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Einer zog aus, Troja zu finden

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Heinrich Schliemann ist eine Gestalt, die Karl May erfunden haben könnte; was der Webersohn aus dem Erzgebirge träumte und sich in seinen Romanen erfüllte, hat der Mecklenburger Pastorensohn gelebt. Sein Leben ist voll des Wunderbaren und Faszinierenden. Mit zehn Jahren schreibt er — in schlechtem Latein — einen Aufsatz über den trojanischen Krieg; das Bild des brennenden Troja hat er in einer Weltgeschichte für Kinder gefunden, und es überzeugt den Knaben, daß es diese Stadt und die feindlichen Helden, die um sie kämpfen, wirklich gegeben hat. Troja ist untergegangen, sagt der Vater, kein Mensch hat es jemals gesehen. „Ich werde es wiederfinden“, verspricht der Knabe, „ich werde es wieder ans Licht bringen 1“ Der Vater lächelt. Vierzig Jahre später hat Heinrich Schliemann die Ruinen der verbrannten Stadt ausgegraben und die Welt von der Existenz Trojas überzeugt.

Kaufmann in Petersburg

Mit vierzehn Jahren wird er aus der Schule genommen und bringt sich als

Handlungsgehilfe durch, verkauft Heringe, Salz, Kaffee, Kartoffelbranntwein für einen jämmerlichen Lohn, schleppt Kisten und Fässer; gerade neunzehn ist er alt, als er sich dabei überhebt, einen Blutsturz erleidet und den Beruf verliert. Zehn Jahre später ist er selbständiger Kaufmann der ersten Gilde in Petersburg, reich, geachtet, und korrespondiert mit der halben Welt in fünfzehn Sprachen.

Durch Abhärtung und mäßigen Lebenswandel hat er sich aus dem schwachen, kränklichen Knaben zu einem Mann von zäher Gesundheit entwik- kelt, der allen Strapazen gewachsen ist, der eiskalten Schlittenfahrt nach Moskau ebenso wie dem Ritt durch die arabische Wüste. Er hat sein Gedächtnis geschult und Sprachen gelernt, für die ersten braucht er ein halbes Jahr, dann schafft er es in sechs Wochen. Fürs Kaufmännische bringt er Instinkt mit, unter seinen Vorfahren finden sich Handelsleute in Wismar, Rostock und auf Rügen.

Er hat immer einen Hang in die Feme gehabt, und er schlägt eine sichere Stelle aus, um mit Neunzehn, ohne Geld und noch immer Blut spuk-

Vierundvierzig Jahre alt, läßt er sich in Paris nieder und beginnt Archäologie zu studieren; er will nicht unvorbereitet den Boden der Antike betreten. Er liest alle Klassiker, die Bücher der Reiseschriftsteller und das wenige, was an Fachliteratur greifbar ist; er besucht alle europäischen Museen und vertieft sich in die antiken Sammlungen. Und dieser Mann, der spät und als Amateur, als Liebhaber, sich der Wissenschaft zuwendet, wird in den zwei Jahrzehnten seiner archäologischen Forschungen dieser Wissenschaft soviel neue Impulse zuführen, daß er bald sogar, wie vor ihm Wink- kelmann, den Titel eines „Vaters der kend, nach Amerika zu fahren. Es wird nichts draus; einem Schiffbruch vor der holländischen Küste entgeht er mit dem nackten Leben. Auch als zu Geld und Geltung gekommener Kaufmann bleibt er der Draufgänger, der nur leben kann, wenn er wagt und sich selbst einsetzt. Kaum zehn Jahre nach dem Schiffbruch ist er doch in Amerika und wird vom Goldrausch in Kalifornien ergriffen. In Sacramento macht er 1851 ein Bankhaus auf und kauft Goldstaub von Gaunern aus aller Herren Ländern. Knapp entgeht er dem großen Brand von San Franzisko, und das Feuer, das in der Stadt Memel wütet, verschont unter allen Magazinen gerade die seinen. So wächst sein Vermögen rasch, aber er setzt sich nicht zur Ruhe, nützt Konjunkturen und übersteht Krisen. Seine erste Ehe mit einer Russin wird nicht glücklich, die Frau versteht ihn wicht, ihr war es um Geld und gesellschaftliches Ansehen zu tun, seine Phantastereien erschreckten sie nur. Seine Ehe bot ihm ebensowenig Erfüllung wie das Geschäft; so blieben die Reisen; immer häufiger unternimmt er sie ohne geschäftlichen Anlaß; er durchstreift Palästina, Ägypten, den Libanon und lernt Arabisch. Von Athen aus zieht es ihn nach Ithaka, in die Heimat des noch immer geliebten Odysseus; aber die Klage eines Geschäftspartners, der ihn des Betruges bezichtigt, ruft ihn nach Petersburg zurück. Noch einmal, zu Beginn seiner großen Weltreise, die er Mitte der sechziger Jahre zu Studienzwecke unternimmt und im Mittelmeer beginnt, fährt er an Ithaka vorbei, auf der Irrfahrt seines Lebens, und erst zehn Jahre nach der ersten Mittelmeerreise betritt er den Boden der Insel.

