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Einsatz der Herzen

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Man hat Tennessee William, den erfolgreichsten und produktivsten Dramatiker Amerikas, etwas überspitzt den Südstaatenfreudianer, den in die Psychopathologie verstrickten „Neurosenkavalier“ genannt. Die Galerie seiner männlichen und weiblichen Neurotiker

• ist tatsächlich legendär. Adler sagt irgendwo, der Neurotiker sei wie das normale Individuum, er sei es nur in gesteigertem Maß. Wahrscheinlich ist das Theater die Kunst dieses gesteigerten Maßes. Und Williams ist mehr als bloß ein brillanter Szeniker der Neurose. Er ist ein Autor, der Nerven hat und Dumpfes, Wortloses, Blindes mit poetischer Kraft ins Bild heben kann. Er »elbst proklamiert ein Theater zum „Sehen und Fühlen“: „Die Farbe, die Grazie und das Schweben, das intime Zusammenspiel von Menschen — diese

Dinge sind das Stück, nicht Gedanken und Ideen eines Autors, diese schäbigen Dinge aus der Schwemme von Konfektionsgeschäften.“

In diesem Sinn ist auch sein Stück „Sommer und Rauch“ (Summer and Smoke) ein echter Williams. Zwei Menschen treten zur großen Auseinandersetzung, zum Zweikampf der Liebe an. Da ist die liebenswerte Und sehnsüchtige AJöik, dfe Pastorentöchter - - Alma heißt ; in» Spanischen: Seel ' im Grunde ein puritanisches. Gemüt, das, seine Seele pflegt, aber den Körper fürchtet. Und da ist der junge Arzt John, der Nachbarssohn, den Alma schon geliebt hat, als beide noch Kinder waren. John ist der „Aufgeklärte“, der ein Lotterleben führt, weil er Geist und Leib zugleich nähren will. Bis dann die große Umkehr kommt, die beide aneinander Vorbeigehen läßt. Am Ende entschließt sich die Frau zu dem „Opfer“, das der Mann zu Beginn dieses nie vollendeten Zweikampfes von ihr haben wollte, während der Mann sich so verhält, wie die Frau ihn zu Beginn sehen wollte: Aus Leid und Qual ist nichts herausgekommen als ein Rollenwechsel. John entdeckt sein besseres Ich; durch die Erniedrigung führt Johns Weg hinauf. Durch die Angst vor der Blöße führt Almas Weg zum Sturz, nachdem sie in dem geliebten Mann nichts anderes wachrufen konnte als Freundschaft, gemischt mit Mitleid.

Williams projiziert in seinen Stücken die tragische Auflösung der Gesellschaft in den Südstaaten vor der neuen Ordnung auf das rein Psychische. Wie Laura in der „Glasmenagerie“, Blanche in „Endstation Sehnsucht“ repräsentiert auch Alma in „Sommer und Rauch“ innerlich die Welt des Südens; empfindsam, überzüchtet sind sie bei der Begegnung mit dem Leben zum Scheitern verurteilt. Zwei Lebenslügen, die sich in ihrer Gegensätzlichkeit gleichen, werden hier als lebensfeindliche Positionen markiert: Der Selbstbetrug der Welt scheuen. die „mehr als Mensch“ sein wollen, die den Körper leugnen, und die Selbsttäuschung der Weltgenießer, die dem „Tier in sich“ den Tribut zollen und ihfe Sėėlė schmähen. Das Stück strömt heißen Sommer, verhängen vom dunstigen Rauch der Vergeblichkeit der Gefühle, sengend und dichterisch aus. Wenn in der berühmten Schlußszene am Denkmal, dem steinernen Engel im Stadtpark, ein zufällig daherkommender Handlungsreisender das, was von Alma geblieben ist — und Alma ist nur noch ein Wort mit vier Buchstaben und heißt gar nicht mehr Seele —, als unerwartete Beute mit sich zieht, dann spiegelt sich in dem erschütternden und vergeblichen Kampf, aus sich auSzu- brechen, um den geliebten Menschen zu erreichen, das zeitlose Schicksal eines gescheiterten Frauenlebens.

