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Elat, Minen, Vagabunden

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DIE BEIDEN STÄDTE ELAT UND AKABA — LETZTERES MIT dem Hauch des legendären Lawrence of Arabia umgeben — stehen einander wie feindselige Fischer an den Gestaden des Roten Meers gegenüber. Fast scheint es, als sollten die Fluten der See die Araber einerseits und die Israeli anderseits in Schach halten oder zumindest Abkühlung der oft aufgebrachten Gemüter bringen. So feindselig nun einer der Gegner dem anderen auf der Ebene der Politik ins Auge blickt, so freundlich werden auf dem Schwarzmarkt die Hände geschüttelt, Menschen- und Haschischschmuggel mit besonderem Eifer abgewickelt.

Elat hat es dieser prickelnden Atmosphäre zu verdanken, daß es als der „Wilde Westen“ Israels eine magische Anziehungskraft für Abenteurer aus aller Welt besitzt. Freilich gibt es in der Stadt auch „High- Society“-Hotels, in denen der Gast von der „Red Sea Atmosphere“ bis ins Schlafzimmer umhegt wird. Der so mit Anzug und Krawatte angetane Hotelbewohner ist sich kaum bewußt, in das Territorium moderner Goldgräber eingedrungen zu sein, das für Vagabunden meist die letzte Chance bedeutet, „frischen Wind“ in die schlaffen Segel ihrer Geldbörsen einzufangen. Das zu wissen, bleibt nur jenen Vorbehalten, die sich in die Gemeinschaft dieser neuzeitlichen „golddigger“ einordnen, die mit ihnen das zuweilen harte, aber — vorübergehend wenigstens — interessante Los primitivsten Lebens teilen.

Schlüsselposition und erste Fühlungnahme zugleich in bezug auf „Arbeitsmarkt“ ist die Jugendherberge, die freilich ihren ursprünglichen Wert verloren hat, nämlich, dem müden Wanderer nur ein Dach über den Kopf zu geben und seinen Körper in wärmende Bettlaken zu hüllen. So laufen dort Individualisten umher, wie ich sie nirgends zuvor — auch' nicht im Hafenviertel von Rio de Janeiro — gesehen habe. Man lebt beziehungsweise vegetiert scheinbar nach folgender Devise: „Je schmutziger und verkommener du aussiehst, desto besser!“ Der so der internationalen Armenleuteclique angehörende Neuling wird in erster Linie nach seiner schon absolvierten Fahrtdauer eingestuft. „Vagabundenbabies“, die — wie ich — erst zwei Monate unterwegs waren, haben überhaupt kein Mit- spracherecht und müssen heilfroh sein, ihr sauer verdientes Brot verzehren zu können. Hier zählen nur Jahre! Und sogar der Heimweh- Freddy, dem die Schlagerfans als dem Prototyp des Heimatlosen in rauchgeschwängerten Espressi zu Füßen sitzen, würde in der untersten Schublade sein Dasein fristen!

SENIOR DIESER RAUHEN GESELLEN, denen nun auch ich ange hörte, war ein 29jähriger Schotte, der schon sechs Jahre unterwegs war. Er arbeitete in Bombay, Kalkutta, Hongkong im Hafen, war Bauarbeiter in Saigon und Nachtwächter in Yokohama. Für ihn haben jene Städte allen Glanz verloren, der sie auf der Kinoleinwand und in Prospekten als Glorienschein des Wunderbaren umgibt. Seniors Lebensstandard bewegte sich stetig auf dem schmalen Grat zwischen Betteln und Verhungern, und so ist es nur selbstverständlich, daß diese sechs Reisejahre an ihm ihre deutlichen Spuren hinterlassen haben. Am augenfälligsten waren wohl seine strähnigen Haare, die ihm bis auf die Schulter fielen. Obwohl ihm neunzig Prozent der Bevölkerung Elats mit Ekel nachstarrten, obwohl goldbereifte US-Püppchen mit verschmiertem Lippenrouge vor Entsetzen aufkreischten und in die Arme ihrer pomadisierten Jünglinge eilten, ziehe ich vor diesem Mann den Hut: Ich glaube nämlich, daß es auf der Welt nur ganz wenige gibt, die solch eine Härte und Ausdauer mit sich bringen, um sechs Jahre Herumzigeunern körperlich wie moralisch überhaupt durchzustehen. Was aber dieser Schotte an Erfahrungen während dieser Zeit sammelt, bringen die — oft managerkranken — Seßhaften nicht in zwanzig Jahren zustande.

