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Einer gegen den Strom

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An einem Jännerabend sprach in Wien der zur katholischen Kirche konvertierte ehemalige englische Kommu- ‘• nist Douglas Hyde, seinerzeit Chefredakteur des „Daily Worker“, und der Welt erstmals als Kommunistengegner durch sein Buch „Anders als ich glaubte“ bekanntgeworden. Der kleine, untersetzte, hochintelligente und sehr gütige Mann spricht mit der einfachen Überzeugungskraft des Menschen, der absolut und uneingeschränkt selbst an das glaubt, was er sagt. Er spricht ohne jedes Pathos. Als er vor dreizehn Jahren aus der kommunistischen Partei austrat, der er fünfzehn Jahre angehört hatte, stand er zunächst allein, denn alle seine Freunde waren Kommunisten. So wie er sich zuerst durch seinen Eintritt in die kommunistische Partei nur Feinde gemacht hatte, so verlor er durch seinen Austritt aus der Partei wiederum alle Freunde. Aber Douglas Hyde ist der Typus des Menschen, der, was er tut, aus Überzeugung tut, ohne auf persönliche Konsequenzen zu achten. Er ist ein Mensch, der sich selbst immer treu geblieben ist.

Das Charisma der Jugend

Niemals, so sagt er, hat es eine dynamischere, die Menschen aufrütteln- dere Herausforderung gegeben als jene, die Welt, in der wir leben, zu ändern. Deshalb wird auch die Jugend aller Länder immer versucht und bereit sein, diesem Ideal zu dienen, eine Tatsache, die zu beweisen scheint, daß Gott den Menschen so will, wie er in der Jugend ist. Dieses gewaltige Potential an jugendlichem Idealismus in der Welt hat der Kommunismus in größtem Ausmaß zu nutzen verstanden, zuerst im Westen und dann in den unterentwickelten Ländern. Er hat ihn genützt und für seine Zwecke mobilisiert. Niemand dürfte jemals durch die Thesen eines Karl Marx oder durch die politische, wirtschaftliche oder soziale Situation primär Kommunist geworden sein, denn Armut und Elend hat es in dör Wejt immer schon gegeben, und Leute, ‘1 die “ ‘dies’11 bekämpfen wollten’, ebenfalls. Der erste Anstoß ist von Mensch zu Mensch gekommen, hervorgerufen durch einen besonderen Typus

„Mensch“, den der Kommunismus erzeugt oder sich dienstbar gemacht hat, als Erreger, Träger und Organisator der sogenannten kommunistischen Idee. Wenn es dem Christentum und innerhalb dieses Christentums dem Katholizismus — Douglas Hyde glaubt an keine andere geistige Gegenkraft zum Kommunismus — nicht gelingt, einen gleichwertigen Menschentypus ans Feld’’zü Atblleri; dann verdient die freie Welt nicht den Sieg. Was ist das Wesentliche dieses Menschentypus? Die eifernde Liebe und die mit ihr verbun dene Opferbereitschaft. Diese beiden Hauptcharakteristika des christlichen Menschen, sie stecken ursprünglich auch in jenem Menschen, der zum Kommunismus stößt, nur verschwenden sie sich in eine falsche Richtung und wirken sich daher negativ aus. Die Kommunisten glauben, daß in der ganzen Welt ein Kampf entbrannt ist, welcher die gesamte Menschheit erfaßt, sie rglaubän;:,daß. dieser Kampf.r.Mtz ,gfh genteiligem Anschein, im Wesen weder eine militärische noch eine rein machtpolitische Auseinandersetzung ist, sondern ein Kampf um bessere soziale Verhältnisse und um die Überwindung von Hunger und Unwissenheit. Letztlich ist es ein Kampf der Überzeugungen, ein Kampf um die Herzen der Menschen, um ihren Geist und um ihre Seele. Wehe dem Menschen ohne Überzeugung, ohne Glauben an Gott und an sich selbst, er hat diesen Kampf bereits verloren.

Kommunisten müssen daher, wollen sie dieses Ziel erreichen, die Schwäche ihrer Gegner ausnützen, die verwundbaren Stellen in der freien Welt finden, nicht nur die militärische (diese zwar auch), aber in noch größerem Ausmaß die geistigen. Von diesem Blickwinkel aus erkennen sie, daß, abgesehen von gewissen Breschen im Westen, in diesem Kampf Afrika, Asien und Lateinamerika gegenwärtig die für sie entscheidenden Gebiete, daß sie ihre Zukunftsländer sind. Nun unter der Fahne des Kommunismus sind gerade diese Länder die traditionellen Missionsgebiete der Kirche, hier wird der Kampf in den kommenden Jahren am heißesten entbrennen.

