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Ein„Schreib-und Sprechunfug"?

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Unter diesem Titel, Folge 32 der „Österreichischen Furche", hat Prof. Dr. Julius Kallus einen heftigen Angriff gegen die „lawinenartig anschwellende", „zwecklose und sinnwidrige" Einschiebung eines s in zusammengesetzte Worte gerichtet — offensichtlich in seinem Sprachgefühl aufs schwerste verletzt und darum ehrlich entrüstet, so wie Schopenhauer so oft. Freilich: wo der jähzornige Philosoph eine „Infamie“ sah (zum Beispiel in der Schreibung „Italiener"; er verlangte „Italiäner"), dort findet der mildere Schulmann nur eine „Krankheit“.

Nach der Ansicht des Verfassers ist die s-Einschiebung sprachgeschichtlich davon ausgegangen, daß der zweite Fall (Genitiv) eines männlichen oder sächlichen Hauptwortes als Bestimmungswort in ein zusammengesetztes Wort eintrat. Später habe sich das s auch in Verbindungen mit weiblichen Hauptworten „eingeschlichen". Da diese Hauptworte bei der Biegung kein s annehmen, müsse dieses eingeschlichene s überall planmäßig ausgemerzt werden. Der Gedanke ist nicht neu. Schon Jean Paul hat in seinen späteren

Lebensjahren diese planmäßige Ausmerzung vorgenommen. Das hat ihm Maximilian Harden, dieser Großmeister der Sprachverkünstelung, eifrig nachgemacht, und darum Regierungrat, Liebelied, Milderunggrund geschrieben. Dafür hat er, wie der Satyriker Karl Kraus nachgewiesen hat, durch den Verlust seines Geburtstages büßen müssen. Geburtstag durfte er aus sprachwissenschaftlichen Gründen nicht schreiben; Geburttag wagte er nicht zu schreiben. So sprach er denn in poetischer Umschreibung von dem Tag, an dem der erste Blick ins Sonnenlicht sich jährte, oder von der Wiederkehr der Stunde, die den heute zur Mannheit Emporgereckten ins Dasein rief.

Ich bin kein Philologe. Aber ich meine bescheidentlich, daß es sich hier nicht um die Wahrung eines Sprachgesetzes handelt, sondern nur um die richtige Wiedergabe des lebendigen Sprechgebrauches der Gebildeten. Das eingeschobene s ist nur ein sprechtechnisches Hilfsmittel, das verhindern will, daß die verbundenen Worte im Munde des Sprechenden auseinander

fallen. Ob das Bestimmungswort männlich oder weiblich ist, das ist dem Sprechenden gleichgültig. Ebenso der Wohlklang (die „Euphonie"). Nahrungsmittel klingt gewiß nicht besser als Nahrungmittel. Aber, um „richtig zu sprechen" (Dr. K.), müssen wir nicht Arbeitbeginn, Arbeitplatz sagen und schreiben; auch nicht Heiratvermittlung und Gelegenheitkauf, wie der Autor fordert. Was hier „richtig" ist, das bestimmt kein Sprachgesetz, sondern die herrschende Übung allein. Sie findet bei einsilbigen Bestimmungsworten das helfende s unnötig, öfter wohl auch sinnstörend. Wir sagen und schreiben Vertragsbruch, aber Wortbruch; Worzbruch — so klänge es — wäre fast unsinnig. Darum kann es die These des Verfassers nicht stützen, daß wir, wie er anführt, Sprungbrett, Kraftfahrer usw. sagen und schreiben, obzwar hier dieselr n Mitlaute Zusammentreffen wie dort, wo wir das unzulässige s einschieben. Die Logik hat mit dem sprachtechnischen Akt der Wortverbindung nichts zu schaffen. Darum müssen wir nicht Nachmittagvorstellung, Verkehrunfall schreiben, um „offenkundige Unlogik“ (Dr. K.) zu vermeiden.

Wir sollen Aufnahmeprüfung, Einnahmequelle schreiben müssen, weil das e nicht willkürlich durch s ersetzt werden dürfe. Aber wiederum: ohne diesen Lauttausch würde das zusammengesetzte Wort im Mund des Sprechenden zerfallen. Daß das e in Ausleseverfahren, Lösegewalt, Rachegedanken usw. nicht ausgefallen

ist, worauf Herr Dr. K. hier verweist, hat mit der s-Frage nichts zu tun. übrigens wäre die Ausscheidung des e hier eine bösartige Wortverstümmelung. Das e bietet ja hier gerade jene Sprechhilfe, die das s anderwärts künstlich schaffen muß. Dr. K. verweist darauf, daß bei den Zusammensetzungen mit „Hilfe" neben den s-Formen auch Hilfeleistung, Hilferuf stehen, daß wir darum auch Hilfemittel, hilfebedürftig sagen könnten. Beide Worte würden im Munde auseinanderfallen. Auch wirft Dr. K. hier zwei Bestimmungsworte („Hilfe“ und das umlautende „helfen") zusammen. ' Neben Hilfeleistung (Leistung der Hilfe) steht Hilfsleistung, eine Leistung, die einer anderen Leistung hilft.

In den beiden letzten Absätzen spricht Dr. K. von „Reinigungsbestrebungen" und „Reinigungsversuchen“. Die wohlwollende Schriftleitung (Nummer 35, Seite 2) will nicht entscheiden, ob der Autor, sie selbst oder der Setzer das unselige s eingefügt hat. Ich glaube, daß der Verfasser seine Schlußausführungen — wie wir das immer tun sollen — nicht nur geschrieben, sondern auch gesprochen hat, so gesprochen hat, wie er das immer zu tun pflegt — und da mußte ihm das s in die Feder kommen.

Ich habe schon gesagt, daß ich kein Philologe bin. Ich muß darum, um nicht unbescheiden zu erscheinen, eine persönliche Bemerkung beifügen. Die s-Frage ist mir gerade in jüngster Zeit eine Sorge gewesen. Mein Buch über das „Versiche-

rungsvertragsrecht wird demnächst erscheinen. Nie hat ein deutscher Jurist anders gesprochen und geschrieben als „Versicherungsvertrag“, „Versicherungsrecht", obwohl Versicherung ein weibliches Hauptwort ist. Hier wird denn auch Dr. K. gewiß seine Lehre zurücktreten lassen. Aber das deutsche Gesetz, das ich zu erläutern hatte, spricht auch von „Schadensersatz" und „Schadensversiche- rung". Schaden ist ein männliches Hauptwort. Dr. K. wird darum diese Wortbildungen wahrscheinlich als die allein zulässigen gelten lassen. Ich habe mich entschlossen, durchwegs Schadenersatz und Schadenversicherung zu schreiben, wo ich nicht den Gesetzeswortlaut anzuführen hatte. Denn wir Österreicher sprechen so, weil das Hilfs-s hier die Aussprache nur stören kann. Die Wortbildung eines Gesetzes kann nicht „unrichtig" sein. Aber die unsere ist es auch nicht. Es gibt eben Fälle, in denen beide Wortbildungen gebräuchlich und darum erlaubt sind. Der Schreiber kann dann so schreiben, wie er spricht. Aber er muß diese Schreibung ständig festhalten. Das habe ich in meinem Buche getan, und das wird mir in Deutschland nicht verübelt werden. Vielleicht wird mein Fall, so geringfügig er ist, meinen Gegner dazu bewegen, die ganze s-Frage kühler und ruhiger zu betrachten. Aber ich kann nicht schließen, ohne ihm zu sagen, daß ich sein begeistertes Streben nach der Reinhaltung unserer Muttersprache aufrichtig bewundere.

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