Direktor Leon Epp ist im Volkstheater eine sehenswerte Aufführung gelungen. Mit behutsamer Hand formte er das Dichterische und ließ die wenigen bunten, gewalttätigen Szenen wirksam ausspielen. Der Glücksfall der Aufführung ist Julia Gschnitzer als Alma. Sie gibt die schöne Seele, die häßlich wird; ihre Hemmungen, ihre Sehnsüchte, das ein wenig Affektierte, die überzüchtete Scham, das schon leicht Altjüngferliche

— sie macht es ergreifend gegenwärtig. Ernst Meister als John ist ihr nicht ganz ebenbürtig. Er besitzt zuwenig Ausstrahlung, ist zu sehr Denkspieler, bietet aber bei aller Einschränkung eine immer noch sehr achtbare Leistung. Im übrigen spielt Elisabeth Epp eine in ihrer bösartigen Kindlichkeit erschreckende, geistig verwirrte Mutter. Von den vielen anderen Nebenfiguren seien hervorgehoben: Hans Riidgers als aufrechter Pastor, Viktor Gschmeidler als Johns gestrenger Vater, Herbert Probst als gewalttätiger Kasinowirt, Paola Loew als dessen Tochter, ein wildes, katzenhaftes Geschöpf aus den mexikanischen Slums des Städtchens, und Monika Strauch als munter plapperndes, hemmungslos begeistertes Jungmädchen und schließlich junge Frau Johns. Das die Atmosphäre des Stückes eindrucksvoll wiedergebende Bühnenbild sowie die Kostüme stammen von Helga Schwartzkopff. Es gab starken, wohlverdienten Beifall.

Wesentlich literarischer als die mit sicherem Bühneninstinkt geschaffene Bearbeitung des englischen „Jedermann“- Stoffes wirkt Hofmannsthals selbständige Neuformung einer anderen englischen Vorlage: Thomas Otways „Das gerettete Venedig“. Das zeigt auch die Aufführung (nach der Bregenzer Inszenierung) im Burgtheater. Wenn man, wie es in einem . .ausführlichen Einleitungsaufsatz (Friedrich Heer).; im Programmheft geschieht,; Hofmannsthals Trauerspiel aus der Dogenzeit Venedigs als ein „Jüngstes Gericht“ über eine uralte, nur noch scheinmächtige, rettungslos dem Untergang verfallene Gesellschaftsordnung interpretiert, dann mag einem dieser tiefere Sinn vielleicht bei der Lektüre aufgehen, nicht aber angesichts der fast auf die Hälfte des Originals reduzierten Bühnenfassung. In der von Peter Mos- bacher (einem sonst trefflichen Schauspieler) besorgten Inszenierung wird ein (bisweilen) spannendes Verschwörerstück daraus, dessen Figuren merkwürdig starr wirken, deren Handlungen, allzu selbstverständlich, uns gleichgültig lassen. Selbst die beiden Gestalten, die Hofmannsthal selber schuf und auf die er den Hauptwert legte, den mutigen Verschwörer Pierre und den aus Schwäche und Furcht zum Verräter werdenden Antonio, bleiben äußerlich. Es sind nicht ganze Menschen mit vielen noch zugehörigen Seiten ihres Furcht- oder ihres Mutcharakters, sondern es ist einer, der immer nur Angst hat, und ein anderer, der immer nur mutig ist. Und wenn sich am Ende ihr tragisches Schicksal vollzieht, dann rührt es uns nicht, weil diese in geradliniger Einfalt geschaffenen Charaktere uns zu wenig gesagt haben.

Klaus Jürgen Wussow als Pierre ist nur auf einen einzigen leidenschaftlich bewegten Ton gestimmt, während Alexander Trojan als sein verräterischer Freund eine Fehlbesetzung ist. Die Frauen (Blanche Aubry, Erika Pluhar), vor allem aber die Verschwörergestalten, entgehen nicht immer der Schablone.

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