Weltentscheidung ohne Ausweichen

Douglas Hyde berichtete, daß ihn seine Arbeit in fast alle Teile der Welt führe. Er hat in den letzten drei Jahren Asien siebenmal bereist und beabsichtigt im Laufe dieses Jahres noch zweimal dahin zurückzukehren. Vor einigen Wochen hielt er Vorträge für Mayo-Indianer in Zentralamerika und in einer Woche wird er in Zentralafrika sprechen. Jeder, so sagt er, der auf diese Weise Gelegenheit hat, vom Kommunismus her kommend, die Welt zu sehen, und dessen Beruf es heute ist, die in der gegenwärtigen Situation wirksamen politischen und religiösen Strömungen im Hinblick auf den Kampf gegen den Kommunismus zu beobachten, der erkennt nur allzu deutlich, daß der Kommunismus recht behalten könnte. Asien, Afrika und Lateinamerika sind heute die schwachen Glieder in der Weltkette. Eine Reihe verschiedenster Faktoren tragen zu dieser Situation bei. In jedem dieser

Gebiete herrschen seit eh und je Armut, soziale Mißstände und Analphabetentum. Aber ebenso ist heute dei gewaltige und berechtigte Drang nach rascher Entwicklung vorhanden, nach Beseitigung aller Mißstände, nach Überwindung der Rückständigkeit, nach Erwachen in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, Mit dem Beginn dieses Entwicklungsprozesses ändern sich die alten Lebensweisen, neue Gesellschaftsklassen entstehen, es taucht vor allem ein wurzelloses Proletariat und eine Schichte von Halbgebildeten auf. Das sind die zwei umstürzlerischen Klassen in der modernen Welt — sie entstanden bekanntlich auch im europäischen Westen zur Zeit der industriellen und technischen Revolution des 19. Jahrhunderts. Diese entwurzelten, führerlosen Menschen wandten eich damals und wenden sich heute am ehesten em Kommunismus zu. Mit dem Auftauchen einer, dem Westen nachgeformten und noch dazu in viel kürzerer Zeit als dort entstandenen neuen industriellen Gesellschaft geht der Zusammenbruch des religiösen Lebens Hand in Hand — so war e-s auch zur Zeit Karl Marx’. Der Kommunismus entsprang dem geistigen Vakuum, das im Westen mit dem Wachstum der industriellen Gesellschaft entstand. Heute exportieren wir diese Gesellschaft samt ihrem Vakuum in die aufstrebenden Entwicklungsländer. Hunger, Armut und Unwissenheit waren schon immer ein Übel, sie waren immer ein Anliegen des Christentums. Aber heute, da die wissenschaftlichen und technischen Mittel vorhanden sind, um diese Übel zu beseitigen, und bereits ein Drittel der Menschheit unter kommunistischer Herrschaft lebt, sind sie Zündstoffe geworden. Jedes menschliche Wesen, das an dauernder Unterernährung stirbt, jedes Kind, das an einer Krankheit leidet, die auf schlechte soziale Verhältnisse zurückzuführen ist, jeder Mensch, der wegen seiner Rasse, Religion oder sonst irgendeines Umstandes, für den er nichts kann, verfolgt wird, bedeutet für die Kommunisten Munition.

In den Tagen von Karl Marx gab es Armut inmitten von Reichtum. Sie existiertet’im Herzen des’ WeSteni!’ Es gibt gewiß noch immer viel Armut im Westen, aber der Kontrast zwischen dem Lebensstandard des Durchschnittsmenschen im Westen und jenem der nur auf ein paar Flugstunden entfernten Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas ist weit größer, als Marx es auch nur ahnen konnte. Für diese Menschen bedeutet sein Schlagwort „Arbeiter der Welt vereinigt euch, ihr habt nichts zu verlieren als eure Ketten“ eine Botschaft der Hoffnung. Diese Menschen sehen nicht das Elend innerhalb des kommunistischen Machtbereiches, sie hören auch nicht die Ketten der kommunistischen Kerker klirren, sie hören nur die Botschaft, die ihnen sonst niemand bringt. Und diese Botschaft kommt mit all der Wucht, die sie ehedem für die Arbeiter des Westens hatte. Die Vorgänge bei den Vereinten Nationen in New York im vergangenen Oktober haben gezeigt, daß die Zahl der neutralistischen Länder zunimmt. Sie haben sich noch nicht entschieden, ob sie sich den Kommunisten oder dem sogenannten „christlichen“ Westen anschließen werden. Ihre Entscheidung könnte sehr wohl davon abhängen, was die Christen in den nächsten Jahren tun werden. Die christliche Welt wird nach dem Grade ihrer Christlichkeit gewogen und beurteilt werden. Wenn wir hier eine echte christliche Gesellschaft aufbauen’ und unsere Verantwortung für die hungernden, minder bevorzugten Völker der Welt erkennen und ihnen helfen, wirklich helfen, opferbereit, selbstlos, ohne Dank zu erwarten, ohne Überlegungsempfinden und ohne Wunsch nach Kapitalzinsen und Rendite, wenn wir sie auch arbeiten lehren und die Voraussetzungen für einen Wohlstand schaffen, den sie sich selbst erarbeiten können, dann werden sie sich fast sicher für uns entscheiden. Sie werden kaum den Kommunismus wählen, wenn die Christen dieselbe Anteilnahme für ihre Not zeigen. Wenn wir der kommunistischen Herausforderung so begegnen, werden wir nicht nur negativ Sieger bleiben, das heißt wir werden nicht nur den Kampf gegen den Kommunismus gewinnen, sondern wir werden gleichzeitig etwas Positives erreicht haben: wir werden die Welt verchristlichen und damit das Gev issen des Westens und unsere eigenen Seelen retten.

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