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Dietmar Griesers Reisen in ein fernes nahes Land:zur "böhmischen Großmutter".

Man scheut sich als Rezensent offenzulegen, auf wessen Spuren Dietmar Grieser in seinem neuesten Buch wandelt, denn ein Gutteil von dessen Spannung beruht darauf, dass die Identität der handelnden Personen zunächst im Dunkeln bleibt. Titel wie "Die Hochzeit von Reichstadt" erwecken bewusst falsche Assoziationen, im "glücklichen Freiberger Kind" werden nur Kundige gleich Sigmund Freud erkennen, und selten legt der Autor die Karten auf den Tisch wie bei "Stifter allerwege". Das Fehlen eines Namenregisters macht klar, dass es hier primär um Lesevergnügen geht. Und für dieses zieht der Autor alle Register seines Könnens.

Das Schöne dabei: Dietmar Grieser versteht es zwar Pointen zu setzen, aber er ist nicht darauf aus, das letzte Wort zu haben. Vielmehr vermittelt er den Lesern das Gefühl, ohnehin schon viel zu wissen, und nimmt sie als Gleichgesinnte auf seine Entdeckungsreisen mit. Das fällt ihm diesmal zumindest bei seinem Wiener Publikum umso leichter, als bei diesem der Topos der böhmischen Großmutter noch immer ein fester Begriff ist.

Bei genauerem Hinsehen handelt es sich freilich um eine deutschböhmische Großmutter - von den gut zwei Dutzend dargestellten Persönlichkeiten aus Kunst, Wissenschaft, Politik und Sport sind nur drei tschechischer Nationalität. Die Nationalitätenproblematik der einstigen Länder der Wenzelskrone kommt dabei nicht nur historisch in den Blick, sondern auch bei der Recherche, auf die sich Grieser begibt. Seine Erfahrungen sind zwiespältig: Moniert er einerseits die "mangelnde Neigung, auf fremdsprachliche Idiome einzugehen" und konstatiert "Reste der Überempfindlichkeit gegenüber jeglicher wirklicher oder auch nur vermeintlicher Bevormundung durch fremde Ethnien auch im heutigen Tschechien auf Schritt und Tritt", so freut er sich andererseits überschwänglich über jene anderen Tschechen, die fleißig Deutsch lernen und den Gast aus der einstigen Reichshaupt- und Residenzstadt auf Händen tragen.

Es ist ein ungemein wienerisches Buch, das Dietmar Grieser da vorlegt, bis hin zu der Feststellung, "die berühmteste Frauengestalt der tschechischen Literatur", nämlich das "Großmütterchen" aus BozÇena NeÇmcovás gleichnamigem Roman, gehöre "in gewisser Weise auch zu Wien", da die Autorin hier geboren und das Vorbild der Titelfigur hier verstorben und auf dem Matzleinsdorfer Friedhof begraben sei. Und nicht wenige Leser werden wohl angeregt werden, sich selber auf Nostalgiereise zu begeben in das ferne nahe Land.

DIE BÖHMISCHE GROSSMUTTER

Reisen in ein fernes nahes Land

Von Dietmar Grieser

Amalthea Verlag, Wien 2005

272 Seiten, geb., e 20,50

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