Ob Kennedy daran Schuld trägt? Fast könnte man es meinen. Seitdem vor einem Jahr die Wahlkampagne des jetzt 43 Jahre alten Präsidenten der Vereinigten Staaten anlief, ist in der österreichischen Innenpolitik ein nicht zu übersehender Stimmungswechsel eingetreten. Man könnte ihn die „Entdeckung der Jugend“ nennen. Durfte noch vor einigen Jahren ein bissiger Betrachter der österreichischen Nachkriegspolitik mit einigem Fug und Recht bemerken, daß hierzulande Wahlen nach der Devise: „Wer die Alten hat, hat die Zukunft“ durchge- führt werden, wobei er auf das im Mittelpunkt der Wahlagitation stehende Liebeswerben um das graue Fleer der Rentner anspielte, so hat sich dies inzwischen geändert. Vorbei die Zeit, in der eine Partei einen übrigens äußerst honetten 50jährigen Nationalratskandidaten allen Ernstes als den „Typus des jungen, aufgeschlossenen Österreichers“ vorstellte. Ähnliches wäre heute kaum noch möglich. Schon hat die erste Regierungspartei sogar das „Wagnis" unternommen, zwei Männer des Jahrgangs 1923 bzw. 1924 sozusagen als „Vortrupp“ der Kriegsgeneration, das heißt der im zweiten Weltkrieg zu politischem Bewußtsein gereiften Generation, einzuladen, auf der Regierungsbank Platz zu nehmen. Große Verantwortung für eine ganze, an sich vom Schicksal bisher nicht allzu verwöhnte Generation sowie für die wiederum so verschiedene ihr folgende „Nachkriegsgeneration“ lastet auf beiden. Machen sie Fehler, wird man sofort mit Fingern auf „die Jungen“ zeigen. Gar leicht kann die „Jugendbegeisterung“ der gestandenen Politikergeneration dann wieder in ihr Gegenteil Umschlägen. Dabei vergessen diese gerne, wie viele Lenze sie selbst einst zählten, als sie nicht zögerten, hohe und höchste Verantwortung auf ihre Schultern zu laden und durch manchen Irrtum hindurch zu staatspolitischer Verantwortung zu reifen. Man braucht gar nicht das Extrem in Rechnung zu stellen, daß der bekannte Chef der Heimwehren, Ernst Rüdiger von Starhemberg, das Amt des Vizekanzlers seinerzeit mit 29 Jahren antrat. Altbundeskanzler Raab zählte noch nicht 40 Jahre, als er in der Ersten Republik bereits mitten im Strudel bewegter Ereignisse stand. Landeshauptmann Krainer wiederum war mit 34 Jahren bereits Vizebürgermeister von Graz und im steirischen Landtag tätig. Engelbert Dollfuß traf mit 42 Jahren die Todeskugel und Dr. Kurt von Schuschniggs Kanzlerschaft lag zwischen seinem 37. und 41. Lebensjahr. Was vor einigen Jahrzehnten also noch als selbstverständlich empfunden wurde, daß die Menschen in der Kraft ihrer Jahre volle Verantwortung für das Gemeinwesen zu tragen hatten, ist eine Ausnahme geworden, über die lange Kommentare geschrieben und tiefsinnige Betrachtungen angestellt werden.
Dabei sitzt der Grund tiefer. Die von den „falschen Brüdern“, den Diktatoren, enttäuschten Massen suchten nach der großen Weltkatastrophe ihr Heil bei den „großen alten Männern“. Das ging ein Jahrzehnt und einige Jahre mehr gut. Aber dort, wo der Graben zwischen den Generationen inzwischen allzu breit wurde, geht die nach einem eisernen Gesetz der Natur nun einmal zu vollziehende Ablöse nicht ohne schwere Krisen ab. Auch dafür gibt gerade in diesen Tagen und Wochen Amerika allen, die Augen zu sehen haben, ein warnendes Beispiel.
Aber zurück zu Österreich. Hier trägt man momentan „Jugend“. Kein Aufruf, in dem das Wort Jugend nicht vorkommt, selten die Rede eines Parteimannes, in der ein Appell an die Adresse der nachrückenden Generation fehlt. Schon kündigt die Österreichische Volkspartei einen umfassenden Jugendplan an, der ein Gegenstück zu dem seinerzeitigen, propagandistisch recht erfolgreichen sozialistischen Rentenplan darstellen könnte. Aber auch die „andere Reichshälfte“ ruht nicht, und schon versprechen die Sozialisten, das Jahr 1962 — es dürfte aller Voraussicht nach ein Wahljahr sein — zu einem „Jahr der Jugend“ zu machen.
