6606564-1954_22_08.jpg
Digital In Arbeit

Elisabeth Langgässers Briefe

Werbung
Werbung
Werbung

„ soviel berauschende Vergänglichkeit." Von Elisabeth Langgässer: Briefe 1926 bis 1950. Claassen-Verlag, Hamburg. 252 Seiten. Preis 13.80 DM

Knapp vier Jahre nach ihrem Tod legt Wilhelm Hoffmann, der Mann Elisabeth Langgässers, einen Auswahlband ihrer Briefe vor. Ein vollständiges Bild ihrer Entwicklung geben diese Dokumente nicfit, da, wie der Herausgeber im Vorwort sagt, wesentliche Briefe an heute noch Lebende weggelassen werden mußten. Immerhin ein erregendes Buch, das auch dem Kenner der Werke der Dichterin neue Aufschlüsse über ihre geistige Wglt und vor allem über ihre Persönlichkeit zu gehen vermag.

Alles ist da, was wir aus ihren Büchern kennen: die, beinahe mystische Verbundenheit dieser Rheinhessin mit der Antike, und ihr Ringen um das Christentum, das als Element schon in ihren früheren Werken spürbar ist, um dann in den nach dem Kriege erschienenen Veröffentlichungen als . Glaube und Kirche an die entscheidende SteHe zu treten. Die Synthese dieser Polarität, die in ihren Frühwerken antithetisch, jeder Verschmelzung oder auch nur Harmonisierung widerstrebend sich äußerte, wird schließlich Elisabeth Langgässers Anliegen. Ueber eines der späten Gedichte „Daphne an der Sommerwende" schreibt sie an den Kanonikus Kusche, den Pfarrer der Herz-Jesu-Gemeinde in Berlin-Charlottenburg, dem sie nahe verbunden ist: „Ich glaube, es ist mir darin, trotz .Laubmann und Rose“, zum erstenmal gelingen, den christlichen Kosmos in meine antike Naturwelt einzubeziehen, vielmehr, diese Natur durch den Blick des Christen zu verwandeln."

Immer wieder auch kreist sie in einer genauen und unerbittlichen Selbstanalyse, in den Briefen wie in ihren Essays und dichterischen Werken, um die Möglichkeiten und Grenzen christlicher Dichtung überhaupt, zu der sie sich aufgerufen und verpflichtet weiß. „Sie preist nicht die Humanität noch den Ordo, sondern bezeugt Existenz und Mysterium" hat Walter Dirks einmal über die Langgässer gesagt. Und sie schont auf diesem gewagten Weg weder sich selbst noch ihren Leser. Da gibt es Rechtfertigungsversuche ihrer krassen Entlarvung der Abgründe im Menschen, Erklärungen, warum sie die Sünde „so rundherum, in prangender Fülle, in teuflischem Hochmut und üppiger Augenlust“ darstelle, und immer wieder taucht der Gedanke auf, daß Schuld und Erlösung einander bedingen, daß die „gratia" erst die Natur vollende, daß das Wort von der „felix culpa“ sinnlos werde, wenn der christliche Roman die böse und sündhafte Seite der Welt und des Menschen auslasse oder auch nur verkleinere.

Neben diesen substantiellen beschäftigen Elisabeth Langgässer natürlich auch formal-ästhetische Probleme, die besonders in den Briefen an den Dichter Wilhelm Lehmann auftauchen, die übrigens auch großartige Interpretationen der Leh- mannschen Lyrik und ihrer eigenen enthalten. Auch ein Brief an den Kanonikus Kusche spiegelt die besondere Problematik des christlichen Dichters, die Julien Green bis zu der quälenden Ueber- zeugung von der Unvereinbarkeit des Aestheti- schen und Religiösen überhaupt führte. Elisabeth Langgässer kannte den Rausch des Gestaltens, „das Glück des Fortgerissenseins im Augenblick der Ekstase", und sie wußte auch um deren Gefahren. In dem Brief vom 12. März 1949 an den Kanonikus Kusche spricht sie von der entsetzlichen Furcht, „durch die künstlerische Form und den künstlerischen Rausch ,selig“ werden zu wollen — anstatt umgekehrt, die künstlerische Form nur aus der Substanz zu haben So ist das gleiche ,Tun“ (nämlich meine künstlerische Arbeit) das, wodurch ich Gott lobe und wodurch ich versucht werde, die Kunst über das Leben zu stellen."

Und sie, die in ihrem Leben und in ihrem Werk eine glühende Zeugin des lebendigen Gottes zu sein sich bemühte, bekennt in dem gleichen Brief, daß sie häufig von dem Bewußtsein heimgesucht werde, daß alles, was sie sage und schreibe, „Bluff, geschicktes Arrangement und artistische Lüge" sei.

