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Wlodzimierz Odojewskis Roman "Ein Sommer in Venedig" erzählt poetisch von kindlicher Fantasie.

Ein Sommer in Venedig" ist ein schmaler Band, der Titel wirkt so anmutig wie das verträumt in eine Muschel hineinhorchende Kind am Cover. Für ein Buch sind das lauter Wohlfühlargumente, und der Verlag, der als Logo ein zu Boden gefallenes rotes Blatt führt, hat wohl richtig kalkuliert, den Buchhandlungen kleine Stößchen davon in einer Pappbox mit Venedigprospekt anzubieten für die heiß umkämpften Plätze nahe dem Verkaufspult. Die konzertierte PR-Aktion gilt in diesem Fall tatsächlich einer kleinen Preziose, und sie ist notwendig, denn Wlodzimierz Odojewski ist im Literaturbetrieb ein weitgehend unbekannter Name, auch wenn der 1930 in Posen geborene Autor von 1971 bis 1989 in Paris und dann in München lebte.

Bevorstehender Krieg

Die so luftig daherkommende Kindheitsgeschichte spielt auf einem Landgut, wo der kleine Marek bei seiner Tante den Sommer verbringt. Er kommt zunächst widerwillig hierher, denn eigentlich hatte ihm die Mutter eine Reise nach Venedig versprochen, der Stadt seiner kindlichen Träume und Sehnsüchte.

Trösten kann ihn im Moment allenfalls die Anwesenheit der verschiedenen Tanten, die allesamt ein wenig skurril und sonderbar sind, in jedem Fall aber kinderfreundlich und sympathisch. Für die eine oder andere schwärmt Marek ganz unumwunden, auch für Cousine Karola, die ebenfalls auftaucht, und mit den Nachbarkindern entstehen rasch Freundschaften.

Es ist ein schöner, heißer Sommer und ein ganz besonderer: Man schreibt das Jahr 1939. Der bevorstehende Krieg ist der Grund für die Aufregung der Erwachsenen, für die abgesagte Venedigreise und gegen Ende dieses Sommers, der lange in den September hinein heiß bleibt, erreicht der Krieg mit Bombenangriffen, Flüchtlingskolonnen und Soldatentrecks auch die verschlafene Kleinstadt und das Landgut.

Aus Kindersicht

Odojewski schildert diese Sommergeschichte, in die der Krieg einbricht, aus der Perspektive des kleinen Marek, dem sich die Ereignisse oft so wenig erschließen wie das Getuschel und die neuen Wörter, die er aufschnappt. Er sieht und beobachtet, spürt die Unruhe und Angespanntheit der Erwachsenen, aber auch seine eigene in Bezug auf Mädchen, macht sich seine Gedanken und wird mit traumatischen Erlebnissen konfrontiert, für die ihm Worte und Begriffe fehlen. Nach einem Bombenangriff, den er und seine Cousine wie durch ein Wunder überleben, sieht er die Augen eines sterbenden Soldaten. Es ist dieses Bild, so lässt der Erzähler Marek im Rückblick interpretieren, der für ihn das Ende seiner Kindheit markiert.

In dieser Situation ist es die unbeschwerteste der drei Tanten, die den Kindern eine letzte Auszeit von der Wirklichkeit und dem bevorstehenden Alltag im Krieg verschafft. Eines Tages hatte Marek im Keller der Villa eine kleine Quelle entdeckt, die aus dem Boden zu sprudeln scheint. Dass es sich dabei auch um einen Rohrbruch handeln könnte, kommt zunächst niemandem in den Sinn, auch den Erwachsenen nicht. Das Wasser steigt im Lauf der nächsten Tage kontinuierlich, und mit Hilfe der Tante und den Dienstboten errichten die Kinder im kühlen Keller ein eigenes Venedig auf Tischen und Brettern, die den überfluteten Keller begehbar machen, so man nicht die Waschtrog-Gondel zum Kellerstiegenhafen nehmen möchte.

Spielerische Fantasie

Die Szenerie ist so bizarr, dass inmitten dieser Ausnahmesituation für einige Tage alle in den Bann der Phantasiewelt im Keller geraten, die Tanten, die Kinder, Nachbarn und sogar ein NS-Offizier, der das Haus zwecks Requirierung besichtigt. Es ist wohl für lange der letzte Sieg von Humanität und spielerischer Fantasie über die Brutalität der Historie. Denn dass der Zauber von Venedig nur ein kurzes Atemholen vor dem Einbruch der Katastrophe bedeutet, daran besteht kein Zweifel, nicht nur weil der Autor Marek einen Albtraum zuordnet, der sehr realistisch die bevorstehenden Gräuel von NS-Herrschaft und Judenverfolgung vorwegnimmt.

Dass den ganzen Roman über beides präsent bleibt, die Idylle und ihr Ende in der historischen Katastrophe, ist die erzählerische Leistung Odojewskis. Über weite Strecken lesen wir in sanfter und poetischer Sprache vom harmlosen Ferienalltag der Kinder; doch im Spiegel dieser Perspektive sehen wir gleichsam seitenverkehrt und dadurch auch vergrößert die Angst und den Schrecken der Realität.

Ein Sommer in Venedig

Roman von Wlodzimierz Odojewski

Übers. von Barbara Schaefer

Verlag Schirmer Graf, München 2007

126 Seiten, geb., € 15,30

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