Der Weg zum „Vater der Archäologie“

Wunderbar und faszinierend ist das Leben dieses Mannes; Seiten ließen sich füllen, die Abenteuer und Merkwürdigkeiten dieser Existenz auch nur aufzuzählen. Nichts aber verwundert und fasziniert uns mehr als sein Entschluß, auf dem Höhepunkt seiner kaufmännischen Karriere dieser zu entsagen und darán zu gehen, seinen Jugendtraum zu verwirklichen: einzukehren, heimzukehren in die homerische Welt.

Archäologie“ erhält. Denn vor Schlie- mann war die Archäologie nicht mehr als Kunst-Archäologie, auf das Ausbuddeln klassischer Kunstgegenstände gerichtet. Ihr ging es um den einzelnen kunstvollen Gegenstand, die Statue, die Vase, den Tempel, nicht um aas Gesamtbild einer Kultur. Erst seit Schliemann und den ungefähr gleichzeitig mit seinen ersten Grabungen einsetzenden Ausgrabungen des Deutschen Reiches in Olympia ist das Interesse zuerst auf die Schichtenfolge, auf die Bestimmung einer Kultur und des Menschenbildes einer Epoche gerichtet. Schliemanns Zielsetzung, Troja — da« Troja Homers — zu finden und aufzudecken, hat nachhaltig mitgewirkt, den Blick auch der vorklassischen, archaischen Zeit und ihren vergleichsweise primitiveren, aber auch expressiveren Gefäßen und Figuren zuzuwenden.

Dreifach sind die Verdienste Schliemanns um die Archäologie;

• Er hat Troja — das damals teils ins Reich der Sage versetzt, teils falsch lokalisiert wurde — wiederentdeckt und ausgegraben. Was tut’s, daß er dabei teilweise, auf die homerischen Angaben wie aufs Evangelium vertrauend, von falschen Voraussetzungen ausging?

• Er hat durch seine Ausgrabungen in Troja, Mykenae, Orchomenos und Ti- ryns die Grundlagen unserer Kenntnis der agäischen Kultur geschaffen und damit wahrlich, wie er selbst voll Stolz schrieb, „der Archäologie eine neue Welt" erschlossen. Kein Forscher hat vor ihm so weit zurückliegende Kulturen — die frühesten Schichten Trojas sind mehr als viereinhalbtausend Jahre alt — aufgedeckt.

• Er trug dazu bei, den Blickwinkel der Archäologie zu erweitern und auf das Gesamtbild einer urgeschichtlichen Kultur zu richten.

Gegen Schliemanns vehemente Aus- grabungstechnik ist viel gesagt worden — sehr zu unrecht. Zunächst darf man von einem Bahnbrecher nicht erwarten, daß er schon der Vollender ist. Dann waren Schliemanns Ausgrabungen durchaus auf der Höhe ihrer Zeit. Der „Dilettant" grub nicht schlechter als irgendein Fachmann vor ihm — nur zielbewußter. Ein vorsichtiger, zaghafter Man wäre nie auf den Urboden der ältesten trojanischen Ansiedlung hinabgekommen; die Pietät hätte ihn in den obersten Schichten, dem griechischen Ilion und dem römischen Ilium, haltmachen lassen. Worin Schliemann schließlich seinen Fachkollegen unterlegen war, war die zunächst hektisch rasch erfolgende Publikation der Grabungsergebnisse und ihre oft willkürlichen und phantastischen Ausdeutungen. Hier gab er sich viele Blößen.

