Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Eine Olympiade der Stimmen
Von der Besetzung der Hauptpartien in der Oper Andre Chenier“, der Premiere vor den Sommerferien, ist bei der neuerlichen Aufführung in der Staatsoper nur der noble, an Popularität wenig Konzessionen machende Gerard des Ettore Bastianini übriggeblieben. Neubesetzungen waren Anto-nietta Stella (Madelaine von Coigny) und Carlo Bergonzi (Titelrolle). Diese Madelaine wirkte trotz des etwas kühlen Klanges und verhaltenen Spiels — sehr sparsame Gestik — bereits am Anfang, und letzte sich im Verlaufe der Oper dank der glänzenden Stimmtechnik immer mehr durch. Carlo Bergonzi stellte Jceinen prononcierten Revolutionsdichter auf die Bretter, sein Gefühl flammte gleichsam als Wetterleuchten vor einer dunklen Wand.
Die gedämpften Einsätze wurden behutsam, wie zarte Pinselstriche, hingesetzt. Das Orchester unter Lovro von Matacic entfaltete bis zum gelegentlichen Einsatz von Soloinstrumenten einen berückenden Glanz.
Was in Antonietta Stella aber wirklich steckt, das zeigte sie als Amelia in der — wie ,Andre Chenier“. — italienisch gesungenen Oper „Ein Maskenball“ fünf Tage später. Man übertreibt'nicht, werfri nun behauptet, an diesem Abend hätte das Stück auch „Amelia“ heißen können. Hier war alles in größter Vollendung beisammen: die vornehme und bezaubernde Erscheinung, der hauchzarte Schmelz im Pianissimo der höchsten Lagen, der mitreißende dramatische Schwung in den entscheidenden Akzenten, das ausgeglichene Tonvolumen auch in den bewegtesten Spielszenen und hier noch dazu die geschickte Bewegung zur bildlich richtigsten Platzwahl. Diese Stella war ein Stern erster Größe in der Sängerolympiade ( Aber ihr zur Seite standen noch andere Leuchten: vor allem Giuseppe di Stefano, ein Richard von darstellerischem Format, mit einem untrüglichen Sinn für den Affekt, in jeder melodischen Fügung gleich gewandt, dabei von uner-
hörter Selbständigkeit in der Bewegung eines richtigen Singschauspielers, frei von dem Starren auf den Dirigenten. Ettore Bastianini als Rene wirkte — das lag in der Rolle — weitaus lockerer, umgängiger als fünf Tage vorher, trotz adliger Haltung weniger vereinzelt, mehr ins Volk reichend, wohldurchdacht in der Dimensionierung und im wandlungsfähigen Ausdruck seiner ergiebigen Stimme. Als Lllrica bot Giulietta Simionato eine ihrer besten Leistungen im Hause am Ring. Diese klare und füllige Tiefe und diese plastische Charakteristik (die weniger aus der gewiß guten Maske als aus der Tonsymbolik kam) werden lange ihresgleichen. suchen. In den übrigen Rollen haben unsere Wiener Sänger Bestes geleistet, vor allem die zierliche Rita Streich. (Dirigent des Abends war Berislav Klobucar.)
Zum ersten Male als Oktavian (von Schallplatten bisher nur bekannt) war auf der Staatsopernbühne Irmgard Seefried zu hören. Sie hat die meisten der ihrer schwierigen Rolle gemäßen Aufgaben gemeistert. Der Anfang mit der Marschallin war ein Kabinettstück dezenter Genrekunst, im zweiten Aufzug beherrschte die Sängerin geradezu die Szene, und wenn etwas der Dämpfung bedürfte (was Aufgabe der Regie sein müßte), dann war es die zuweilen überreiche Gestik und die Neigung, als Verkleidete im letzten Aufzug mehr mitzuspielen als nötig. Dabei hatte es dieser Oktavian schon zu Beginn insofern schwer, als Elisabeth Schwarzkopf als Fürstin Werdenberg ihre Gefühle mit der Brisanz eines jungen Mädchens, voller Laune und locker darstellte, so daß es anfangs den Eindruck machte, als wäre Oktavian in dieser Morgenszene die an Jahren gereiftere Persönlichkeit.
Sehr früh in der Saison gab es mit dem Liederabend George London im Großen Konzerthaussaal ein großes Ereignis. Dieses Auftreten — zur Zeit der Festspiele war der Sänger erkrankt und sein Konzert mußte abgesagt werden — war insofern bemerkenswert, als der Solist im Programm die ausgefahrenen Bahnen vermied. Mit Gesängen von Händel demonstrierte er eine phänomenale Atemtechnik. Zwischen Händeis prunkvollem Barockstil und der Chansonwelt in Ravels „Don Quichotte ä Dulcinee“ interpretierte der Sänger sehr gediegen und geschmackvoll Schubert-Lieder. Nach den mit viel Beifall aufgenommenen amerikanischen Volksliedern und Spirituals mußten mehrere Zugaben (darunter hervorragend: der Monolog des Boris Godunow) bewilligt werden. Erik Werba war am Flügel — vor allem bei Ravel — ein vorzüglicher Begleiter.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!