Einsame außerhalb des Rampenlichts

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Ein Tagungsband der Österreichischen Gesellschaft für Literatur bietet Einblicke in das literarische Schaffen Erika Mitterers.

Es begann damit, dass ich, mit einer leichten Grippe ans Zimmer gefesselt, achtlos in einen Stoß Bücher griff, den meine Frau von einer verstorbenen Tante übernommen hatte, und "Alle unsere Spiele" herausgriff, von (der mir damals unbekannten) Erika Mitterer. Schon nach den ersten Zeilen ließ mich das Buch nicht mehr los, und seither lässt mich Erika Mitterer nicht mehr los.

1906 geboren, 95-jährig in Wien verstorben, ist sie eine Figur einsamer Größe im österreichischen Geistesleben - einsam in des Wortes doppelter Bedeutung: Allzu verkürzt als "katholische Dichterin" etikettiert, hat sie sich zeitlebens jeder Kategorisierung oder Vereinnahmung durch irgendeine Strömung, irgendeinen "Zeitgeist" beharrlich und systematisch widersetzt; und in vielen ihrer Gedichte setzt sie sich mit dem Phänomen der Einsamkeit des Menschen auseinander.

In einem liberalen Elternhaus aufgewachsen, wagt sie als 18-jährige, dem von ihr glühend verehrten Rainer Maria Rilke ein Gedicht zu senden - Rilke antwortet mit einem Gedicht, und der entstehende Briefwechsel in Gedichtform, im letzten Lebensjahr des Dichters, stellt "ein unvergessliches Kapitel der Literaturgeschichte" dar (Martin Esslin). Ihr monumentales Hauptwerk, "Der Fürst der Welt", 1940 erschienen, wird ein Riesenerfolg: Vordergründig ist es ein in der Zeit der Bauernkriege, der Inquisition und des Hexenwahns angesiedelter historischer Roman, den damaligen neuen Machthabern ist aber entgangen, dass dieses Buch ihrer eigenen totalitären Doktrin den Spiegel vorhält. Und ihr zweites Hauptwerk, "Alle unsere Spiele", 1977, stellt die profundeste Aufarbeitung des tiefen Zwiespalts dar, der in den dreißiger und vierziger Jahren viele Familien durchzog.

Als Einsame Jahrzehnte hindurch außerhalb des Rampenlichts, wurde ihr die Freude zuteil, noch vor ihrem Tode den Nachdruck dieses Buches sowie auch ihres gesamten lyrischen Werkes - einschließlich des Briefwechsels mit Rilke - erleben zu dürfen. Die späte Anerkennung wurde durch ein ihrem Lebenswerk gewidmetes Symposium unterstrichen, dessen Referate nun in Form eines schmalen Bändchens vorliegen: Mit Beiträgen von Herwig Gottwald, Barbara Hoiß, Martin Esslin, Márta Gaál-Baróti, Wendelin Schmidt-Dengler, Jochen Meyer und Johann Holzner bietet es einen umfassenden ersten Einblick in ihr Werk - ein Buch, das jedem empfohlen sei, der sich in ihre Lyrik vertiefen oder sich eines ihrer anderen Werke aneignen möchte. Was ihr gesamtes Schaffen durchzieht, ist die Absage an jede Schwarzweißmalerei, ist der Versuch, stets zur verstehen. "Sogar die dunkelsten Gestalten sind zumindest des Mitleids sicher; genau das ist der Punkt, der den Roman Fürst der Welt' so spannend und außergewöhnlich macht" (Hoiß). In diesem Sinne ist Mitterer "realistischer als Horváth" (Esslin).

Eine Dichterin - ein Jahrhundert

Erika Mitterers Lebenswerk

Tagungsband, hg. von der Österreichischen Gesellschaft für Literatur und Martin G. Petrowsky

Edition Doppelpunkt, Wien 2002

124 Seiten, kart., e 10,-

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