Er lebte mit Odysseus

Diese romantischen Deutungen haben ihre Ursache in einem bestimmenden Zuge seines Wesens. Ihm ging es im Grunde um nichts anderes, als die Realität der in den homerischen Epen geschilderten Ereignisse zu beweisen. Diese Begeisterung war das Licht seiner dunklen Jugend, und nur sie erklärt die Rührung, die ihn ergreift, als er als fünfzehnjähriger Handlungsgehilfe den besoffenen Müllergesellen Homer rezitieren hört.

Das Kind unterscheidet nicht zwischen der „Welt der Dichtung" und der „Welt der Wirklichkeit“, wie wir es zu tun gewohnt sind: für es haben alle Gestalten Realität, im Maße der Intensität, mit der es ihre Persönlichkeit und ihr Schicksal erlebt. Für uns Erwachsene sind die Gestalten der Bücher, die wir schätzen, die Karama- soffs, Bovarys und Buddenbrooks von Bedeutung, unabhängig davon, ob sie nun „wirklich" gelebt haben oder nicht. Für Schliemann, der hier — ohne es zu wissen — von tiefen geistesgeschichtlichen Entwicklungen ergriffen war, hing zeitlebens alles davon ab, nachzuweisen, daß die Helden seiner Kindheit wirklich gelebt hatten. Die Ausdauer und treue Liebe, die er für die Welt Homers aufbrachte, zeigt, wie stark er die Substanz gespürt hat, die in den alten Symbolen und mythischen Figuren enthalten ist, wenn auch erst unser Jahrhundert diese Substanz in viel umfassenderer Weise erschlossen und gedeutet hat.

Schliemann, dieser Träumer und Romantiker, wollte nur in einer Welt leben, in der die Gestalten der homerischen Dichtung wirklich gelebt hatten; nur ihre reale Existenz schien auch seinem Leben Wert zu geben. Er wollte heimkehren in ihre Welt, er wollte die Spuren ihrer Taten aufdecken, ihre Burgen ausgraben und der an allem zweifelnden Welt sagen: Odysseus und Priamos gab es wirklich — unsere Welt ist wirklich so reich an menschlicher Größe und menschlichem Leid, an Getriebensein und an Überwindung, wie Homer es geschildert hat. Wenn er Gold und Geschmeide fand, den „Schatz der Priamos“ oder die „Masken Agamemnons“, so war ihm das nur ein zusätzliches Argument, den Skeptikern, denen der Schein mehr gilt als alles andere, zu beweisen, daß seine These richtig war.

Wenn Schliemann nach Griechenland und in die Türkei fuhr, so fuhr er nicht in das kleine Hellas und die damals noch mächtige Pforte der sechziger und siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, sondern in die

Welt Homers, in der Achilles und Hektor lebendig waren in jedem Stein. Er trank das Wasser des Skamander, der die trojanische Ebene durchfließt und sommers ziemlich versumpft ist, solange, bis er krank wurde davon; nur weil es das Wasser war, aus dem auch seine Helden getrunken hatten. Und dann sagte er: „Nie mundete mir etwas besser als das trockene Brot und das lauwarme Wasser, die ich im Burghof des Odysseus auf Ithaka zu mir nahm.“ Da ist es nicht wichtig, daß es höchstwahrscheinlich nicht der Burghof des Odysseus war, in dem Schliemann rastete; ist nicht wichtig vor der Echtheit der Empfindung.

Er beobachtet und deutet scharfsinnig, wenn auch oft nicht wissenschaftlich stichhaltig. Es geht ihm nicht darum, Gold oder Schätze zu finden, sondern Spuren der Existenz seiner Helden. Sie sucht er, wie eine Gestalt im Märchen ihre verlorenen Geschwister sucht. Er spricht mit Homer und Pausanias, mit Apollodorus und Strabo, er unterhält sich mit ihnen, wie die Argolis früher war und wie sie jetzt, und er zankt den antiken Geographen geradezu aus, wenn er einmal, was die Lage Trojas betrifft, anderer Ansicht ist. Schliemann war ein homerischer Mensch — was er ansah, erschien ihm groß, staunenswert, gewaltig. Der nüchterne Zeitgenosse glaubte, er übertrieb — aus Eitelkeit oder aus welchen Gründen immer —, tatsächlich aber konnte er nicht anders als Rühmen. Schliemann war ein Dichter — nicht, weil er erfand, sondern in der Art, wie er die Welt sah, tief in ihr Inneres hinein, in das er so viele Schächte und Gräben getrieben hat.

