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Englisches BilderlmcJ.

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TRAFALGAR SQUARE:

Der Londoner Nebel ist anders geworden, lichter, flaumiger, selbst in seinen dichtesten Augenblicken nicht ohne leises Versprechen von Aufbruch.

Jene bernsteinfarbig - opalisierenden, hauchdünnen Tücher, die s;ch millionenfach über einen senkten, schon Casanova hat über sie Klage geführt, jener lähmende, schweißaustreibende Zustand, vor dem Richard Wagner in die glashelle Schweizer Luft floh, sie gehören der Vergangenheit an. Man findet sie nur mehr bei Dickens... oder in Hollywoodfilmen. Andere Kohlenpreise, andere Nebel.

Ja, leichter erträglich ist er geworden und ein wenig nüchterner — aber noch hat er seinen poetischen Charakter nicht ganz verloren, noch hat ihm T. S. Eliot eine Dichterzeile gewidmet, noch hat er die alten Kunststücke nicht verlernt.

Da zeigt ei, plötzlich aufwallend, im milchigen Brei der Welt das schwarz-feine Adernverk der Bäume von Kensington Gardens, umgibt die herbstlichen Feuer des Hyde Parks mit Bogen von verschwimriendem Orange und läßt aus dem Meer von Marble Arch plötzlich die Steilklippf;n eines Denkmals, oder das Gitterufer eines Parks aufschimmern.

Oder Eros, der lebensfrohe Gott von Picadir.y Circus, schwebt leise und zart durch eine Allee duftiggrauer Schleier.

Dps aber scheint mir des Nebels schönstes und seltenstes Kunststück zu sein: ciaß er sich um den Sockel des Denkmals Horatio Nelsons ballt, auch noch den Kern von Trafalgar Square erfüllt, ferner an der gewaltigen dorischen Säule hinaufwallt, um jedoch an den Rändern des Platzes, und auch dort, wo der sich verjüngende Schaft schon in Erwartung des lastenden Standbildes ist, allmählich lockerer, immer lockerer zu werden.

Und auf einmal taucht er auf: Horatio Nelson. Taucht auf und scheint auf einem unsichtbaren Schiff über die riesige Stadt in weite Fernen zu ziehen.

Wie ein Gongschlag der Geschichte klingt da das Wort

„Trafalgar“ In einem auf.

Dorthin fährst du auch heute, Horatio Nelson, heute wie immerdar. Sieg im Herzen! ... und die bange Sorge um Lady Hamilton.

Nach Trafalgar, nach Trafalgar...

Ach, warum machst du es einem gar so ichwer, ihnen zu verzeihen, daß sie deinen letzten, todesnah-flehenden Brief so rasch vergaßen! Daß die Welt durch solche Gleichgültigkeit erfuhr, daß Lady Hamilton eine unbedeutende Frau war, die sich in ihren Haushaltsbüchern nicht zurechtfinden konnte.

GALE WARNING: Noch ist alles ruhig. Der Himmel, hoch wie immer, bedeckt •ich allmählich mit einem Netz grauer , Wolken und jede Farbe wird schwer-I mutiges Pastell.

I Die hageren Bäume, die hier, am Rande des Atlantiks, noch einmal der alten Sehnsucht, in einen Wald zusammenzufließen, nachgeben konnten, sind voll Worahnung. Baumgesicht liegt auf Baum-Rücken und mit den langen, frühen reisenhänden weisen sie die Richtung, der das Unheil über sie hinwegbrausen

Kporthin ... dorthin! Gale warning. ifDie Luft ist übersatt von Feuchtigkeit, auser werden grau und dunkel. Die ppiche haben sich so vollgesogen, daß an nicht wie sonst den Sessel zurückhieben kann, sondern ihn vorher ein enig heben muß.

Ein roter Autobus fährt auf der Straße, die zum Hafen führt. Kinder spielen am Strand. Krähen hocken auf zerbrechlichen Masten. Möwen proben im Aufwind der Klippen: Tragenlassen — Abdrehen — Fußfassen.

Und irgendwie gibt es ihn schon, diesen geifernden, heulenden, tobenden Sturm. Irgendwo jagt er schon mit ausgebreiteten Riesenschwingen über das erregte Meer, dessen weiße Gischt seine Brust benetzt. Und jeden Moment kann Land auftauchen und das angeschmiegte Dahingleiten in jenes kurze, tödliche Aufflackern vor der Beute übergehen.

„Sind alle Türen geschlossen?“

„Noch einmal nachsehen!“

„Erinnern Sie sich nicht der Geschichte mit Freds Scheune? Ganz sicher war er, das Tor verriegelt zu haben, aber es war nur angelehnt gewesen, mit einem einzigen Hieb hatte es der ,gale' aufgeschlagen und, bevor man hätte bis ,drei' zählen können, das ganze Dach ins Meer geblasen. Der gale.“

Wie lange wird es dauern, bis die Telephonverbindung zur nahen Stadt wieder unterbrochen ist? Ob die Wellen auch diesmal über die Straße schlagen werden, um ihren Schaum an Mary Llewelyns Fenster zu werfen? Vielleicht bekommt die junge Frau gerade heute ihr Kind! Das wäre der rechte Taufgesang für das Kind des Matrosen, der nie wiederkehrte; Schmerz und Schrei würden sich mit dem Orkan vermengen.

Der weißhaarige Oberst aber wird im dämmernden Morgen zum Schilf gehen, einige Enten zu schießen.

Denn nur an solchen Tagen läßt er seine Büchse dort sprechen, damit die anderen Vögel, die hier bei ihm zu Gaste sind, nicht vor dem Schrei des Todes erschrecken.

Nach zwei, drei Tagen aber wird alles vorbei sein. Soviel Schaum wird von den Flanken der See in die Bucht gspült worden sein, daß es dort aussehen wird wie in der Rasierschale eines Riesen. Drähte werden herunterhängen, von Llew Williams Kartoffelacker wird es noch ein Stückchen mitgenommen haben und eins der Fischerboote wird nicht mehr heimkehren.

Die Natur aber wird von neuem vorgeben, niemandem etwas zuleide tun zu können. t

EINFAHRT NACH GLASGOW:

Wie aus einem großen Honigtopf gießt der Abend sein Licht über die flachen, uralten Hügel zu beiden Seiten des Schienenstranges. Ganz gleichmäßig verteilt es sich, nur entlang des gestaltenden Ornaments jener felsharten Hecken, Stein auf Stein ohne verbindenden Kitt aneinandergefügt, färbt es sich bläulich. Häuser ohne Gesicht tauchen auf.. viel und eng und gleich. Noch ist das Land frei und weit, aber schon rücken Menschen nah zusammen, wie in Not. Wellblech zittert vorbei... Schutthaufen ... müde Gärten. Dann Krahne, die in dämmernden Himmel ragen, ferner spitze Halden. Werke werfen roten Schein in flache Tümpel. Konturen verwischen sich... Turners großer Pinsel. Dunstschleier wogen heran, aus denen rotgelbe Lichter aufleuchten ... ein weitgeschwungener Bogen. Ankunftskribbeln. Der Mantel der alten Dame fällt mir auf den Kopf. Es tut ihr leid. Die See glänzt aus dem Abend auf. Doch auf der falschen Seite des Schienenstranges. Unmöglich, furchterregend! Ob man lange auf ein Taxi wird warten müssen? Ein wundes Sagentier schreit klagend in die Nacht. Das Nebelhorn eines Schiffes ... so leichthin sagen Sie das, gnädige Frau?

Müßte ja das Meer wieder auf der anderen Seite liegen! Und jene Lichter, sehen Sie jene Lichter ... ja, dort drüben ... sind das nun Häuser, die über dem Meer schweben? Höchst alarmierend, man ist in diesem Land nie vor dem Ertrinken sicher.

Immer näher kommt die Stadt.

Eine Vielfalt von Wänden, die aus schmalen Rechtecken Licht und Leben fließen läßt, beginnt den Schienenstrang zu umfluten und sich allmählich auf jenes Fortissimo von Bewohntsein vorzubereiten, in dem wir das Verebben unserer Fahrten in trostlosen Bahnhofshallen zu ahnen gewohnt sind.

Marloe Sand, weicher, guter Klang. Und also ist dieses Stück Welt beschaffen: Als äußerste Grenze des Atlantik. So nämlich dieses ewige Heranrollen, dieses sich immer von neuem überschlagen, dieses aus allen Fernen Kommen, in allen Farben Spielen jemals Begrenzung sein kann. Als nächstes ein weißer Saum, dann kleine, hauchige Wellen, die übermütig ins Land laufen, als fürchteten sie, gar nicht zurückgelassen zu werden von der großen, ungebärdigen Mutter. Ferner: Benetzt sein. Schließlich der Sand: warm und lebendig wie Kinderhand, fein und zart wie Frauenhand. Jede Nacht glattgestrichen, jeden Morgen neues Land für erste Menschen. Mitten drinnen einzelne

Felsen, von schwarzen, großblättrigen Meeresgewächsen behangen. Land dem Willen nach und doch jede Nacht von der See gedemütigt, die auf ihren Rücken hockt wie auf dunklen, riesigen Schildkröten.

Schreck im plötzlichen Umdrehen. Da steigt es himmelwärts, achtzig, neunzig Meter ohne abzusetzen, ohne Atem zu holen. E\fie versteinerte Springflut. Das ist nicht der rote Sandstein, den man sonst hier trifft. Bläuliche Töne wechseln mit verblaßtem Ockergelb, Linien überlagern sich, steigen, fallen, Wellenberg und Wellental. Aber es ist kein gleichmäßiges Auf und Ab, es ist steingewordene Gewalttätigkeit: der Leib der Erde scheint aufgerissen, der Leib einer schmerzerfüllten, bebenden Erde, die hier vor dem Tod des Erkaltens überrascht wurde.

Tritt man näher zur Steilküste, gibt es Klippen und Bogen, Tore und Zacken, an denen die nächtlich anrollende Flut nagt, formt, ersinnt. Da ist eine Rippe so dünn geworden wie eine Fisohflosse... Muscheln kleben an steilen Wänden, so fest, daß man sie mit der Hand nicht lösen kann... in einer flachen Felsenschale liegen, wie auf dem Kirchenteller die Geldstücke, Korke von Fischernetzen.

In einer Spalte aber hat sich ein zerbrochenes, vom Wasser halb zerfressenes Ruder festgeklemmt.

Noch einmal Kind sein. Hier.

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