Fast möchte einem ein wenig schwindlig werden bei diesen Liebeserklärungen an die Adresse der jungen Generation. Nichts gegen ein echtes Werben um die Jugend. Aber es muß ein Werben um den ganzen Menschen, nicht um die Stimmen sein. Wer in kühler Managermentalität die Teenagermode und die Twenindustrie einfach in die Politik übersetzen zu können meint und dabei glaubt, er habe den Erfolg dann bereits in der Tasche, könnte bei der Endabrechnung peinliche Überraschungen erleben.
Vor uns liegt ein Manuskript eines jungen Lesers der „Furche“ — halb Zuschrift, halb Artikelskizze. Rudolf Fürnkranz heißt der Verfasser, ein 20jähriger Niederösterreicher, der in Wien studiert. Seine Ausführungen, in denen jugendlicher Idealismus, gepaart mit der gerade dieser Generation eigentümlichen Nüchternheit, zu finden ist, gehören einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt. Vielleicht könnten sie sogar dem einen oder anderen politischen Sekretariat, in dem Jugendfragen gerade beraten werden, als beherzigenswerte Merksätze dienen:
Vor kurzem ging ein jetzt schon zum Begriff gewordener Abschnitt der ersten Regierungspartei dem Ende zu. Von langer Hand bereitet, wird sich auch der neue Mann im wesentlichen an die alte Linie halten, wie es Doktor Gorbachs programmatische Erklärung zeigt. Im gleichen Atemzuge wendet er sich an uns Junge:
„Wenn ich mich zu einer solchen Politik bekenne, wende ich mich av, die Jugend Österreichs, nicht weil sie die Wähler von morgen sind, sondern weil ohne die Mitarbeit der Jugenc unser Tun und Handeln sinnlos wäre.“
So ähnlich klingt uns manches frühere Wort noch in den Ohren, sowie daß man erwartet, daß die Mitarbeit vor allem als Parteimitglied erfolgen sollte, geht noch klarer aus der Semmering-Resolution dieses Februars hervor: „Die junge Generation wird es sein, der die Ergebnisse der Arbeit von heute zugute kommen sollen. Sie hat daher auch ein Recht, ja sogar die Pflicht, am Aufbau dieser Zukunft gestaltend mitzuwirken. Die Österreichische Volkspartei wird ihr den Weg dazu zeigen und ihr alle Möglichkeiten einräumen.“
Wir wollen nicht erörtern, ob wir Junge auch bereit sind, aktiv Anteil an dem Schicksal Österreichs zu nehmen, wir lieben dieses Österreich, das mag genügen.
Aber sind wir auch bereit, uns aktiv einer politischen Partei anzuschließen? Wir sind es, wenn … Und hier beginnt nun das Dilemma. Wie die ÖVP bisher mit Parteijugendorganisationen Schiffbruch erlitt, ist ja bekannt. Warum? Das rührt nicht zuletzt an dem Geist in der Partei, den eine Episode vielleicht besser illustriert als viele Worte: Vor zwei Jahren wurde ein junger Akademiker von einem Bezirksobmann gebeten, doch eine Jugendgruppe auf die Beine zu bringen. Er sagte zu und fragte nach Voraussetzungen. Daraufhin wurde ihm ein kleiner leerer Kellerraum übergeben. Als nun jener zu verstehen gab, daß das doch nichts sei, daß man heutzutage an die Jugend anders heranzukommen trachten, ihr etwas bieten müsse, sagte man, es sei kein Geld da, und damit war das Projekt für alle Zeit erledigt.
Darin, daß viele langjährige Funktionäre — ob berechtigt, sei dahingestellt — eben davor zittern, durch die nachdrängende Jugend vielleicht beim nächsten Male wieder nicht zum erhofften Zug zu kommen, dürfte wohl das Haupthindernis in organisatorischer Hinsicht zu sehen sein, denn daß wir Junge sehr wohl auch tn Form eines parteilich organisierten Klubs anzusprechen sind, hat neuerdings ja eine Bezirksleitung bewiesen. Wir lassen uns dabei nicht nur etwas bieten, wir sind auch zu aktiver Mitarbeit bereit. Freilich folgt meist bald die Ernüchterung, wie es kürzlich bei einer Rundfrage unter Jugendlichen aller Schichten klar zutage kam. Auf die Frage: „Sind Sie politisch interessiert?“ folgte ein einstimmiges „Ja“ fast aller Befragten. Forschte man weiter: „Sind Sie bei einer Partei?“, war ebenso häufig die Antwort „Nein“ oder „Ich war es“ zu hören. Nach dem Grund befragt, kam zögernd die Erklärung: „Wir waren voller Ideale und Eifer, aber’ dann gewannen wir etwas Einblick in die innerparteilichen Praktiken …"
So ist das also. Wir gehen begeistert hinein und kommen um die in dem alten Satz „Politisches Geschäft — schmutziges Geschäft“ gebundene Erkenntnis reicher heraus. Wen wundert die Welle der Ablehnung und Skepsis, die allen künftigen parteilichen Annäherungsversuchen entgegenschlägt?