Er war ein Mann der Superlative, und seine Briefe und Berichte strotzen oft von bombastischer Ausdrucksweise. Dies und die gewagten Fundinterpretationen, die er anstellte, sowie der naive Stolz, den er auf seine Leistungen als Kaufmann und Archäologe empfand und ihn auch, ausführlicher,

als es die Fachwelt hören wollte, als Einleitung eines wissenschaftlichen Buches die Geschichte seiner Jugend und seiner ersten Liebe erzählen ließ — all dies hat ihm viel Spott und Hohn eingetragen. Er hat diese Reaktion nie ganz begriffen und nie ganz verwunden.

Er hatte bis zuletzt der Wissenschaft gegenüber ein gewisses Gefühl der Un-

Sicherheit, versuchte immer die Meinungen von Autoritäten, wie Virchow, Gladstone, Sayce, Max Müller, cinzu- holen, er war immer bereit zu lernen, es lag ihm daran, sich in den Methoden der Grabung und Funddeutung zu vervollkommnen und sachlicher zu werden, und er zog geschulte Mitarbeiter heran, wie Wilhelm Dörpfeld, dessen Urteil .er, der viel ältere, sich oft schweren Herzens beugen mußte.

Er selbst aber wurde nie ein richtiger Wissenschaftler. Ein Wissenschaftler darf nur eine Leidenschaft haben: die nach Objektivität; zu erkennen, was ist. Schliemann aber war immer davon besessen, zu finden, was er finden wollte: Beweise für Homer. Sein Lerneifer, die Heranziehung anderer Wissenschaftler, die Verfeinerung der Grabungsmethoden: das alles waren nur Mittel für seinen Zweck. Es ist ean Zeugnis für seine unerhörte Anpassungsfähigkeit an die Erfordernisse dieser Welt und seinen Realitätssinn, daß er, tun sein Ziel zu erreichen, manches als notwendig einsah, was er zunächst entschieden ablehnte.

Kühne Pläne — harte Taten

Er war befähigt, als schwärmerischer Enthusiast kühne Pläne zu fassen und sie als Mann der Tat durchzuführen, allen Widerständen zum Trotz. Seinen Grabungen wurden von der türkischen Regierung die größten Schwierigkeiten bereitet, immer hatte er Aufpasser auf dem Hals, oft durfte er im Grabungsgelände nicht einmal zeichnen, weil man ihn verdächtigte, Spionage zu treiben — so etwas Neues waren Grabungen für die damalige Zeit. Allen diesen Schwierigkeiten begegnete er mit weltmännischen Einfällen oder mit indianischen Listen, und es gab kaum eine, die er nicht überwinden konnte.

Der Weltmann weiß sich abwechselnd beim amerikanischen, britischen, deutschen Gesandten Hilfe zu holen, telegraphiert an Bismarck und bittet ihn um Intervention, mobilisiert durch Briefe an die „Times" die Weltöffentlichkeit. Der Indianer in ihm erfindet Möglichkeiten, Verbote zu umgehen und heimlich ans Ziel zu gelangen. Bei Nacht und Nebel bricht er mit über die Dardanellen rudern, hinüber zu einem Tumulus, den der Volksmund „Grabhügel des Protesilaos" nennt, drüben auf der anderen Seite, auf dem thrakischen Festland. Bis ihn der Kommandant der nahegelegenen türkischen Festung hier bemerkt, sich Weisungen einholt und Schliemann, den vermeintlichen Spion, vertreibt, sind zwei Tage vergangen und der Hügel im wesentlichen durchforscht.

Als die türkische Regierung ihm — gegen alle Vereinbarungen — den ganzen „trojanischen Schatz“ abnehmen will, findet er Wege, ihn heimlich außer Landes zu schaffen. Als er während des deutsch-französischen Krieges 1870 71 ins belagerte Paris will und nicht durchkommt, zieht er sich die Uniform eines Postmeisters an und gelangt in dieser Verkleidung durch alle Kontrollen glücklich in die Stadt.

