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Einer, der aaszog, am heimzuhehren

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DIkFüRCHE: Sie wurden schon in jungen Jahren in die Elite der internationalen Dirigentenriege aufgenommen, werden nicht selten als „der" Dirigent des 21. Jahhunderts bezeichnet - Hat Sie dieser kometenhafte Aufstieg in Ihrer Entwicklung behindert? Franz Welskr-MOST: Meine künstlerische Entwicklung hat nicht in der Profi weit begonnen! Sie hat viel früher als bei jedem anderen eingesetzt. Als ich das erstemal ein Berufsorchester dirigierte, hatte ich bereits neun Dirigentenjahre „auf dem Buckel" und etwa Bruckners fünfte Symphonie oder Beethovens „Missa solemnis" einstudiert. - Ich denke, dies ist ein spezieller Fall, wofür ich nichts kann!

dieFurche: Aber Sie haben doch in London, wo Sie fünf Jahre lang „Mu-sic Director" der dortigen Philharmoniker waren, deshalb im Forjahr verlassen, weil Ihrer Entfaltung - durch Presse, Administration, usw - ernsthafte Grenzen gesetzt waren? welser-MöST: Ja, sicher! - Dort habe ich erstmals diese Gefahr gesehen und sofort die Notbremse gezogen! Deshalb entschloß ich mich ja auch, an die Zürcher Oper zu gehen, obwohl der Druck, trotz aller Mißlichkeiten in London zu bleiben, von Seiten des Managements wie auch meiner Plattenfirma ziemlich groß war. Jetzt sagen allerdings alle, ich hätte eine sehr kluge Entscheidung getroffen. Wenn man glaubhaft und qualitativ arbeiten möchte, muß einfach die Umgebung passen! Außerdem ist es eine Frage des Gewissens, zu erkennen, wenn's nicht mehr weitergeht.

dieFurche: Woraus schöpfen Sie die Kraft wenn Sie mal nicht musizieren? welser-MöST: Kraft findet man dort, wo man schlicht und einfach leben kann. Gemeint sind Beziehungen, die Natur, Möglichkeiten des persönlichen Reifens. Ich erhole und entwickle mich wirklich dann, wenn man mich einfach konfliktfrei Mensch sein läßt.

dieFurche: Was ist Ihr künstlerisches, was Ihr menschliches ZieP welser-MöST: Ich sehe da keine Zweiteiligkeit! - Es geht darum, jemand anderem etwas zu vermitteln, sei es durch die Musik oder anderes. Ich denke, man muß sich mitteilen und Fremdes aufnehmen, dadurch den Nächsten menschlich berühren. Darauf sollte man hinarbeiten, und das ist schwer genug!

diefurche: Wie stellt sich das Verhältnis zu Ihrer Famüie heute dar, wo Sie doch schon sehr früh ausgezogen sind, die Welt musikalisch zu erobern! welser-MöST: Viel enger, als es vor zehn Jahren war! - Ich glaube, jeder versucht in der Pubertät erst einmal, aus dem Elternhaus zu „fliehen", seine eigenen Erfahrungen zu machen. Dafür kehrt man dann umso lieber -wenn schon nicht geographisch dann mindestens geistig - nach Hause zurück!

diefurche: Sie sind österreichischer

Schon in jungen Jahren

gehörte der österreichische Dirigent zur internationalen Elite. Im folgenden ein

Gespräch über seinen Weg, sein Kulturverständnis.

Staatsbürger mit Wohnsitz in Liechtenstein. Wie definieren Sie Ihr Verhältnis zu Osterreich? WELSER-MöST: Da verhält es sich ähnlich wie mit der Familie: Man geht von zuhause weg, teilweise verärgert, denkt, alles sei schlecht, um dann wieder gerne zurückzukommen. Distanz zu Dingen, denen man sehr eng verbunden ist, zu gewinnen, ist sehr wichtig, um diese Verbindung immer wieder zu erneuern und frisch zu halten!

DIEFURCHE: Was schätzen Sie besonders an unserem Heimatland, sozusagen durch die neutrale „Distanzbrille " gesehen?

