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Einladend werden

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Anton Berger ist als Bischofsvikar oberster kirchlicher Verantwortlicher für die Stadt Wien. Im Gespräch skizziert er sein Konzept von Seelsorge.

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Anton Berger ist als Bischofsvikar oberster kirchlicher Verantwortlicher für die Stadt Wien. Im Gespräch skizziert er sein Konzept von Seelsorge.

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DIEFURCHE: Welche Herausforderung ist die Großstadt für die Kirche? anton BkrgeR: Großstadt hat etwas Anonymes, das unterscheidet sie vom Fand: Dort gibt es einen gewissen sozialen Halt. Die Großstadt hat zweifellos nicht die sozialen Möglichkeiten, einem aus der Fremde Heimat zu geben - außer dieser kümmert sich selbst darum. Wenn also Leute vom Land in die Stadt kommen, sind sie zwar oft motiviert, sich eine Pfarre und dort Kontakt zu suchen. Aber das stößt immer wieder auf Schwierigkeiten: Kirche in der Stadt muß viel einladender sein. Menschen, die die Kirche „streifen”, müssen von ihr freundlich behandelt und gut bedient werden. Die meisten, die in der Stadt von uns Sakramente erbitten, sind keine aktiven Mitarbeiter einer Pfarrgemeinde. Aber sie sind Kirchenbeitragszahler, und sie wollen für ihre Kinder die Firmung, für sich eine kirchliche Trauung, das kirchlichen Begräbnis. Das steht ihnen auch zu. Allerdings besteht eine Spannung zwischen der Gläubigkeit, die Voraussetzung für ein Sakrament ist, und der Bitte darum, aus der die Menschen ein Recht ableiten. Hier benötigt man sehr sensible Mitarbeiter und Seelsorger. dieFlrche: Nun ist die Gläubigkeit aber gerade in der Stadt nicht mehr so genau definierbar. Wie geht Kirche mit Menschen um, die zwar religiöse Bedürfnisse haben, aber kein „sakramentales” Verständnis? Berger: Ks gibt solche Menschen, die ein gewisses religiöses Gefühl haben: Wenn diese jetzt an einer kirchlichen Gemeinde „anstreifen”, muß man versuchen, ihnen zu helfen, daß dieses Gefühl greifbarer wird. Die Menschen haben eine größer werdende Sehnsucht nach Religiosität.

DIEFURCHE: Hat die Kirche genug personelle Ressourcen, um das zu leisten? berger: Ja - wenn man das nicht nur auf den klerikalen Sektor beschränkt. Dieser wird kleiner, aber auch da gibt es hervorragende Seelsorger, die bereit sind, dieses Gespräch zu suchen; - und dann sind die vielen Männer und Frauen in den Pfarrgemeinden, die auch versuchen, das anzubieten: Die Laien stopfen nicht nur die klerikalen Löcher, sondern entwickeln neues Leben.

DIEFURCHE: Eine Institution wie die Kirche prägt in der Großstadt aber nicht mehr die Mehrheit berger: Was Wien betrifft, steht fest, daß im Jahr 2000 nur mehr die Hälfte der Bevölkerung katholisch sein wird. Ja, wir werden zur Minderheit. Das bedeutet ein völliges Umschwenken: Die Kirche kann nicht mehr eine Hausherren-Mentalität an den Tag legen, sondern muß „kundenfreundlicher” werden - offener, einladender. Das bedeutet eine neue Liebe den Menschen gegenüber, die zu uns kommen, und es erfordert viel mehr Beweglichkeit der Institution.

DIEFURCHE: Eine besondere pastorale Situation ergibt sich in bezug auf die City: Hier gibt es relativ wenig Wohnbevölkerung, andererseits ist die Innenstadt aber ein wirtschaftliches und kulturelles Zentrum, eine Art „Fokus” des städtischen Zusammenlebens. Berg er: Die Innere Stadt ist ein gewachsenes Zentrum, das mit sehr pulsierendem Leben erfüllt ist, nicht nur als Büro- und Touristenzentrum, sondern es ist auch am Abend viel los ... Sie auch hat religiös einiges zu •bieten: Da sind zehn bis fünfzehn männliche und weibliche Ordensgemeinschaften. Es gibt fünf Pfarren und daneben noch eine Reihe von Kirchen, die ihre ganz eigene Spiritualität haben. Ich wünsche mir, daß der erste Bezirk versucht, diese Facette des religiösen Lebens viel deutlicher anzubieten. Etwa daß Gottesdienste aufeinander abgestimmt sind. Es soll auch die Möglichkeit geben - für Touristen und Interessierte - die spirituellen Facetten der Innenstadt zu entdecken.

DIEFURCHE: Viele Leute, die in der City kommen undgehen, sind mehr oder weniger „Passanten ”.

BERGER: Die Idee einer „Passantenpa-storal” kam aus Deutschland zu uns: Passanten schauen vielleicht in eine Kirche (vorausgesetzt, die Kirche ist auch geöffnet!) und finden dort Angebote an kunsthistorischer Information, aber auch einen Ort zum Beten. Die Kirchen müssen so einladend sein, daß der Mensch jene Buhe und Besinnung finden kann, die er sucht. Deshalb ist es ein wesentlicher Wunsch des Wiener Erzbischofs, daß die Kirchen geöffnet sind. Außerdem liegen fast alle „Beichtkirchen” Wi-, ens in der Inneren Stadt.