Der Widersacher: Ernst Boetticher

Es gibt keine Situation, in der er nicht geistesgegenwärtig bleibt und die Fassung behält. Selbst dem lästigsten und hinterhältigsten seiner Feindendem

Querulanten Ernst Boetticher, ist er gewachsen. Dieser, ein pensionierter Hauptmann, begann in den achtziger Jahren Troja als eine einzige riesige Feuernekropole zu bezeichnen und Schliemann der Fälschung zu bezichtigen. Da sich Schliemann in der Deutung seiner Grabungsergebnisse und Fundstücke mehrfach verbesserte, hatte Boetticher hier etliche Ansatzpunkte; im übrigen waren seine Behauptungen einfach Unsinn. Allein er fand Gehör; beim Publikum, weil es Sensationen liebt, und bei der Fachwelt, weil ihr die unerhörten Erfolge eines dahergelaufenen Dilettanten schon lange ein Dorn im Auge waren. So konnte der Hauptmann a. D. Boetticher seine Thesen nicht nur in etlichen Streitschriften und Zeitungsaufsätzen publizieren, er wurde auch zu Fachkongressen eingeladen und fand ein nur zu williges Gehör. Schliemann stellte sich ihm, wo es nur ging, zum Kampf. Den Einwand, Boetticher kenne Troja nicht aus eigener Anschauung, tat der Hauptmann mit einer Handbewegung ab; und seine Berufung zum Archäologen erklärte er dadurch erwiesen, daß er als alter Soldat etliche Schützengräben habe ausheben lassen und folglich von Grabungen etwas verstehe.

Nun war das, was Schliemann in Troja an Schichtenfolge und Waffen und Hausrat aus neun verschiedenen Epochen vorfand, für ihn selbst anfänglich eine so neue Welt und verwirrend, daß es ihm unmöglich war, es eindeutig zu bestimmen; also konnte er Boetticher, dessen These den Vorteil der Primitivität für sich hatte, nicht auf Anhieb widerlegen.

Der Streit, von seiten Boettichers mit allen möglichen Schmähungen geführt, zog sich jahrelang hin. Da kam Schliemann der Gedanke mit der Konferenz: er wollte in Troja eine Gelehrtenkonferenz veranstalten und Boetticher dazu einladen, um an Ort und Stelle die Unhaltbarkeit der Feuer- nekropolen-These zu beweisen. Nun wußte Schliemann, daß Boetticher als ehemaliger Hauptmann beim deutschen Volke, auf das der militärische Rang immer einen größeren Eindruck gemacht hat als der Doktortitel, etliches Ansehen genoß So lud er als unparteiischen Sachverständigen neben einem Wiener Akademieprofessor einen — Major ein, übrigens einen sehr fähi gen Mann, .der einen Namen als Kartenzeichner besaß und auch Pläne von Mykenae angefertigt hatte. Das Urteil des Majors, der die Thesen des Hauptmanns als Hirngespinste verwarf, hat, wenn nicht in der Fachwelt, so doch beim breiten Publikum sicher manches dazu beigetragen, dem Entdecker Trojas mehr zu glauben als dem Spötter.

Im Angesicht der Akropolis

Schliemann war ein Schwärmer, und er war ein Mann der Tat. Zähigkeit, Unbeirrbarkeit, Treue zu seinen Träumen und zu seinen Freunden und Härte gegen sich selbst waren seine hervorstechendsten Eigenschaften. Er war ein unermüdlicher Arbeiter, stand täglich um fünf Uhr morgens oder früher auf, scheute keine Strapazen, verlangte sich und seinen Mitarbeitern alles ab. Kranksein konnte er sich nicht leisten; als eine schwere Ohrenoperation ihn zum Stillehalten zwang, mißachtete er alle Warnungen der Ärzte und versuchte seinen Reiseplan wie vorgesehen zu verwirklichen; das war wohl auch mit die Ursache seines Todes. In Halle, wo er operiert wurde, hat er noch die Druckfahnen seines letzten Buches korrigiert, an Virchow in Berlin, an Dörpfeld und seine über alles geliebte zweite Frau in Athen geschrieben. Noch nicht vier Wochen später ist er wieder unterwegs, nach Berlin, Paris, Neapel. Dort stürzt er auf der Straße zusammen und stirbt kurz darauf, noch nicht 69 Jahre alt, am 26. Dezember 1890. Begraben liegt er auf dem Friedhof in Athen, im Angesicht der Akropolis.

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