War es Abenteuerlust, die den Schotten zu seiner Reise bewegte, so waren es ganz andere Faktoren, die „Black John“ nach Elat führten. „Black John“: Kaum ein treffenderer Spitzname ließe sich finden! Denn dieser Engländer verabscheute es, sich die Zähne zu putzen, mit Wasser in Berührung zu kommen oder ein Rasiermesser aus der Nähe überhaupt nur zu betrachten! So konnte man nur bei wirklich einwandfreien Sichtverhältnissen Augen und Nase als „Gesichtselemente“ identifizieren. Der Vater „Black Johns“, ein reicher Brite, schickte ihn nach Israel, um ihn dort „zum Mann reifen“ und das Wort „Arbeit“ in der ureigensten Bedeutung erkennen zu lassen. Doch der mißratene Sohn arbeitete nun auch in den Timna-Kupferminen, die jeden Dahergelaufenen engagieren, wo er aber überraschenderweise einen solchen Arbeitswillen entwickelte, daß man ihn wieder hinauswarf: „John was fired out!“ Das war eine Neuigkeit, die halb Eilat beschäftigte. Es würde mich brennend interessieren, wie wohl das nächste Land heißen mag, in das ihn sein Vater schicken wird, um aus John einen Mister John zu machen.

Aber nicht nur Burschen zieht

Elat in seinen Bann. Auch Mädchen — allerdings nur die hartgesottensten — ziehen diese Stadt Paris, London oder Rom auf unbestimmte Zeit vor, um abenteuerliche Romantik ganz auszukosten. Mit Augenzwinkern und Hüftenwackeln be ginnen sie, sich einen Freundeskreis zu schaffen, bauen Strohhütten am Strand, greifen wieder zu Lippenstift und Puderdose und hoffen so, bald einen finanziellen Aufschwung erleben zu können. Die weniger abgebrühten, denen es noch ein Funke Feingefühl verbietet, die Tür der guten Kinderstube ganz hinter sich zuzuschlagen und somit im Elater Treibsand ihr Leben zu fristen, brauchen freilich etwas länger… Wählerisch darf man allerdings nicht sein! So lernte ich Mädchen kennen, die schon wochenlang zehn Stunden täglich im Hafen Männerarbeit verrichteten.

NACH BETRACHTUNG UND SONDIERUNG DER Gegebenheiten war ich nun an der Reihe, mich um einen Job umzusehen. Ich fragte in

Hotels, Baufirmen, im Hafen und landete schließlich im Timna-Kup- ferbergwerk, das 25 Kilometer nördlich von Elat liegt und schon in grauer Vorzeit König Salomons Sklaven beschäftigte. Vieles hatte ich schon von diesen Minen gehört, und so kam ich zu der Vermutung, daß Timna, so wie die ehemalige französische Fremdenlegion, größtenteils von Ausländern profitiert. Den Einwohnern erscheint der Dienst zu schwer! Und schon deshalb interessierte es mich, dies für mich gänzlich neue Betätigungsfeld kennenzulernen.

Das Cafe Lumer, das Timna- „Heuerbüro“, wo jeder mit offenen Armen empfangen wird, der für zwölf Pfund täglich seine Arbeitskraft dem Heiligen Land zur Verfügung stellt, ist um 6 Uhr Treffpunkt aller Minenarbeiter, die dann vom werkseigenen Bus nach Timna transferiert werden. Es ist eine einmalig kuriose Show, die da vor der Lurner-Kulisse abgezogen wird, wenn aus allen Richtungen die Männer zusammenströmen: Viele unrasiert, ungewaschen und mit den Schuhen in der Hand — ein beschauliches Stilleben, doch fiele es keinem Außenstehenden ein, daran Anstoß zu nehmen. Denn — dies hatte ich rasch heraus — Timna- Männer sind tabu!

