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Ende und Anfang

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Die Strahlkraft dieses Werkes, das von der eisten bis zur letzten Zeile fesselt, ist so stark, daß man förmlich zum Miterleben gezwungen wird. Wenn die Flut der Eindrücke nach der Lesung verströmt ist, bleibt als Ergebnis die Ueber-zeugung: Dieses Leben ist der klassische Beweis, daß ein Mensch, der seine Talente und Anlagen am richtigen Platz verwirklichen kann, Bedeutendes und Ganzes leistet. Wenn ein solches Leben überdies in die Bruchzone zweier Geschichtsphasen fällt und wenn es seine Arbeit hoch hinaufgeführt hat, dann muß das Ergebnis einer Rückschau nicht nur eine Biographie, sondern ein Stück Geschichte sein. Genau das ist Funders Buch.

Es müßte daher von zwei Gesichtspunkten beurteilt werden. Indessen verschlingen sich die Pfade des Wanderers mit der historischen Landschaft derart, daß trotzdem eine Einheit entsteht.

Der gebürtige Grazer kommt über Dresden '(Wettiner Gymnasium) wieder nach Graz (fb. Gymnasium), um nach einigen Semestern Theologie nach Wien zu gehen, wo die junge „Reichspost“ unter Ambros Opitz sein Schicksal wird. Verschiedene Nebenstellen umranken den Hauptberuf, und auch das Doktorat der Rechte an der Wiener Universität muß bei solcher Arbeits-überbürdung buchstäblich erkämpft werden.

Die geschichtliche Lage, aus deren Anblick Funders Entscheidung für die Publizistik fiel, war die Ueberwindung des politischen Liberalismus durch den Sozialismus und die junge christlich-soziale Bewegung. Da jedoch der Kulturliberalismus aufs stärkste wirkte und die führenden Stellen, von denen aus Wenige Viele beherrschten, weiterhin in den Händen von fähigen Liberalen waren, da ferner die soziale Frage in ihrer ganzen Problematik immer ungestümer vorbrach, verfestigte sich in dem aufgeschlossenen jungen Beobachter die Ueberzeugung, daß die Zeit der Konservativen, die sich im Wiener „Vaterland“ ein vornehmes, aber wenig weitreichendes Organ geschaffen hatten, um sei.

Der jäh in die Höhe schießende Nationalismus entfesselte überdies alle zentrifugalen Kräfte der vielsprachigen Donaumonarchie und stellte das Reich vor Sein oder Nichtsein. Diese schweren Erschütterungen des Staates und des politischen Lebens drohten das natürliche Volksleben und das damit so eng verbundene Wirken der Kirche zu überdecken und zurückzudrängen. Neue Momente, wie Industrialisierung, Großstadtbildung, Zusammenballung der Massen, Parlamentarismus, fiffentliche Meinung und Presse, verlangten gebieterisch Beachtung, Beurteilung und Stellungnahme. Vor allem galt es, den katholischen Bevölkerungsteil regelmäßig aufzuklären und ein Stück politischer Erziehung nachzuholen. Hier sprang Punder ein, dieser Arbeit der Feder widmete er sein Leben.

Der Anfang war schwer genug. Es galt, die eigene Existenzgrundlage zu schaffen, den Nachweis für die Notwendigkeit einer neuen sozialen Partei auf der Grundlage christlicher Weltanschauung zu erbringen und es galt nicht zuletzt Widerstände dort zu überwinden, wo man eigentlich Förderung erwarten hätte dürfen. Es war die Zeit des berühmten Rundschreibens Leo XIII. ,,Rerum Novarum“. Die Namen Vogelsang, Schindler, Lueger, Liechtenstein, Abel usw. tauchen auf, während sich gegen die Anklage der jungen Bewegung in Rom der Wiener Nuntius Agliardi als Beistand erwies. Es galt nicht nur die Grundsätze der Sozialenzyklika zu verwirklichen, sondern auch die Bewegung der Alldeutschen und die Los-von-Rom-Bewegung abzuwehren, den Kampf um das Wiener Rathaus und gegen die Ablehnung Luegers durch den Kaiser zu führen, vor allem der „Reichspost“ den Platz in der Wiener Presse zu sichern, von dem aus sie in das Weite und in die Tiefe wirken konnte. Daß diese Arbeiten Funder auch mit den Wiener Erzbischöfen [(Gruscha, Nagl und Piffl) in Verbindung brachte, versteht sich von selbst.

