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ELEGIE UND FANFAREN

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Hinter jenem wunderbaren kleinen Rundbau am Tiberufer, der seit ein paar hundert Jahren, Gott weiß weshalb, Vestatempel genannt wird, beginnt die -Via dei Cerchi. Das ist eine echte Vorstadtstraße, wie man sie in jeder beliebigen europäischen Großstadt ebensogut finden kann wie in Rom. Sonntag vormittag wird hier Markt gehalten. Mit Hilfe von Stangen und Zeltblättern verwandeln die Händler ihre kleinen Karren in Marktstände. Arbeiter und Bauern aus den nächsten Dörfern der Campagna kaufen hier Kleider und Schuhe, Sicheln und Sensen, oder auch Hühner, die, in viele Käfige verladen, auf

Pferdewagen zu Markt gebracht werden. Die Händler sind Juden. Sie haben die Sabbatruhe schon hinter sich und dürfen arbeiten. Wie das nun einmal in Rom so ist y immer und immer gerät •llMM<“ah<mmgslos aus defflnriWShm'lAfta$.a fc,dM, große Opern-

tb|hfteifdet'Weltge&hieh^. '^W9iü^^liClmtäAeu Vorstadt-una^onritägsmarkt grenzt orine Trennungsstrich die Via Appia, die südliche Heerstraße von Alt-Rom, die Straße der Triumpha-toren und der Toten.

Über den niedrigen, flachen Hügel des Palatins ragen die Ruinen der Kaiserpaläste auf, ungeheure, sinnlos gehäufte Backsteinskelette einer vergangenen Welt. Eine breite asphaltierte Alleestraße, der Viale Guido Bacelli, führt durch die Passeggiata Archeologica; das ist ein vor nicht allzu länger Zeit geschaffener Park, richtiger gesagt, ein Freilichtmuseum. Die Archäologie, nach der eben dieser merkwürdige Park seinen ungewohnten Namen führt, bereichert die Anlagen Jahr um Jahr mit neuen steinernen Fundstücken, die hier im Grünen ausgelegt werden, wie man bei uns zulande Pelargonien in den Garten setzt. Am Ende der Passeggiata stehen die Ruinen der Caracallathermen, riesenhafte nackte Backsteinmauern. Man muß viel Vertrauen zur Altertumskunde haben, um es zu glauben, daß hier wirklich ein Luxusbad gewesen ist und nicht eine gigantische Fabrik, eine Fronstätte für viele hundert Arbeitssklaven.

Links an der Straße, die hier Via San Sebastiano heißt, liegt das Grab der Scipionen. Zwei Tore, knapp hintereinander, bilden die Stadtgrenze; zuerst der Drususbogen, ein stämmiges Quader-

tor mit Marmorverkleidung und Säulen, darüber ein drückend schwerer Aufbau, ein Rest der Wasserleitung für die Caracallathermen; dann das eigentliche Stadttor, die Porta Appia oder Porta' San Sebastiano, auch sie niedergedrückt von einem gewaltigen Aufbau, einer Mauer mit mittelalterlichen Zinnen, von zwei hohen Rundtürmen flankiert. Da also beginnt die Heerstraße, die heute genauso wie vor zweitausend Jahren von Rom nach Capua und nach Brindisi in Süditalien führt. Zwei Säulenfragmente in Brindisi, knapp hinter dem Hafen, bilden den Endpunkt der Via Appia.

Sie ist Heerstraße und Gräberstraße, eine Elegie mit dem Klang von Fanfaren. Die Porta San Sebastiano, dieses wuchtige ritterliche Burggemälde, fügt sich mit bizarrer Harmonie in die ruhigen Linien der Antike ein. Wildes Grün quillt und wuchert über die hohen Mauern, die nun beiderseits die Straße begleiten. Zypressen malen dunkel ein Memento mori in den frohen Himmel: Weißt du's auch wirklich, ob nicht gerade hier hinter der Mauer ein Friedhof liegt? ... Fast jedes Dorfwirtshaus an der Straße ist zugleich der Eingang zu kleinen Katakomben. Hinter der Sonntagsheiterkeit dieser Tavernen und Weinschenken lauern mit grotesker Totentanzgebärde die Gerippe. Aber das ist ja letzten Endes geschäftstüchtige Berechnung. Die Osterienwirte der Campagna siedeln sich mit Vorliebe in nächster Nähe heiliger und schauerlicher Statten an. Nach Erbauung und Grauen wird Stärkung bei Mandolinengezirpe sehr begehrt. Die Straße ist mit kleinen flachen Steinen gepflastert. Die großen grauen Platten des antiken Pflasters sind verschleppt und zerstört. Hie und da findet man einige Stücke davon an die Straßenmauer angefügt. In der kleinen Kirche ,,Domine, quo vadis“ dienen ein paar Steine des alten Pflasters als Bodenbelag.