Wir Junge sind bereit, Vertrauen und Aufrichtigkeit der Partei entgegenzubringen und erwarten Wahrhaftigkeit und Prinzipientreue ihrerseits. Man kann uns auf die Dauer weder etwas vormachen noch uns als willkommene Mitläufer einspannen.
Wir schenken der Partei das Vertrauen auf Grund der Worte und Taten ihrer profilierten Männer, die im Namen der Partei Prinzipien und Grundsätze verkünden, die wir anerkennen und begrüßen. Wir kommen und sehen und vergleichen prüfend, denn wir wollen uns nicht cinfangen lassen oder jemandem auf den Leim gehen. Und dann müssen wir nur allzubald feststellen, daß in der politischen Praxis ein Männerwort, dem wir vertrauten, gar nichts gilt. Komisch, denken wir, man umwirbt uns eifrig, dabei ist man anderseits an effektiver Mitarbeit, sofern wir dafür im gegebenen Ausmaß auch Mitsprache fordern, gar nicht interessiert; was will man also? Geht das Interesse nur bis zum Ja im Wahllokal und sind wir damit unsrer Pflicht entbunden?
Dafür sind wir nicht zu haben!
Wir wollen wissen, wen wir wählen, und darum wollen wir auch prüfen. Wir sind Katholiken und für marxistisch-materialistische Gedanken nicht empfänglich. Man wirft uns häufig vor und glaubt es sicher auch, wir wären nur an Wirtschaftswunderannehmlichkeiten interessiert. Das ist nicht wahr. Natürlich verschmähen wir den Kuchen nicht, aber daß wir darum materiell zu denken pflegen? Wir sind sehr wohl bereit, für Fragen, die an die Grundlagen unseres Denkens rühren, Opfer zu bringen, vielleicht sogar große Opfer.
Aber wo ist die nichtmarxistische Partei mit kompromißlos eindeutiger christlicher Weltanschauung? Wo sind die Vertreter katholischer Soziallehren? Wo ist überhaupt ein weltanschauliches Bekenntnis der Volkspartei, nicht die Anschauungen mancher Redner oder Schreiber — ein Gesamtparteibekenntnis?
Man mag uns wohl entgegenhalten, daß wir in negativer Kritik übersehen, was an Positivem schon geschaffen wurde. Wir entschlagen uns der Anerkennung dieser Leistung nicht und sind dafür auch jenen, die sich darum mühten, dankbar. Wir sind bereit, uns der Erfahrung andrer jederzeit zu beugen, aber niemand kann verlangen, daß wir Werkzeuge ungesunden Ehrgeizes werden oder Fraktionsdenken — ohne Überdenken — pflegen.
Wir Jungen dieser Tage sind skeptisch, ein Zug, den die Zeit der Werbeslogans und Superlative uns eingeprägt hat, wir suchen stets den Kern in der Verpackung, und nur diesen prüfen wir. Zeigt uns, daß der Kern gesund ist, und wir sind die Euern!
Ob bei der Lektüre dieser Zeilen nicht manchem Manager der Macht der Rechenstift sinkt? „Geld regiert die Jugendwelt“, glaubte in dieser Woche erst eine sozialistische Wochenschrift feststellen zu können. Die durch die Hörsäle und Werkhallen nachrückende Generation ist gewiß nicht unempfänglich für die Güter dieser Welt. Sie bekennt dies auch — und das ist sympathisch — ganz offen. Allein ein großer Rest bleibt. Ein Vakuum. Und um dessen Auffüllung, um die Erfüllung des Lebens geht es. Auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Gerade jetzt.
Wer gibt hier Antwort? Schon dringt manche Nachricht ans Ohr, die zu denken gibt. Das Suchen der Jugend nach festen Formen inmitten einer von vielerlei Auflösungserscheinungen gezeichneten Gesellschaft verschaffte bei der Tagung der sozialistischen Mittelschüler unlängst den Wortführern des Altmarxismus größeren Widerhall als jenen Referenten, die nichts anderes anzubieten hatten als einen faden, ortlosen „Allerweltshumanismus". Wenn man solche Signale richtig deutet, dann eröffnet sich gerade hier für die jungen Katholiken eine große Aufgabe. Für eine katholiche Jugend freilich, die nicht bereit ist, einzuziehen in ein neues Ghetto, die nicht- in falscher Selbstgenügsamkeit ihr Auslangen findet. Ob man es glaubt oder nicht: Grundsatzfeste und zugleich weltoffene Menschen sind heute gefragter denn je. Sie allein werden letzten Endes auch von der nachrückenden Generation, von ihren wertvollsten und aktivsten Kräften, als Partner angenommen. Letzten Endes wird auch die österreichische Politik nur von ihnen „reformiert“ werden können, wenn diese Reform mehr sein soll als ein Paravent für nicht ganz durchsichtige Absichten.