WELSER-MöST: Was mich immer wieder staunen macht, ist das unglaubliche Kulturverständnis der Bevölkerung! Daß so etwas wie ein Musikgymnasium möglich ist, im oberösterreichischen Ried, einer Stadt mit 13.000 Einwohnern, 1200 Leut zu einem Konzert kommen, oder daß -trotz aller Sparmaßnahmen - in diesem Land immer noch irrsinnig viel Geld für Kultur ausgegeben wird, ist wirklich äußerst bemerkenswert.

DIEFURCHE: Apropos Kultur in Österreich- Sie werden im Rahmen der Wiener Festwochen zwei Konzerte mit London Philharmonie im Musikverein darbieten, wie sehen Sie dieses Wiener Kulturereignis? WELSER-MöST: Ich habe keine Beziehung zu den Festwochen!

DIEFURCHE: Wie soll ich das verstehen? Franz Welser-MöST: Ich werde zwar anwesend sein, zwei Konzerte dirigieren, aber ich habe allgemein Probleme mit Festspielen, Festwochen, oder wie immer sie auch heißen! Weil das, was Festspiele sein sollten, nämlich kein Bahnhof, Festspiele heute nicht mehr sind!

DIEFURCHE: Wenn Sie Österreich, London, Zürich und die USA, wo Sie ja ein ständig gern gesehener Gast sind, charakterisieren, was fällt Ihnen dann zu jedem Ort ein?

WELSER-MöST: Um mit London zu beginnen: Die Stadt, oder eigentlich

überhaupt England, hat diesen Komplex eines Insellandes. Das geographische Abgeschnittensein vom Best der Welt prägt einfach die Mentalität! Für Amerika ist auf der einen Seite dieses „durch Geld jemand sein" charakteristisch, andererseits haben sie einen wahnsinnigen Traditionskomplex, weil die Geschichte - im Gegensatz zu Europa - so jung ist. Zürich ist vielleicht die kosmopolitischste Stadt von allen, weil dort so viel aufeinandertrifft. Ich schätze an Zürich eine große Offenheit, die aber umgekehrt auch eine irrsinnige Bodenständigkeit ist. - Eine ganz witzige Mischung und schwer zu erklären! Und Österreich hat Schwierigkeiten mit seiner Geschichte! Damitsei nicht nur das Nazitum gemeint, es gab ja auch die Monarchie, die Großmacht Österreich ...

diefurche: Also den Komplex, nicht mehr wichtig zu sein! Welser-MöST: Genau! - Den fühlt man auch in Wien, oft Musikhauptstadt der Welt genannt, worüber man streiten könnte ...

dieFurche: Hat man in Österreich eine gangbare Symbiose zwischen Kultursponsoring und staatlicher Kunstförderung gefunden? WELSER-MöST: Schon, aber die staatlichen Subventionen überwiegen doch noch sehr. Hier sollte man mehr und mehr eine Ausbalancierung erreichen. Wobei ich mir amerikanische Zustände, also keinerlei Unterstützung des Staates, nicht vorstellen möchte! Ich finde, der Staat sollte sich nicht vollständig zurückziehen, er hat sicher eine ganz wichtige Aufgabe: auf die Gesundheit der Gesellschaft zu schauen.

diefurche: Also Sie meinen, der Staat sollte auf die seelische respektive kulturelle Gesundheit seiner Bürger achten!

WELSER-MöST: Richtig! Man muß den Kulturbegriff da aber sehr offen, sehr weit definieren! Unter „Kultur" verstehe ich nicht nur die Wiener Philharmoniker und die Staatsoper, sondern dieser Kulturbegriff schließt etwa Behindertenheime oder auch Ausländerfragen mit ein. Und als Bürger dieses Landes erwarte ich mir, daß der Staat diese Aufgaben sehr ernst nimmt!

dieFurche: Wenn Sie die Chance hätten, das Rad der Zeit 15 Jahre zurückzudrehen, was machten Sie anders? Welser-Möst: Diese Frage will ich mir eigentlich überhaupt nicht stellen!

dieFurche: Begründen sich nicht in einem Reflektieren der Vergangenheit neue Möglichkeiten für die Zukunft? WELSER-MöST: Ja und nein! - Sicher kann das ein lebensweiser Ansatzpunkt sein, aber das Fehlermachen gehört doch zur Entwicklung des Menschseins dazu. Fehler sind doch auch Chancen, vieles zu verbessern!

führte Reinhard Scheidt

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