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Eine Woche hat funfzig Jahre

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An einem glühendheißen Sonntagnachmittag, an dem ein Dutzend funkelnagelneuer Filme trostlose Leere in den Wiener Kinos hinterließ, geschah es in diesen Tagen, daß ein nahezu ein Vierteljahrhundert alter Wiener Film den schönen Albertina-Kinosaal füllte, das Publikum verzauberte und unter Lachen und Weinen zu einer spontanen Kundgebung hinriß. Hinter den Brüchen und Rissen einer leidlich guten, doch immerhin vergilbten Kopie tauchte in unverwelkter Frische die vielfache Magie eines jener seltenen, ganz und gar geglückten Wunder von Film auf, daneben aber auch jene nachtwandlerisch sicher schwebende österreichische Balance von Heiterkeit und Schwermut, die ein Gutteil unseres Wesens ist — über alle Irrungen und Wirrungen noch heute, obwohl sie der Film nicht mehr zu kennen scheint.

Der Film war übrigens seinerzeit nicht beschränkt und einseitig exportfähig, sondern ein Welterfolg. Er hieß „Maskerade“, sein Meister war Willi Forst, einst der große Zauberer des musizierten Wortes und Bildes wie nur der „ungekrönte Johann von Oesterreich“, und seine Hauptdarstellerin die damals 26jäh-rige Paula Wessely, die wesentlichste Erfüllung des Ur- und Idealbildes des „Wiener Mädels“, die es im film jemals gegeben hat.

Natürlich ist es im Grunde nicht fair, Stern-Stunden einer großen Filmepoche mit dem Durchschnitt einer Krisenzeit zu vergleichen. Aber — es ist uns im letzten Vierteljahrhundert doch etwas abhandengekommen, was unabhängig vom Range 16t. Und es kann ja auch gar nicht anders sein. Wenn sich damals Hersteller und Künstler, ja zum Teil sogar die vielfach mäzenatisch engagierten, mindestens musisch angehauchten Geldgeber mit einer Intensität, die uns heute erschüttert, in das letzte liebevolle Detail des Films vertieften (das „Ganze“ hatte ihnen der Herr im Schlafe gegeben), so starren sie heute fasziniert auf die mühevolle Bändigung des neuesten technischen Werkzeugs und winden sich wie ein Wurm in den Sackgassen einer hoffnungslos verfahrenen internationalen und nationalen Finanzierungs- und Vertriebspolitik.

Das alles erwies einmal mehr der schwindelerregende Bogen von 50 Jahren, den die soeben nach stärkerem Erfolg als je feierlich beendete III. Internationale filmwissenschaftliche Woche in Wien über den Film von gestern und heute spannte; ein doppelter Bogen, wie ich es zu sehen glaube: Klassiker und Experimentierer (was nur selten eins ist).

jnsditinsiA: us%rtit[ üisuis lim iiaxflojhsivfil Zu. .den..Geschichte gewordenen Klassikern (etwa,;, 1916 bis 1936) zählte der immer noch gültige Dreistundenfilm David Wark Griffiths: „I n t o 1 e-r a n c e“ (1916). Die Bachsche Vierstimmenfuge seines grandiosen Parallel- und Kontrastschnittes, aber auch die Bauten des babylonischen Teiles sind hundertmal nachgeahmt, aber nicht mehr erreicht worden — Die“ Bedeutung des Wiener „R o s en k a v a 1 i e r s“ (1926) scheint uns Heutigen mehr im Personengeschichtlichen als im Aesthetischen zu liegen: die eigene Adaptierung des Werkes durch seine Schöpfer, R. Strauss und Hofmannsthal, hat den Film quasi von der Dienstbotentreppe in den Salon geführt (ein im Grunde fraglicher Fortschritt: denn dort begann er auch ästhetisches Fett anzusetzen). — Dagegen könnten sich unsere modernsten Todesstrafedebatteure noch heute an Fritz Längs Peter-Kürten-Film „M“ (1931) und seiner messerscharfen Dialektik (pro und kontra!) einiges abspitzen; auch dieser Regisseur und sein Hauptdarsteller (Peter Lorre) sind darnach den Weg alles Fleisches gegangen. Ehre ihrem Andenken von damals, •i- Ueber „Maskerade“ (1934)war eingangs die Rede; heute verschlägt sie sie uns im österreichischen Film. — Soll man Erwin Piscators einzigen Filmversuch „Die Revolte der Fischer“ (nach Anna Seghers' „Die Fischer von St. Barbara“, UdSSR, 1934) zu den Klassikern zählen? Unbestreitbar pfeift aus einigen Bildern der heiße Atem Eisensteins: der edle revolutionäre — und leider auch der wüste antiklerikale. Aber entweder war die vorliegende Kopie 1 verschnitten oder der Fischer, der Piscator, fischte doch zuviel in ihm nicht heimeligem pewässer: die Revolte gedieh nicht ganz zur Revolution. — Eine formale Tat, der eiserne Griff nach der Synthese Theater-Film, die Einführung des Kommentators in den Spielfilm u. a., weist Sacha Guitrys moralisch fragwürdigen „Roman eines Schwindlers“ in einen Sonderrang. - An der Wende der „Geschichte“ und des modernen Experiments steht Menzies' englischer Bruder von „1984“: „Things to c o m e“ (1936); seine Wurzeln reichen bis „Metropolis“ zurück. — In farbige Zukunftsträume weist der japanische Macbeth „Der Thron des Blutes“ (1957). *

