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Der dänische Autor Joern Riel lässt in seinem Geschichten-Zyklus im Grönlandeis die unterschiedlichsten Typen vorbeiziehen.

Warum sollte man über Grönland lesen, über Jäger, Männer natürlich, die jeweils zu zweit in einsamen Hütten leben, das halbe Jahr Dunkelheit und die andere Zeit Sonne und Erträglichkeit vorfinden, die Schweigen als Hauptmahlzeit und als Aperitif und Nachspeise selbstgebrannten Schnaps genießen? Die Aufgabe dieser dänischen Kolonisatoren des Eises ist es, Fallen zu stellen, Tiere zu schießen und ihnen das Fell abzuziehen und zu überleben.

Zu fern und zu kalt?

Der Reiz einer Landschaft und deren Bewohner muss nicht im Verhältnis zur Entfernung wachsen. Grönland scheint auf den ersten Blick jenseits dieser Rechnung zu liegen, zu fern und zu kalt, um interessant zu sein. Der erste Blick täuscht und der dänische Autor Joern Riel, der sechzehn Jahre in Grönland verbrachte, im Dienste der UNO zum Weltenbummler wurde und jetzt abwechselnd in Malaysia und Skandinavien lebt, zwingt den Leser einen zweiten Blick zu verschwenden, spätestens nach der zweiten Geschichte bekommen die Jäger archetypischen Charakter.

Die ewigen Themen Eis und Einsamkeit, Sterben und Tod, Liebe und Sehnsucht ("Nicht nur vier Wände mit einem Deckel darauf, nein, ein wirkliches Heim, das für unsere Gedanken und Gefühle und Sehnsüchte Raum bietet"): die Liste der wichtigen Themen ist kurz, das Überleben das Thema. Das Fehlen vieler Dinge, die uns zwischen Zähneputzen und Abendfernsehen selbstverständlich erscheinen, reduziert das Leben der Bewohner. Bleibt aber deshalb mehr Zeit fürs Wesentliche? Was ist das Wesentliche? Nicht jeder, der einsam ist, wird zu einem Philosophen, nicht alle aufgesparten Gespräche werden dann qualitativ besser und inhaltsreicher, wenn sie endlich einmal geführt werden, wenn der Redefluss fließt.

Riel berichtet von diesem sonderbaren Volk im Grönlandeis, legt einzelne Eisschollen, auf die der Leser Kapitel für Kapitel springen kann. Da ist Anton, der Phasen hat, in denen er es nicht aushält, und der aufbricht, die Sonne zu fangen. Da ist Herbert, der auf der Station mit einem italienischen Hahn zu leben versucht und einsehen muss, dass dieser die dunkle Zeit nicht überstehen kann.

Da ist der alte Niels, der mit einem Schwein lebt, mit ihm redet und darüber seinen menschlichen Mitbewohner Halvor vergisst, der dadurch in den Wahnsinn getrieben wird und das Schwein schlachtet.

Kuriose Begebenheiten

Ein anderer Jäger, Don Svendsen, wird ein Opfer seines Haustieres. Don ist seit Jahren mit einer Boa unterwegs, im Eis-Winter wird er jedoch unversehens zur Notration des Tieres. Unvorstellbares passiert wie auch die Erhaltung und Konservierung des toten Jalle, dem die Freunde tiefgefroren die Möglichkeit geben, sich von allen zu verabschieden, da es unmöglich ist ihn einzugraben. So sitzt er wieder heimgekommen vor der Hüte mit seiner Pfeife und beim letzten Umtrunk darf der Tote sogar in die warme Stube und bevor er auftaut, bekommt er wieder Frischluft.

Ein anderer Toter, der Selbstmörder Lause, wird in einem Eisberg beigesetzt, doch auch dies bietet keine Sicherheit und nach einem Föhnsturm treiben Eisberg und Toter bis nach New York und so bringt es Lause noch zu publizistischen Ehren.

Der kleine Pedersen, der angesichts seiner Statur weder bei Frauen noch im Leben Erfolg hatte, wächst durch die scheinbar brutale Behandlung von Lodvig, der ihn einfach im Schnee aussetzt, über sich hinaus.

So erzählt und wiedergegeben erscheinen diese Geschichten kurios. Dass sie, so wie sie Riel schildert, selbstverständlich klingen, und der Autor sich in der Entwicklung so viel Zeit lässt wie die Sonne, bevor sie aus der monatelangen Dunkelheit wieder auftaucht, das macht den Reiz aus.

Die Dankbarkeit für diese Geschichte kommt nach vielen Lese-Kilometern. Vielleicht beim einfachen Satz ("Man muss immer vorsichtig sein, wenn man mit Leuten zu tun hat, die Ideen haben"), bei der Feststellung ("Es gibt gewisse Jahre, in denen man keine Fremden sehen kann") oder beim philosophisch-pessimistischen Kleinod: "Sie zanken und bekriegen sich und schreiben das alles nieder. Aber der Teufel soll mich holen, wenn sie etwas daraus lernen. Die Weltgeschichte, mein Freund, das sind dicke Bücher über Mord an allen Fronten und Vaterlandsliebe und Ehre und andere Idiotien. Und dann nur wenige Zeilen über dies und jenes, wie es normalen Menschen geht. Er strich gedankenvoll über seinen langen grauen Unterhosen, die auch einige Flicken aus Seehundfell gebrauchen könnten."

Joern Riel hat keine Weltgeschichte geschrieben, aber einige Zeilen über normale Menschen, die zwar wärmer angezogen sind als wir, aber trotzdem viel mit uns zu tun haben.

Zu viel Glück auf einmal

Geschichten von Joern Riel

Aus d. Dän. v. Wolfgang Th. Recknagel

Unionsverlag, Zürich 2003

253 Seiten, geb., e 20,50

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