Zwiespältigkeit, Unrast und Unausgeglichenheit gehören zu Elisabeth Langgässer. Diese Frau mit dem analytisch scharfen Intellekt klagt einmal — (vor ihrer Ehe, und das ist echt!) —, daß sie gar keinen Ehrgeiz und gar kein Talent zur Self- madewoman habe und sich gern ein Stückchen tragen lassen würde. „Ein Leben zu führen, das so tief beunruhigt und nirgendwo in festen Händen ist, fällt nicht ganz leicht." Sie, der höchste Bewußtheit eigen ist, zeigt in ihren menschlichen Beziehungen ganz kindliche Anhänglichkeit und unbedingte Treue, und in den frühen Briefen einen leidenschaftlichen Gefühlsüberschwang, der später dem bewußten Willen zur Hingabe an ihre Familie und ihre Freunde Platz macht.

Daneben bleibt ihr die scharfe Zunge, die schneidende Ironie gegen alles ihr Wesensfremde und gegen eine Zeit, die ihre private und künstlerische Existenz bedrohte. 1936 wurde ihr, der Halbjüdin, von der Reichsschrifttumskammer jede Berufsausübung verboten — sie schrieb in den kommenden Jahren ihr „Unauslöschliches Siegel" —, 1944 nahm man ihr die älteste, damals 14jährige Tochter Cordelia, die zuerst nach Theresienstadt und dann nach Auschwitz kam; im gleichen Jahr wurde sie selbst zwangsverpflichtet und zu einer Arbeit gezwungen, die ihre ohnehin nicht mehr stabile Gesundheit völlig untergrub. Dazu die Enttäuschungen nach Kriegsende, die schwerste Depressionen, das Gefühl großer Verlassenheit und tiefster Einsamkeit auslösten. „Wenn ich das letzte Jahr überdenke; es war fürchterlicher als zehn Jahre Zuchthaus! Welche Aengste, welche Not, Qual, Todesgefahr, Mühsal, Hunger, Kälte, innere Verlassenheit! Und inmitten all dieses Geschehens doch immer: welch wunderbare Führung und Fügung; wie deutlich die Hand und der Finger Gottes", heißt es in einem Brief aus dem Dezember 1945.

Erwähnt sei noch, daß sich in diesen Briefen — gewiß unerwartet für jeden, der sich Elisabeth Langgässers gelegentlich verletzenden Ausbrüchen gegen den Protestantismus, etwa im Schlußsatz des „Unauslöschlichen Siegels", erinnert — nicht selten Passagen finden, die nicht nur eine gute Kenntnis • Luthers: dokumentieren, sondern auch weitgehendes Verständnis, das manchmal fast an „geheimes Einverständnis" grenzt. Wahrhaft befreiend ist jene’r Brief vom 23. März 1936, in dem Elisabeth Langgässer einer evangelischen Freundin, die die Patin Cordelias ist, klar zu machen versucht, daß das gemeinsame Christentum mehr bedeutet als die Verschiedenheit der Konfession. „Die innere Verwandtschaft, die unserer Auffassung die Taufpatenschaft zwischen zwei Christen (Christen, Lieslein!!) begründet, kann niemals, so wenig wie eine Blutsverwandschaft, aufhören oder zerrissen werden, und es ist ein theologischer Irrtum, Liebstes, wenn Du meinst, daß hier ein Unterschied zwischen Katholiken und Protestanten bestünde. Es gibt ihn so wenig wie einen Unterschied zwischen Taufe und Taufe, denn Taufe ist die Wiedergeburt aus dem einen Christus." Die Langgässer, die so herrisch und heftig gegenüber menschlichem Versagen und schon gegen Andersartigkeit reagieren konnte, ringt schließlich doch immer entschiedener um eine kindliche Demut und fraglose Unterwerfung vor Gott Und wo immer sie ihr begegnet, zählt sie hoch für sie — das bleibt bestehen auch trotz der Lieblosigkeiten, zu denen ihr impulsives Temperament sie so leicht verführt.

Dr. Anneliese Dempf

Die Lebensalter. Ihre ethische und pädagogische Bedeutung. Von Romano G u a r d i n i. 52 Seiten. — Grundlegung der Bildungslehre. Ders. 47 Seiten. Beide im Werkbund-Verlag, Würzburg. „Weltbild und Erziehung".

„Die Lebensalter" ist ein Kapitel aus einer Vorlesung über die Grundfragen der Ethik. Diese Phänomenologie der Lebensphasen beschreibt in großen Zügen die einzelnen Altersstufen und deren Krisen. Leider ist das Gebotene zu kurz, um befriedigen zu können. So bleibt dem Leser genug selbständige Arbeit. Der Begriff der Ganzheit des Lebens, die in allen Lebensaltern Sinn und Gestalt gibt, ist der richtige Ansatzpunkt. Man hätte gern einige Bemerkungen über den Einfluß der spezifischen Religiosität in den einzelnen Phasen gelesen.