Nicht nur Geschichte und wissenschaftlich erwiesene Wirklichkeit, auch das Legendenhafte wird lebendig und wahr, wenn der Schauplatz des tatsächlichen oder vermeintlichen Geschehens die Kraft hat zu überzeugen. Die grauen zweitausendjährigen Pflastersteine, die jetzt in dieser rührend schlichten Dorfkirche liegen, sie sind der Weg, auf dem Petrus ängstlich von Rom geflohen ist, und hier, hier an dieser Stelle, trat ihm die Erscheinung seines Heilands entgegen ... „Wohin gehst du, Herr?“ ... Darauf die traurige Antwort des Gottmenschen: „Nach Rom, mich nochmals kreuzigen zu lassen.“ ...Sinnvoller Schmuck der kleinen Kirche^sind zwei Kopien berühmter Skulpturen, die Fußspuren Christi in einer weißen Steinplatte und Michelangelos kreuztragender Christus. Der Bronzevorschuh der Christusstatue ist von Küssen glattgescheuert, wie der des Originals in Santa Maria sopra Minerva. Aber während das Original einen Bronzeschurz um die Lenden bekommen hat, muß sich die Kopie hier an der Via Appia mit einem weißen Leintuch begnügen.

Durch die leicht gewellte Ebene der römischen Campagna führt die Straße weiter, von den sichthemmenden Mauern befreit.

Hinter uns liegt Rom, schon ganz fern, weit hingebreitet die lange helle Schnur der Häuser, darüber lichtgrau aufgewölbt die Kuppel von Sankt Peter. In den sattgrünen, von Mohnblüten rot gesprenkelten Wiesen stehen zerborstene Ruinen antiker Grabdenkmäler. Rinder der Campagna mit hellem Fell und ungeheuren geschwungenen Hörnern blicken trag von der immerwährenden Mahlzeit auf und spitzen die großen, weit abstehenden Ohren. Hier und dort drängt sich eine Gruppe von Dorf- und Kleinstadthäusern längs des Weges aneinander. Jedes Fenster ist mit Netzen gegen die Mücken der Sümpfe geschützt. Vor den Abgängen zu heidnischen oder christlichen Kolumbarien stehen die kleinen Osterien, Wirtshaustische unter dichtem Weinlaubdach, dahinter Küche und „Ingresso“ zu den Grabkammern. Die Straßenmauer kämpft noch einmal um ihr zweitausendjähriges Recht. Einzelne Bruchstücke zuerst, dann wieder lange, zusammenhängende Mauerzüge, die den Ausblick hindern. Ein Tor führt zu den Katakomben des heiligen Callistus. Eine halbe Million frühchristlicher Gräber hat sich hier tief in die Erde gewühlt.

Wieder Osterien mit laubgedeckten Vorplätzen, rechts die Pilgerkirche San Sebastiano, dann links der Circus des Maxen-tius. Heuernte auf großen, holpernden Wagen, Wiesen mit Duft von Blüte und Reife, scharlachroter Mohn, Brennesseln und viel dichtes, hohes Unkraut, Grillengezirp, das die Stille erst recht fühlbar macht — und tief eingesunken in die gesunde, sorglos wuchernde Üppigkeit die Ruinen des Zirkus: Einen halben Kilometer lang die Backsteinmauern des einstigen Prunkbaues, in dem die wilden Wagenrennen hingebraust sind. Nur eben noch so viel Überreste, arme, zermorschte Ruinentrümmer, ragen aus dem unbarmherzig lebendigen Grün auf, daß man erkennt, wie groß, wie weit, wie mächtig das alles einmal gewesen ist. Wagenlenker, zwischen Triumph und Tod ihre wilden Gespanne steuernd, tausende und tausende Zuschauer, erregt, lüstern, mit Hohn und Beifall bereit,. Hufgetrappel, Donnern der schweren Wagen, aufpeitschende Rufe in tausendfachem Brausen — das alles liegt tot unter Brennesselgestrüpp, Grillengezirp und dem Knirschen holpernder bäuerlicher Heuwagen. Eine Flöte kreischt i gendwo scheußlich falsch einen uralten deutschen Gassenhauer.