Das Zusammenspiel all dieser Kräfte und Gegenkräfte konnte nicht ohne engen Bezug mit der hohen Politik vor sich gehen. Gerade diese Partien des Buches erregen die Aufmerksamkeit des Historikers. Die Politik Ungarns, besonders die Bewegung der Kossuthisten von 1906 an, die Gefährdung der Einheitlichkeit der Armee, die ganze südslawische Frage mit ihren vielen Teilproblemen und vor allem die Beziehungen Funders zur Militärkanzlei des Erzherzog-Thronfolgers im Belvedere stellen wichtigste Abschnitte der Zeitgeschichte dar. Es ziehen an unserem Auge vorüber die Einführung des allgemeinen Wahlrechtes, die Siege der christlichsozialen Partei, die Annexion Bosniens, die Niederlage der Christlichsozialen 1911 und der Verlust des Wiener Rathauses. Neue Namen wie Kunschak, Weiskirchner und andere tauchen auf. Den dramatischen Höhepunkt erklimmt die Darstellung mit der Balkankrise und dem Attentat von Sarajewo im Juni 1914.

Funder erzählt seine Schicksale während des ersten Weltkrieges, die Auflösung der Monarchie, den Rücktritt Liechtensteins von der Führung der Christlichsozialen Partei und die Anfänge Seipels.

Dem Verfasser eignet die Gabe, die handelnden Persönlichkeiten scharf zu charakterisieren. Ob es sich um Banffy oder Maniu, um Beck oder Boroevic, um Sieghart oder Spitzmüller, um Brosch oder Glaise-Horstenau handelt, überall bewundert man die klare Linienführung. Kabinettstücke sind die Charakteristiken Laegers, Franz Ferdinands und Seipels.

Der geschichtlichen Gesamtsituation entsprechend, sind die Vorgänge bis 1918 scharf und hell belichtet, während die Anfänge der Ersten Republik, die Koalitionen und die düsteren Nachkriegsereignisse im Dämmerschatten liegen. Erst mit dem Genfer-Werk Seipels klären sich die schweren Wolken etwas auf.

Auf wichtige geschichtliche Vorfälle, die bisher teilweise im Dunkel lagen oder ganz unbekannt waren, fällt neues Licht. Das Schreiben Rampollas an den Wiener Nuntius z. B., zahlreiche Vorgänge bei den Südslawen, die nähere Umstände des Attentates auf den Erzherzog-Thronfolger, die Haltung Hausers im christlichsozialen Kluh u. a., sind vielfach erste Mitteilungen. Obwohl der Verfasser eingangs ausdrücklich erklärt, daß seine Aufzeichnungen nicht Geschichtsschreibung sein wollen, sondern nur ein schlichter Beitrag zur rechten und gerechten Beurteilung'einer schicksalsschweren Periode, stellen sie dennoch einen wertvollen Beitrag für die Geschichte dar. Sein Buch soll einer neuen Generation, der Altösterreich nur mehr Geschichte ist, das Verstehen der Vergangenheit und damit auch das Begreifen der Gegenwart erleichtern. Wenn sich der Verfasser selbst einen alten Journalisten nennt, der sein Leben lang den Idealen einer christlichen Gesellschafts- und Staatsform angehangen hat, so erhellt die Bedeutung des Buches gerade für diese so wichtigen Sparten der Geschichte. Funder ist auch um das Verstehen seiner Gegner bemüht und bringt in seinem Buch unter anderen die Bilder Viktor Adlers und Otto Bauers.

Angenehm berührt die noble Art der Problembehandlung, die aus gläubiger Weltanschauung gespeiste Festigkeit, die klaren Urteile und die kraftvolle Männlichkeit, mit der der Verfasser auch die eigenen Schicksalsschläge erträgt. Ein Sonderlob verdient der Freimut, mit dem er Versäumnisse und Fehler, die von berufener Seite gemacht wurden, aufzeigt.

Unter den Memoiren und Selbstdarstellungen der behandelten Epoche wird das Werk Funders einen ehrenvollen Platz einnehmen und als lebensvolle Ergänzung zu den systematischen Werken der Geschichte gelten. Angefangen vom dritten österreichischen Katholikentag zu Linz (1892), auf dem sich Funders Entschluß zum Journalisten durchrang, bis zum Ausgang der behandelten Epoche kann man sagen: die reiche Ernte eines Lebens ist eingebracht „... Stella duce ...“

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