DIEFURCHE: Wird dieses Angebot zur Beichte angenommen? BERGER: Ja. Die Schwierigkeit liegt darin, daß es immer weniger Beichtpriester gibt. Diese werden außerdem immer älter und die Probleme der Beichtenden immer brisanter: Das ist nicht so leicht lösbar; denn es kommen Menschen mit ungewohnten Problemen, die auch eine ungewöhnliche oder offene Haltung des Beichtvaters voraussetzen.

DIEFURCHE: In einigen Großstädten Europas setzt die Kirche auch auf In-formations- und Begegnungszentren BERGER: In der Münchner City beispielsweise gibt es unter dem Marien -platz die „Münchner Insel”, ein ökumenisch geführtes Informationszentrum, wo während der normalen Geschäftszeiten kirchliche Ansprech partner zur Verfügung stehen. Auch die Wiener Dechanten haben seit mehreren Jahren Sehnsucht nach einem derartigen Beratungszentrum, wir konnten es aber noch nicht realisieren, denn es gibt verschiedene Auffassungen: die einen sehen es als ein ausgesprochen karitatives Zentrum, die anderen sagen, es geht primär um eine Information der Kirche, die dritten wollen wieder mehr die Möglichkeit zur Aussprache bieten.

DIEFURCHE: Wis sehen Sie als diakonische Aufgabefür die Innenstadt? BERGER: Zwar wohnen hier nicht viele Menschen, aber die sind sehr alt und einsam. Sie haben zum Teil gute Bankkonten, aber nicht mehr die Kraft dazu, ihr Geld abzuheben. Die se Menschen brauchen ein soziales Netz. Daneben schwemmt es alle Problemfälle der Großstadt ins Zentrum: man merkt es im Dom, wo sämtliche Sandler und Bettler vorbeikommen ... All diesen Menschen muß sachlich und ihnen gerecht begegnet werden. Das ist nicht leicht. Auch die Pfarrgemeinden der Innenstadt sind klein, andererseits kommen viele Leute von überall her: Jede Kirche mit einem halbwegs ansprechenden Gottesdienst hat ihre Freunde, die aus ganz Wien und darüber hinaus kommen.

PIEFURCHE: Stimmt hier das Konzept einer territorialen Pfarre noch? BERGER: Administrative Grundlage bleibt die Pfarrgemeinde, aber wir wissen, daß wir nicht mehr jede Pfarre mit einem Pfarrer besetzen können. Wir arbeiten an einem pastoralen Personalplan, mit dem wir mehr Zusammenarbeit erreichen wollen. Gerade weil in der Großstadt die Pfarrgemeinden nicht mehr alles abdecken, haben eine Beihe von neuen Gemeinschaften und apostolischen Bewegungen Platz gefunden. Die Stadt ist froh über diese religiösen Biotope, die Lebenszellen sind, und die die Stadt „religiös” machen können.

DIEFURCHE: Manche fürchten, daß die Menschen von der Kirche bloß jene religiösen Angebote annehmen,.die gerade ihrem Bedürfnis entsprechen Besteht die Gefahr, daß Kirche zu einem Fastfoodrestaurant für Religion wird? BERGER: Ich sehe das nicht als Gefahr, sondern als eine Chance: Wenn jemand zwei: oder dreimal in seinem Leben von der Kirche gut bedient wird, ist er oftechon zufrieden. Unsere Aufgabe ist, auch diesen „Passanten” möglichst gut zu dienen. Das erfordert aber eine andere Einstellung der „Filialleiter” und der Angestellten. Ich glaube, daß die Menschen ein Recht darauf haben, von der Kirche gut bedient zu werden.

PIEFURCHE: Sind Kunst und Kultur eine Aufgabe der Kirche in der Stadt? BERGER: Natürlich. Aber wir haben nicht einmal das Geld, den Stephansdom zu erhalten; für die anderen Kirchen gilt das nicht minder. Dennoch: je pluralistischer eine Zeit ist, umso mehr sind die Wurzeln zu pflegen. Unsere alten Kirchen erinnern an die Wurzeln des Abendlands. Aus diesen Wurzeln soll man in eine neue Zeit hineinwachsen, daher muß es auch die dementsprechende Auseinandersetzung mit moderner Kunst geben.

DIEFURCHE: Wird die Großstadt durch die Kirche lebenswerter? BERGER: Die Großstadt hat verschiedene Gesichter, sie ist nicht „nur” anonym. Auch Wien besteht aus vielen Grätzeln, die voller Leben sind. Die Christen sollten das Gesicht ihres Grätzels entscheidend mitprägen. Außerdem hat sogar die politische Verwaltung Interesse, Kirche hier einzubezie-hen: Wir erleben, daß bei der Umgestaltung von Grätzeln auch die unmittelbare Umgebung der Kirchen, die „Kirchplätze” einladender gestaltet werden; das ist ein Zeichen dafür, daß auch die Gemeinde Wien erkennt, welche Bedeutung Kirche hat; und wenn wir ein Begnungs- oder Sozialzentrum aufbauen, erspart sich die Stadtverwaltung eigene Aktivitäten.

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