An der Straße vor dem Zirkus steht ein Landstreicher: zer-

lumpt, den Hut auf dem Ohr, einen Sack über die Schulter. Mit vollen Backen bläst er auf seiner zerbeulten Flöte den alten Gassenhauer, begrüßt mich mit einer Flut deutscher Worte, fängt in seinem durchsiebten Hut das Trinkgeld auf, und während er noch Dank und Gott weiß was hinter unserem Wagen herruft, trottet er die Straße weiter gegen Süden. An einem erhöhten Punkt des welligen Landes steht ein großer Rundbau, das Grabmal der Caecilia Metella, graue Quadern, oben ein marmorner Fries mit Reliefs von Kränzen und Tierschädeln, darüber mittelalterliche Zinnen. Ein Vater, dem die Tochter gestorben war, kämpfte verzweifelt mit dem Tod: Das gigantische Denkmal, das er ihr setzte, war eine Festung gegen den Tod. Es gab zumindest ihrem Namen — Caecilia Metella — Unsterblichkeit.

Zweirädrige Pferdekarren* bringen den Wein der Campagna nach Rom. Sie sind fast so bunt bemalt wie sizilianisches Bauernfuhrwerk. Ein Wagendach, njcht von rückwärts nach vorn, sondern seitlich aufzuklappen, schützt ••de- Kutscher vor Sonne und Regen. Mif- Bleehgewmnctttr brichitiieine Dorfmusik

“in die Stille ein. “Über die Via Appia zieht eine Prozession. Zuerst lange Linien weißgekleideter Mädchen mit meterhohen Lilienstengeln, dann winzige Kinder, wahrhaftige Liliputmen-schen, in rosa und blaue Gaze gekleidet, mit Engelflügeln aus Pappe. Die armen Kleinen taumeln bleich in der glühenden Sonne und streuen mit müden Händchen welke Blumenblätter in den Staub der Via Appia. Kirchenfahnen, riesenhafte bunte Segel, schweben langsam näher. Ein Athlet in weißem Chorrock trägt ein roh gezimmertes Kreuz. Er hält es ganz aufrecht, dieses ungeheure, phantastisch hohe Symbol des Glaubens. Und wieder riesige Fahnen wie gebauschte Schiffssegel, nun Knaben und

• Mädchen mit bunten Schärpen, Kreuzträger, Nonnen, Priester, Musikanten und bäuerliche Honoratioren, unter deren schweren Stiefeln die Blumenblätter zu Brei zermalmt werden.

Das fromme Farbengewirr und das würdige Blechgeblase versickern in Ferne und Stille... Die Via Appia verwandelt sich endgültig in eine echte Landstraße, ohne Pflaster, aber schön geschottert, gut gepflegt. Auf schmalen Feldwegen wandern ein paar Frauen, Lasten auf dem Kopf. Und da gibt es kleine Dörfer, Bauernhäuser, die sich wie Parasiten in die Ruinen der altrömischen Grabmäler eingenistet haben.

Nun aber befreit sich die Via Appia mit tiefem Atemholen von allem Gegenwärtigen, Kleinlichen, Menschlichen. Schnurgerade, wie ein Pfeilschuß, wie eine Naturgewalt, die ohne Hindernis ihren ungehemmten Weg nimmt, braust sie durch die Ebene der Campagna. Der Aquaeductus Claudiae mit der wehmütigen Schönheit seiner vielen Bogenwölbungen trägt müde die königliche Würde des Ererbten an der himmelverhöhnenden

Jugend der Funkmaste vorüber. Längs der Straße recken sich turmhoch die Gerippe antiker Grabmäler auf, Backsteinruinen, formlos, wesenlos wie Felsnadeln und Kyklepenblöcke. Die Unsterblichkeit läßt sich nicht“ erzwingen. Selbst die Denkmäler müssen den letzten Weg alles Menschlichen gehen, werden wieder ein Stück namenloser Natur. Die breiten Kronen alter Pinien schmiegen sich an die zerklüfteten Spitzen der Ruinen. Zypressen stehen am Straßenrand. Die Elegie der Via Appia klingt leise in die mattblaue Ferne aus, die unter den Gipfeln der Albanerberge liegt. thotet: Pro/. Dr. Friedrich WiiiacU

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