Die „Grundlegung der Bildungslehre. Versuch einer Bestimmung des Pädagogisch-Eigentlichen” ist schon zweimal veröffentlicht gewesen — wird aber in der vorliegenden Broschüre einen weiten Leserkreis finden. Die drei einander ergänzenden Möglichkeiten zur Bildung sind: 1. das Bild als statisches Vor-Bild, 2.. die Bewegung aus der Situation des Augenblicks, die Bewährung beansprucht, und 3. der „Dienst", in dem das statische Moment des Bildes und das „existpntielle" des Je-Gegenwärtigen sich dialektisch einbaut in den Bildungsauftrag an der Menschheit. Diese meisterhaft klare Darstellung sollte jeder Pädagoge kennen und bei aller Arbeit vorsehen und berücksichtigen. Diego Hanns G o e t z OP.

Kinderpsalmen. Texte der biblischen Psalmen, für das Kind in Verse gebracht von Elisabeth Gräfin Vitzthum, Kösel-Verlag, München,

48 Seiten. Preis 3.80 DM.

Wie die Verfasserin selbst in der Einleitung sagt, stellt ihr Büchlein einen Versuch dar. „Es will den Eltern helfen, ihre Kinder über das bloße Bittgebet hinaus auch zum Lob- und Dankgebet zu führen." Die Psalmen „sind aber für das kleinere Kind noch zu schwer". Deshalb hat die Verfasserin aus dem Psalterium gewisse, für das Kind bereits verständliche Verse ausgewählt •und sie überdies noch versifiziert, um sie ein- gänglicher zu machen. Der Versuch muß als gelungen bezeichnet werden, es wurden rhythmisch gut geformte Strophen gebaut, hur. wurde zuweilen die einmal gewählte Zeilenlänge nicht immer eingehalten. Sie sind leicht erlernbar, ohne ; zum Leiern zu verleiten, dazu steckt zuviel Weisheit in diesen kleinen Dichtungen. Geschmückt wurde das Büchlein von der Wiener Künstlerin Rose R e i n h o 1 d mit 16 Holzschnitten. Dies konnte auch kaum von jemand anderem trefflicher geschehen. Gerade ihr schlichter, an frühere Zeiten gemahnender Schnitt paßt ebenso ausgezeichnet zum Inhalt des Büchleins wie die Innigkeit der Einfälle dieser Meisterin, die es versteht, was es- heißt, sich „einzufühlen”.

Josef R e i s i n g e r,

Geheimnis Tibet. Von Fosco M a r a i n i. Wil- helm-Andermann-Verlag, Wien. 286 Seiten mit vielen Kunstdrucktafeln. Preis 78 S.

Dieses Buch hebt sich vom Gros der leicht hingeschriebenen Reiseschilderungen durch seine volkskundlichen und psychologischen Erkenntnisse, kurz gesagt durch seinen Tiefgang, ab. Es erzählt nicht bloß von Seltsamkeiten, an denen die tibetische Lebensform und die sie erfüllende Geisteswelt so reich istr es entwickelt sie aus ihren ’• inneren Begründungen heraus, -Die -scheinbaren ic und wirklichen Gegensätzlichkeiten und Spannun- ,. gen dieses von einer höchst eigenständigen Vor- . stellungsweit geprägten Landes klären sich dadurch auf oder werden menschlich begründet. Kurz das Rätsel, das „Geheimnis Tibet", löst sich,’ weil es als Ganzes gesehen wird. Reiches und schön gestaltetes Bildmaterial.

1 Carl Peez

- - • v

Begegnung der Geschlechter. Ein Vortrag vor Studenten. Von F. J. Buytendijk. Werkbundverlag Würzburg. 24 Seiten.

ln der Schriftenreihe „Weltbild und Erziehung" bespricht der holländische Autor für Hochschüler das Problem der Geschlechterbegegnung. Der humorvolle Plauderton erleichtert das Eingehen auf überzeugende tiefere Gedankengänge. „Das Risiko der Verliebtheiten" sieht der Autor mit Recht „ausschließlich durch das Niveau der Per- - sönlichkeitsbildung in der Jugend bestimmt". Im beruflich bedingten kameradschaftlichen Zusam- ‘ mensein und -arbeiten kann und soll eine bewußte : - „Kultur der Gefühle" die ich-du-verkrampfte Verliebtheit der geschlechtlichen Begegnung über- winden und der geläuterten Wir-Liebe in der menschlichen Begegnung dienen. Ein wertvolles Heftchen, das ansprechen und überzeugen kann.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung