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Eneaeierte Kunst und Gerstl

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Im Französischen Saal des Wiener Künstlerhauses sieht man derzeit eine von der Direktion der Wiener Festwochen veranstaltete, von Walter Kasten durchgeführte Ausstellung „Engagierte Kunst — Gesellschaftskritische Grafik seit Goya", die 384 Blätter von 140 Graphikern und Plakate umfaßt. Es geht hier darum, Ausdrucksmittel der Gestaltung — in diesem Fall des vorwiegend Zeichnerischen — als Instrument zu gebrauchen, um irgendwelche Zustände anzuprangem und dadurch den Betrachter zu politischem Handeln aufzurufen, vielleicht anzureizen. Hierbei ist es kennzeichnend, daß Zeiten, die unter der Dominanz religiöser Vorstellungen standen, kaum zu scharfer Gesellschaftskritik neigten.

So begann das „engagierte“ Bild

schaffen erst nach der Aufklärung, so recht eigentlich mit Goya. Er stellte in seinen „Desastres de la Guerra“ die Kriegsgreuel in ihrer ganzen Furchtbarkeit dar. Das Blatt von George Grosz, das Christus am Kreuz mit Gasmaske zeigt, wurde nach dem ersten Weltkrieg als blasphemisch mißverstanden, es ist ein Schlag ins Gesicht der Kriegshetzer. Picassos „Guernica“ greift optisch verschlüsselt den deutschen Kriegseinsatz in Spanien an. Otto Dix, Carry Hauser, Curt Stenvert prangern den Krieg an, Käthe Koll- witz indirekt, indem sie den Schmerz der Frau eines Gefallenen zeigt. Rudolf C. von Ripper führt mit besonderer Vehemenz das KZ-Grauen vor. Verlon wendet sich in einem visionären Bild gegen den USA- Rassismus. Im sozialen Bereich

setzte Daumier mit der Scharfsicht des Hasses, mit ätzendem Hohn ein, er kritisierte den Bourgeois. In 1 einem Blatt von Thėophile Steinlen

- siegt der Arbeiter über den fetten

- Kapitalisten. Heinrich Zille greift 1 die soziale Ordnung, John Heart- • field den Mißbrauch der Justiz an. , Unter den Einsendungen der Russen ) fällt ein treffliches Aquarell auf, das

- die „Provisorische Regierung“ Anno s 1917 als Zwerge auf dem Zaren thron ,, sitzend zeigt.

Die Ausstellung regt zu. einer ent- I scheidenden Schlußfolgerung an. . Wo, wie hier, die Kunstmittel als Instrument für Kampfziele ein- t gesetzt werden, und seien es ethisch r hochwertige Ziele, wo man damit ins gesellschaftliche Leben eingreifen will, handelt es sich nur noch J sekundär um Kunst. In der Kunst : geht es um das Unnennbare, hier um das Nennbare. Sartre, der den Be- . griff „engagierte Literatur“ prägte, t hat recht, daß er zwischen Poeten ; und Schriftstellern unterscheidet. I Eine Zweiteilung analoger Art . könnte auch in der Graphik klärend . wirken.

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Die österreichische bildende Kunst t ist tragisch umwittert. Wir haben , durchaus einzelne Maler, die inter- i nationales Format besitzen, aber sie blieben außerhalb unserer Landesgrenzen unbeachtet. Zu ihnen gehört . im besonderen Richard Gerstl, der . 1908 als Fünfundzwanzigjähriger seinem Leben ein Ende bereitete. Er ’ stellte nie aus, besaß keinen Kon- . takt zu Malern. Erst ab 1931 wurde jeweils ein allerdings nur kleinerer Teil der Bilder gezeigt, nun werden in der Wiener Secession vier Fünftel seines Werks als Veranstaltung dieser Vereinigung und der Tiroler Landesregierung dargeboten. Die verdienstvolle Durchführung oblag Otto Breicha, dem Verfasser einer noch ungedruckten Gerstl-Mono- graphie.

Die rasante Entwicklung dieses Malers drängt sich in vier Jahre zusammen. Einen überaus starken, fast unheimlichen Seelenakkord schlägt er mit dem Grau in Grau gemalten, groß hingestrichenen Bild „Die Schwestern Fey“ an. Im Gegensatz dazu zeigt das Bildnis der Schwester Alban Bergs eine poin- tillistische Struktur. Doch entwickelt er diese Technik weiter, indem er die Farbe vom Vorwurf loslöst, sie. wird zum Teil selbständig. So lagert sich in den Bildern „Baum mit Leiter“ und • „Selbstbildnis vor blauigrünem Hintergrund“ über das Figurative ein abstrakter Farbvorhang. In Bildern mit überaus erregtem Pinselduktus, die einen oder mehrere Bäume darstellen, geht es überhaupt nicht mehr primär um eine Wiedergabe des Gesehenen, der Vorwurf wird zum Vorwand, Malerei an sich zu bieten.

Gerstls Schaffen krönen Bilder, in denen er die Familie Schönberg, den Komponisten Alexander von Zemlinsky, den Kunsthistoriker Ernst Diez (Cousin Anton von Weberns) darstellt. Die meisten dieser Bilder sind während zweier Sommerauf- enthatte mit den Schönbergs bei Gmunden am Traunsee entstanden. Gerstl erteilte da Schönberg, von dem es ein Bildnis Alban Bergs gibt, Malunterricht. Diese Bilder greifen der Malerei ihrer Zeit weit voraus. Ihre Struktur erweist sich als fließendes Ineinander heller, fast leuchtender Farben, die äußeren Schichten der Gesichter sind sozusagen abgehoben, es bleiben punktartige, stechende Augen. Die Blicke der Dargestellten scheinen die Menschheit vorweg jener Verbrechen anzuklagen, die erst später begangen wurden.

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