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„Elektra”, Ballett und Bilanz

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„Elektra” von Hofmannsthal und Strauss wurde von Herbert von Karajan neu inszeniert und im Lauf des Monats August dreimal dirigiert. Sowohl szenisch wie musikalisch wollte es Karajan offensichtlich einmal anders machen als andere. Wo immer es ihm möglich erschien, hat er die Partitur fast kammermusikalisch aufgelichtet. Das Resultat war überraschend und ein wenig ernüchternd zugleich. Man hörte oft minutenlang einzelne Stimmen und kontrapunktische Verflechtungen, auf die man noch nie aufmerksam geworden war (obwohl sie alle in der Partitur nachzulesen sind). Das war sehr spannend und instruktiv obendrein. Denn der gewaltige schwarzrote Schwall, mit dem diese ungewöhnliche Musik den Hörer überflutet, war in ein •chmales, sauber eingefaßtes Bett gelenkt, von dessen sicherem Rand man seinem Fluten und Strömen in aller Ruhe zuschauen konnte. Bei der Gestaltung der Bühnenbilder und der Kostüme glaubte sich Teo Otto von den Empfehlungen der Autoren emanzipieren zu können. Aber ob er gut daran tat? Gerade die der „Elektra” gehören zu den genauesten und suggestivsten,: die wir kennen. Natürlich war , es auf der Bühne stockfinster (bei Hofmannsthal wird es — ein wichtiges dramaturgisches Eletoeitf! —’ fÄ ‘ Vetlaüf der Handlung allmählich dunkelI). Bei dem matten metallischen Funkeln der Riesenwände wähnte man sich eher im Innern eines Bergwerks als in Mykenä (das, nach dieser Inszenierung zu schließen, von den Beteiligten niemand gesehen hat). Wo der Regisseur von den Vorschriften abwich, passierten unbegreifliche Fehler. So ist das Erscheinen des Orest, genau die Zäsur des ganzen Dramas, eine der stärksten Szenen, die Strauss und Hofmannsthal geschaffen haben, ein großer Augenblick auf der Opernbühne überhaupt. Aber was geschah im Großen Festspielhaus? Orest trat von rechts ein und ging gemessenen Schritts über die halbe Bühne bis vors große Tor, chaute gewissermaßen nach der Hausnummer, ob er auch richtig ist, und wandte sich dann erst Elektra zu und so weiter und so weiter. Die Sänger hatten es schwer, die Mängel der Inszenierung vergessen zu machen. Astrid Varnay ist eine großartige Künstlerin, die vom Masken- und Kostümbildner aber so übel zugerichtet war, daß sie einem leid tun konnte. Am Schluß, statt des ekstatischen Tanzes, läßt sie der Regisseur in starrkrampfartige Bewegungen und Zuk- kungen verfallen. Ihre große Stimme ist den immensen Anforderungen der Partie, in der Höhe vor allem, nicht mehr ganz gewachsen. Trotzdem war ihre Interpretation im höchsten Grad eindrucksvoll. In Stimme und Erscheinung ihren Partien entsprechend waren Martha Modi als Klytämnestra, Hildegard Hillebrecht — Chrysothemis, James King — Aegisth und Eberhard Wächter, dem es leider an der hier besonders notwendigen persönlichen Ausstrahlung fehlt.

