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Eine Oper gegen die Oper?

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rin merkwürdiges Werk, dieser „Eugen Onegin" mit dem Untertitel „Lyrische Szenen in sieben Bildern“. Man sagt, daß der starke Eindruck, den Bizets „Carmen“ auf den Sechsunddreißigjährigen machte, Peter Iljitsch Tschaikowsky dazu bewogen habe, einen zeitnahen Stoff für die geplante Oper zu wählen. Er findet einen Band der damals schwer aufzutreibenden Werke Puschkins mit dem Vers- roman „Eugen Onegin“, auf den ihn die Sängerin Lawrowskaja aufmerksam gemacht hatte, vertieft sich in die Lektüre und ist glücklich, das Gesuchte gefunden zu haben. „Wie froh bin ich“, schreibt er an den Bruder Modest, „die äthiopischen Prinzessinnen, die Pharaonen, die Vergiftungen und allerlei Schwülstigkeiten los zu sein Was für eine Fülle von Poesie ist im .Onegin'!“, und selbstkritisch fügt er hinzu: „Ich irre mich nicht, weiß sehr

Der Schweizer Pianist Karl Engel spielt- an vier Abenden im Mozart- Saal sämtliche Klaviersonaten sowie Phantasien und Variationenwerke von Mozart

gut, daß diese Oper an. szenischen Effekten und Bewegungen sehr wenig bieten wird; aber der allgemeine poetische Gehalt, die Menschlichkeit, die Einfachheit der Handlung im Verein mit dem genialen Text wiegen bei weitem alle Mängel auf.“

Auch später, während der Komposition und als er die Partitur beendet hat, ist sich Tschaikowsky darüber im klaren, daß diese Oper kein Bühnenerfolg werden und nie „die Aufmerksamkeit der großen Massen des Publikums“ ■ erregen wird. Man könnte spaltenlang aus Briefen und Gesprächen Tschaikowskys zitieren, um zu erhärten, wie ernst seine Bedenken waren. So schreibt er zum Beispiel an den Komponisten Tanejew, er werde keinen Versuch machen, „Eugen Onegin" im Marien- theater aufführen zu lassen, im Gegenteil, er werde dem nach Möglichkeit entgegenwirken und bitten, dje Oper nur auf einer kleinen „Konversationsbühne“, womöglich von jungen Leuten, darstellen zu lassen. Zwar betreibt er die Drucklegung, teilt aber seinem Verleger Jürgenson mit, daß er für „Eugen Onegin", obwohl er Schulden hat, kein Honorar haben wolle. Diese Oper ist Tschaikowskys Lieblingswerk, die Musik, sagt er, habe er sich nicht ausgedacht, sondern sie habe sich „im -buchstäblichen Sinn“ aus ihm ergossen. Wie. sollen andere Menschen das begreifen, singen und darstellen können? Daher fürchtet er: „Ich werde niemals solche Künstler finden, welche auch nur einigermaßen meinen Anforderungen gerecht werden können. Die Routine, welche auf unseren Bühnen herrscht, die vernunftwidrigen Aufführungen, das System, Invalide zu beschäftigen und den jungen Künstlern den Weg zu versperren — alles

as macht meine Oper auf der Bühne unmöglich!"

Das sind unübersehbare Fingerzeige, unüberhörbare Warnungen, die auch heute noch zu beachten wären, obwohl „Eugen Onegin“ seine Bühnenfähigkeit — wenn auch als ein Werk besonderer Art — längst erwiesen hat. Aber diese ganz spezifische

Atmosphäre sowohl im Szenischen wie in der Musik, jene dichterische und musikalische Schilderung des jün-gstvergange- i nen russischen Gesellschaftslebens, jene . Synthese von Hausmusik des Landadels e mit den elegischen Romanzen der Stadt- a bevölkerung (Tschaikowsky hat unzählige ;, solcher „Salonstücke“ geschrieben), in der

- sich national-russische, zigeunerische, 1 Schumannsche und italienische Liedele- i mente vermischen und durchdringen — das :. ist sehr schwer ins Optische und Dar- e stellerische zu übersetzen, und es stellt e sich die Frage, ob ein nichtrussischer,

- nichtslawischer Regisseur all das über- s haupt zu treffen imstande ist.

I Die Wiener Staatsoper hat ihre 1 Neuinszenierung Herrn Paul Hager an- e vertraut, von dem wir schon einige gute 1 Sachen gesehen haben, der aber für dieses ' Genre zweifellos die rechte Hand nicht hat. Und sie ließ das Werk von Leni Bauer-Eczy ausstatten, von der wir 1 gleichfalls schon Bemerkenswertes gesehen 5 haben, die aber sowohl in einigen Büh- ' nenbildern als auch in vielen Kostümen gleichfalls die spezifische Sphäre dieses s Sujets und dieser Musik nicht zu be- l schwören vermochte. Auch Dietrich Fischer-Dieskau als Darsteller die- r ses weltschmerzlichen, zwielichtigen Puschkin-Helden hatte es nicht leicht, so impo- 1 sant und glänzend er seine Partie sang. — ' Dagegen war Sena J u r i n a c und — ' in einigem Abstand — auch Biserca ' C v e j i Č die Rolle der schwärmerischen ' Tatjana (bzw. die der Olga) wie auf den Leib geschrieben. Ganz ausgezeichnet auch Anton Dermota als Lenski, in den übrigen Rollen Hilde Konetzni, Hilde Rössel- Majdan, Walter Kreppei (für Oskar Czer- wenka einspringend), Karl Weber, Ljubo Pantscheff, Erich Majkut und Kurt Equiluz. Der „echteste Tschaikowsky" kam aus dem Orchester, das von Lovro ' von Matacic mit einem echten Gefühl für : diese Musik und ihre besondere Atmo- 1 Sphäre feinfühlig und, wo's darauf ankam, 1 auch mit Temperament geleitet wurde.

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