Das eigentliche Experiment (1931 bis 1957) in allen seinen grundsätzlich zu bejahenden Funktionen, aber auch seinen schillernden Problematiken hatten zu vertreten: Cocteaus poetisch-dunkle Fingerübung zu „Orphee“: „L e Sang d'u n Poete (1931), Walt Disneys Micky-Mausoleum der Musik ,.F a n-tasia“ (1940) und Deutschlands beflissene Schule des hoffnungsvollen Nachwuchses (zum Teil auch des unbegabten): „Maya“ (1957).

Hans Richters „8 X 8“ ist nach verbürgten Aus-1 sagen nur den Schachspielern verständlich. Möglich. Man müßte sie fragen. Letztlich sollte aber doch 8X8 auch im Film 64 und nicht 65 oder 63 sein. *

Wer „zählt die Völker, nennt die Namen“ ... Es gab 21 Vortragende, 13 Hauptfilme und mehr als zwei Dutzend Kurzfilme, 13 Vorsprecher zu den Filmen usf. Die „Vier“ saßen wieder einmal im Jeep, im Auto und Flugzeug und kamen aus Nord und Süd, Ost und West: die Filmwochengeographie reichte von Oslo bis Rom und von Moskau bis Paris. Man sprach Französisch, Englisch, Russisch und dazwischen ab nd zu auch Deutsch. Drei Kreise tasteten die Vorträge ab: I. Filmwissenschaft. Die etwas dünne Luft wurde hier durch die uns ehrende Sitzung des Bureau International de Recherche Historique Cinematographic und eine improvisierte Gastrolle G. W. Pabsts aufgefüllt. — H. Filmwirt-pchaft. Höhepunkte: Ein glasklärjiswpiäliBepReferaäts s HsnibfrsjEJrtJoSjikhardssGecsKe, das sich rVissenschaft nd Wirtschaft gleichermaßen hinter die Ohren schreiben konnten, und eine solenne Kundgebung (nicht Utopie!) „50 Jahre österreichischer Film“. III. Filmerziehung. Ein paar gute Referate. Das heiße Eisen (die böse Jugend und der böse Film) wurde nur vorsichtig angegriffen; vermutlich aus dem ehrlichen Eingeständnis: Wir wissen noch wenig, zuwenig Verläßliches darüber.

In die Lokalitäten teilten sich Albertina, Sensengasse und drei Räume der Universität. Die Organisation klappte, die Vorführung der Filme war klaglos. Ein Unmaß von Arbeit wurde geleistet und tadellos bewältigt.

*Mehr als sonst leisten in Krisenzeiten Filmwochen wie diese Ersprießliches. Sie führen zu Besinnungen und Erkenntnissen, die „Festivals“ nicht geben können. Doch wird es vielleicht einmal von beiden, wissenschaftlichen Wochen und Festivals, weniger geben, wenn es wieder einmal mehr gute Filme geben wird.

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