Im neuen Festspielhaus fand auch das Gastspiel des Balletts der Kroatischen Nationaloper Zagreb statt. Am ersten Abend wurden drei Ballette gezeigt: „Josephslegende” von Richard Strauss, „L’hėros et son miroir” nach Musik von Milko Kelemen und die „Polowetzer Tänze” von Borodin. Mit dem von Harry Graf Kessler und Hofmannsthal gestalteten Stoff konnte sich Strauss — vor allem mit der Gestalt des reinen Gottsuchers Joseph — lange Zeit nicht anfreunden. Das ist seiner Musik auch heute noch anzumerken, denn Konventionelleres, Oberflächlicheres und Unprofilierteres hat er wohl nie geschrieben. Ob das einstündige Prunkballett für die heutige Bühne überhaupt zu retten ist? Die Zagreber hatten einen überzeugenden, überaus anmutigen und jünglinghaft wirkenden Tänzer einzusetzen: Aleksej Judenic. Das ist schon sehr viel, denn Aufführungen der „Josephslegende” seheitern meist schon an der unzu länglichen Besetzung dieser Partie. Auch sonst war eine ganze Reihe respektabler Tänzerinnen und Tänzer aufgebo- ten, und die sechs Boxer von athletischakrobatischem Typ waren eine Sehenswürdigkeit, wenn auch ein wenig kurios. Die Inszenierung und die Choreographie von Pia und Pino Mlakar hält sich im wesentlichen an das Libretto, die Bühnenbilder und Kostüme Duian Ristiis wirkten ein wenig spärlich, obwohl der jugendstilhafte Charakter der Ausstattung zur Musik nicht schlecht paßte. Aber hier ist orientalischer Prunk vonnöten, wie ihn seinerzeit Diaghilew in Paris, für dessen Truppe dieses Ballett geschrieben war, aufbot.

Das Dreipersonenballett „Der Spiegel”, nach einer Idee von Milko Sparenbleck, mit Musik von dem führenden,1924 geborenen jugoslawischen Komponisten Milko Kelemen, inszeniert und choreographiert von Sonja Kasti und Nerenka Bidjin, ist eines jener Problemstücke, wie sie vor zehn, fünfzehn Jahren aufkamen. Es konfrontiert einen Mann (Miljenko Vikii) mit seiner Vergangenheit (Stane Leben), in der natürlich eine Frau , (Djurdjiea fcudxw) . die Hauptrolle spielt. Tänzer und Stück waren recht ambitioniert, und trotzdem kam die ganze Geschichte nicht recht über die Rampe.

Das hatte man sich für alle Fälle von den Polowetzer Tänzen Borodins nach der Choreographie Fokins erwartet. Aber nach dem Verzicht auf eine Rahmenhandlung und entsprechende Dekorationen (die durch große geraffte Vorhänge ersetzt waren) blieb nichts als eine Folge recht unterhaltsamer, meist auch sauber ausgeführter Gruppen- und Solotänze. — Am zweiten Abend wurde das bekannte, vor kurzem auch an der Wiener Staatsoper gegebene Prokofieff-Ballett „Romeo und Julia” nach der Choreographie Di- mitrije Parlics aufgeführt.

Die Lehre, die man aus diesem nur halben Erfolg des Kroatischen Nationalblatts ziehen muß, ist, daß für die Festspiele nur erstklassige Ensembles in Betracht kommen, wobei der Ausstattung — soweit es sich nicht um das Genre des Ballet blanc handelt — besondere Aufmerksamkeit zu schenken wäre. Jedenfalls sollte man das Ballett im Rahmen der Salzburger Festspiele weiter kultivieren, aber zur Beratung einen Fachmann heranziehen, der empfiehlt, welche Truppe mit welchen Werken zu engagieren ist.

Die Salzburger Festspiele waren, wie wir in unserem Leitartikel ausführten, auch heuer wieder der verschiedenartigsten Kritik ausgesetzt. Ein dankbares, nie versiegendes Thema ist dabei das „Konzept”, die „Idee” der Festspiele. Konzepte sind gut, aber nicht entscheidend. Ideen freilich muß man haben. Noch wichtiger aber scheint uns das Fingerspitzengefühl zu sein für das, was nach Salzburg paßt und was nicht. Wenn man von ausgesprochenen Mißgriffen verschont wird und Fremdkörper meidet, so bleiben — als Posten, aus denen sich die Gesamtbilanz der Festspiele ziehen läßt — die einzelnen gelungenen Veranstaltungen. Und deren hat es auf dem Gebiet der Oper wie auch der Konzerte (der großen und der kleinen) nicht wenige gegeben. Über die wichtigsten haben wir berichtet. In unserer nächsten Nummer folgt zum Abschluß ein zusammenfassendes Referat über die Sprechstücke des heurigen Festspielsommers.

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