So konnte auch ich mich ruhig in meiner Arbeitskleidung blicken lassen, die der Hautatmung breitesten Raum gab, ausgerüstet mit einem Seesack dunkler Schattierung, den ich in einem unfertigen Neubau gefunden hatte. Somit ward ich unauffälliges Mitglied der Minengilde. Während der halbstündigen Fahrtdauer wurde in allen möglichen Sprachen und vollster Lautstärke — die wenig hebräisch Sprechenden wurden „taktvoll“ überhört — ein leidiges Problem diskutiert, das — wie ich später erfuhr — tagtäglich in neuen Varianten aufgetischt wurde: der eklatante Männerüberschuß Elats. Die Ankunft in Timna, die „Heimsuchung“ der Stechuhr und der Gang zur „Futterkrippe“ drängten das Thema freilich in den Hintergrund. Überhaupt waren diese kostenlosen Mahlzeiten ein Grund mehr, warum ich Timna anderen Arbeitsstätten vorzog.

Vom Glück begünstigt, wurde ich einem Arbeitsteam zugewiesen, dessen Aufgabe es war, ein außerhalb Timna gelegenes Wasserreservoir instand zu halten. Glück hatte ich also, brachte dies doch Tätigkeit in frischer Luft ohne irgendwelche Strapazen! Mitunter war es sogar recht gemütlich. Denn als der Boß, ein gebürtiger Tscheche, hörte, ich sei Österreicher — der erste übrigens in Timna —, erinnerte er sich voll Freude „seines“ Kaisers Franz Joseph und unterbrach seine Lobrede nur hie" und da, um uns mit „Tello margialo“ oder anderen aufmunternden Worten an die Arbeit zu erinnern. Wenig begeistert über des Tschechen Erinnerungen schienen meine Arbeitskameraden zu sein: ein baumlanger Holländer, der seine lange Hose am Fußgelenk mit Manschettenknöpfen zuband; ein 40 Kilogramm schwerer Engländer, der — einst Jusstudent — die Vagabundenlaufbahn einer Gelehrtenkarriere vorzog. Trotzdem schien er seinen „doctor-look“ beibehalten zu wollen, indem er stets korrekt mit Gilet angetan zur Arbeit erschien. Der dritte unserer kleinen Gruppe war ein Franzose, der die Eleganz seiner Vergangenheit herübergeret-

tet hatte und mit Aktentasche und Sigmund-Freud-Lektüre das Timna- Terrain um eine originelle Type bereicherte.

UM MÖGLICHST BALD MEIN FINANZIELLES Untergewicht zu verlieren, mußte ich jede Chance wahren, alle mir dargebotene Arbeit anzunehmen. Also schuftete ich 16, 20, ja sogar manchmal 24 Stunden am Tag. So schön und geruhsam nun die acht Stunden unter dem Kommando des tschechischen Franz- Joseph-Schwärmers waren, so hart und schmutzig war die Arbeit in der Nacht. Denn „Nachtjob“ bedeutete Reinigung eines betonierten Wasserreservoirs mit 20 Metern Durchmesser.

Unter gleißendem Scheinwerferlicht schlüpften wir also in Schaftstiefel und kletterten elf Meter in die Tiefe. Unten standen wir bis zum Bauch im Schlamm und hatten diesen in Kübel — gewöhnlicher Größe — zu schaufeln, die dann händisch hochgehievt wurden. Diese „Kübelarbeit“ veranschaulicht deutlich die primitiven Arbeitsmethoden, die in Timna herrschen.

Als ich dann einige Male mit der Timna-Schlammhölle Bekanntschaft geschlossen hatte, war' es mir ein leichtes, mit voller Brieftasche aus den Minen zu scheiden.

Israel: Ein junges Land. Ein Land der Gegensätze, der überraschendsten — scheinbaren — Widersprüche. Doch Elat ist nicht Israel. Elat ist etwas ganz Besonderes: Eine Fundgrube menschlicher Charaktere, ein Zufluchtsort von Individualisten.

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