schilderungen dei Menschen und der Ereignisse hervorheben konnten. Noch weniger ist es uns möglich, zur — recht ungleichmäßigen — Bibliographie meritorisch Ergänzungen oder Vorbehalte in bezug auf die Auswahl anzumelden. Das sei der Fachpresse überlassen. Wir begnügen uns, den Band freudig und dankbar zu bejahen, ihn aufs nachdrücklichste als eine außerordentliche Gesamtleistung zu empfehlen.

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