Eine Position und ihre Geschichte

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Es war ein "Zwischenruf", der sich gewaschen hatte: Am 18. Oktober vergangenen Jahres breitete der evangelische Theologe Ulrich Körtner in der gleichnamigen Sonntagmorgensendung auf Ö1 seine Gedanken zur Flüchtlingskrise aus. Er sprach fünf Minuten lang - und begann mit dem Soziologen Max Weber, der in seinem berühmten Vortrag "Politik als Beruf" von 1919 erstmals Gesinnungs- und Verantwortungsethik unterschieden hatte: Während der Gesinnungsethiker die moralische Qualität des Handelns in erster Linie an den moralischen Prinzipien bemesse, frage der Verantwortungsethiker auch nach den möglichen Folgen seines Tuns. In der Flüchtlingsdebatte prallten nun gesinnungs-und verantwortungsethische Sichtweisen aufeinander, so Körtner. Wobei die Verfechter der "Gesinnungsethik" nicht selten "mit einem Gestus der moralischen Überlegenheit" auftreten würden. Wer hingegen auf mögliche Probleme bei der Integration hinweise, laufe Gefahr, "als Rechter und Rassist beschimpft zu werden", klagte der Theologe.

"Gut evangelische" Haltung?

Auch die Kirchen würden gesinnungsethisch argumentieren. "Ich würde mir wünschen, dass sie stärker einen verantwortungsethischen Politikansatz unterstützen", so Körtner. "Das wäre jedenfalls gut evangelisch."

Die Resonanz auf diesen "Zwischenruf" war groß. Körtner wurde mehrfach gebeten, seine Position zu formulieren: etwa für die Kleine Zeitung, für die "Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen" in Berlin oder auch für die evangelische Monatszeitschrift Zeitzeichen. Unter dem Titel "Mehr Verantwortung, weniger Gesinnung" forderte Körtner darin im Februar, dass die evangelische Kirche stärker die Zwei-Reiche-Lehre Luthers berücksichtigen und Verantwortungsethik praktizieren solle. Der Text war auch eine Replik auf jenen Essay, den der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, am 18. Dezember für die Frankfurter Allgemeine Zeitung verfasst hatte. "Was hat die Forderung nach einer ,Obergrenze' mit Verantwortungsethik zu tun, wenn sie genau dazu dient, die Verantwortung für weitere hier ankommende Flüchtlinge von uns wegzuschieben?", fragte er.

Doch nicht nur evangelische Christen interessieren sich für Körtners Position, auch gute Katholiken: Sogleich nach dem "Zwischenruf" vom Oktober bat Andreas Khol, damals noch lange nicht ÖVP-Bundespräsidentschaftskandidat, um ein Transkript. Kommende Woche, am 17. März, wird nun in der Politischen Akademie das neue "Österreichische Jahrbuch für Politik 2015"(u. a. herausgegeben von Andreas Khol) präsentiert, in dem unter dem Titel "Gesinnungs- und Verantwortungsethik im Widerstreit" auch Körtners Position erscheint. Instrumentalisiert fühlt er sich dadurch nicht: "Wenn man eine Position vertritt, kann man sich nicht aussuchen, wem sie gefällt", erklärt er der FURCHE. "Aber dass das Flüchtlingsthema zum Wahlkampfthema gemacht wurde, halte ich grundsätzlich für falsch."

Österr. Jahrbuch für Politik 2015

A. Khol, G. Ofner, S. Karner, D. Halper (Hg.). Böhlau 2016, 616 S., broschiert, € 50,00.

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