Einfach Literatur

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Zum dritten mal wird der literaturpreis "Ohrenschmaus" verliehen.

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Zum dritten mal wird der literaturpreis "Ohrenschmaus" verliehen.

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"Wir sind es gewohnt, auf Defizite zu schauen - was nicht funktioniert, was jemand nicht kann. Ein Literaturpreis schaut auf Kompetenz, auf Gelungenes -allein das ist wichtig." Heinz Janisch, preisgekrönter Buchautor und ORF-Redakteur, ist Mitglied jener Jury, die Texte für den Literaturpreis "Ohrenschmaus" auswählt. Mit diesem wird nun bereits zum dritten Mal Literatur von Menschen mit Lernschwierigkeiten oder Lernbehinderungen auszeichnet. Franz-Joseph Huainigg rief den Preis ins Leben, der in drei Kategorien (Lyrik, Prosa und Lebensgeschichte) vergeben wird, dieses Jahr gibt es sogar einen Sonderpreis für experimentelle Texte.

Ein etwas anderer Blick

"Literatur zeigt immer einen etwas anderen Blick auf die Welt, Literatur stellt etwas auf den Kopf oder in Frage, zeigt neue Blickwinkel und Sichtweisen", betont Heinz Janisch im Gespräch über den "Ohrenschmaus"."Wir haben es hier mit Menschen zu tun, die einen sehr eigenständigen Blick auf die Welt haben -das Literarische auszuklammern, wäre ein Versäumnis." Auch in der Malerei, in der Bildenden Kunst gibt es zum Glück Initiativen der künstlerischen Wertschätzung. Eine betreut Heinz Janisch selbst seit zehn Jahren mit dem Künstler Robert F. Hammerstiel: Bewohnerinnen und Bewohnern des Caritas-Heimes für Menschen mit mehrfacher Behinderung St. Pius in Peuerbach haben jedes Jahr im Rahmen einer Kreativwoche die Möglichkeit, sich mit Fotografie, Videokunst und Text auseinanderzusetzen. Dass die Arbeiten als Kunst ernst genommen werden können, zeigt das soeben in der Fotohof edition erschienene Buch "So weit, so nah". Veröffentlichungen wie diese brechen die Isolation. Das gilt auch für den Literaturpreis "Ohrenschmaus"."Ein Literaturpreis schafft Öffentlichkeit, das stärkt Selbstbewusstsein, ermutigt andere", ist Heinz Janisch überzeugt.

Die Teilnahmebedingungen unterscheiden diesen Literaturpreis von anderen: "Texte einreichen dürfen alle Menschen mit Lernschwierigkeiten -das sind Menschen mit intellektueller Behinderung -, die schon 16 Jahre alt gewesen sind." Was Auswahl und Kriterien der Jury betrifft, unterscheidet sich dieser Preis jedoch nicht von anderen Literaturpreisen. "Kein Mitleidsbonus, keine Peinlichkeit -einfach Literatur" wird Felix Mitterer auf der Ausschreibung zitiert. Er hat den Ehrenschutz für den "Ohrenschmaus" übernommen. Die Biografien der Autorinnen und Autoren werden zwar mit eingereicht, doch die Juroren (neben Heinz Janisch sind das Kurt Palm, Barbara Rett und Eva Jancak) erfahren sie nicht und bleiben damit unbeeinflusst, wenn es darum geht, die literarische Qualität der Texte zu beurteilen.

"Der Text muss überzeugen - durch Humor, Magie, Spannungen, die entstehen, durch Rätselhaftes, das beim Lesenden weiterklingt", erzählt Heinz Janisch. "Oft werden bei der Jurysitzung Texte laut vorgelesen - weil sie wunderbar rhythmisch sind, weil sie mit Wiederholungen arbeiten, weil sie durchkomponiert sind."

Sarah Lutschaunigs "Nachrichten im Fernsehen" etwa, diesjähriger Siegertext der Kategorie Prosa, erzählt in knappen Absätzen die ganze Absurdität der auf uns einströmenden Nachrichten: Da stirbt wer an Kirschkern oder Geschirrspülmittel, da wird ein Briefträger älter, hat Schmerzen, wirft die Post weg und wird gekündigt, da fällt eine Frau in die Donau und der "Gipsfuss ist erst in 2 Stunden getrocknet. Der Frau ist Gottseidank nichts passiert."

Bilder durch Reduktion

Wie aber kann man Lebensgeschichten ästhetisch beurteilen, die bei diesem Preis eine eigenen Kategorie darstellen? Das sei schon schwieriger, meint Heinz Janisch, "und doch überzeugt die Art und Weise, wie jemand Schwerpunkte setzt, mit Einschüben Erlebnisse kommentiert oder wie durch die Reduktion auf einzelne Worte Bilder entstehen." Janisch nennt als Beispiel den Siegertext dieses Jahres, geschrieben von der 81-jährigen Josefine Bitschnau. Schon ihr zweiter Satz verblüfft. "Bin am 20. Januar 1928 auf die Welt gekommen. Emil hat auf dem Schulweg ,hau ab!' zu mir gesagt."

Die Preise wurden am 1. Dezember überreicht, eine Publikation der Ohrenschmaus-Texte gibt es zur Zeit noch nicht. "Meine Laune", der diesjährige Siegertext der Kategorie Lyrik von Dieter Gebauer (oben abgedruckt), erhält aber einen Platz auf einer Zotter-Schokolade.

Meine Laune

Meine Laune ist groß wie ein Fass. Meine Laune schmeckt wie Dreck. Meine Laune riecht wie Schuhwichse. Trotzdem bin ich immer gut gelaunt. Meine Laune hört sich an wie ein Kuckuckschrei. Meine Laune fühlt sich an wie so eine alte Hose. Meine Laune sieht aus wie ne alte Hose. Meine Laune und ich sind unzertrennlich.

Wenn ich mit meiner schlechten Laune in den Urlaub fahre, hat sie auch Urlaub. Dann hab ich keine schlechte Laune.

Siegertext Kategorie Lyrik, von Dieter Gebauer

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