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Entmachtung des Todes

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Zwei Situationen sind es, in denen der Mensch in der Regel am tiefsten erfährt, was es heißt, Mensch zu sein: in der Liebe und im Tod. In der liebenden Begegnung des anderen Menschen, in der Erfahrung der Verschdedenartigkeit und Gleichartigkeit des geliebten Menschen sieht sich der Mensch selbst wie in einem Spiegel; er erfährt oder erahnt wenigstens die Dimensionen des eigenen Ichs, seine Fähigkeiten und seine Gefährdungen, seine Möglichkeiten und seine Grenzen. Ohne die Erfahrung des geliebten Du ist der Mensch ärmer um die Erfahrungen des eigenen Ichs.

Etwas ähnliches geschieht in der Erfahrung des Todes, sei es, daß der Mensch seinen eigenen Tod fühlt, sei es, daß er den Tod eines geliebten Menschen miterlebt oder von ihm getroffen wird. Kein Mensch, der menschlich empfindet, wird am Tod eines Mitmenschen einfachhdn vorbeisehen können. In allen Kulturvölkern wurde dem Tod eines Menschen so etwas wie Ehrfurcht entgegengebracht, wurde der Tod mit bestimmten Gebräuchen und Riten umgeben. Wenn der Mensch mit der Macht des Todes konfrontiert wird, dann fallen alle Illusionen und Selbsttäuschungen ab, alle vagen Behauptungen und Scheinlösungen werden wertlos. Der Mensch sieht sich vor letzte Entscheidungen gestellt, zumindest dann, wenn er sich wirklich dieser Todeserfahrung stellt. Die Sinnfrage des Lebens erhebt sich mit letzter Deutlichkeit. Wenn überhaupt, dann erfährt der Mensch hier die Fragwürdigkeit des menschlichen Daseins, seine Größe und seine Nichtigkeit.

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Wir heutigen Menschen, vor allem die Menschen in der Stadt, sind geneigt, bewußt oder unbewußt uns vor der Erfahrung des Todes zu drücken. Wenn irgendmöglich bringen wir unsere schwerkranken Familienangehörigen ins Krankenhaus (was in den meisten Fällen tatsächlich die vernünftigste und praktikabelste Lösung ist). Sehr oft wird es den Todkranken verheimlicht, in welcher Situation sie sich befinden (was schon problematischer ist). Der Priester wird oft deshalb nicht zur Spendung der Sterbesakramente gerufen, „weil es den Kranken unnötig aufregen könnte“. Wenn der Priester gerufen wird, wird ihm oft bedeutet, er solle die Krankheit doch ja verharmlosen. Ist der Tod eingetreten, so wird alles so retuschiert und verharmlost, wie es Evelyn Waugh auf gespenstisch-komische Weise in seinem „Tod in Hollywood“ schildert. Dies war nicht Immer so; Ein Bankbeamter erzählte mir, wie er während seines Skiurlaubes im Schwarzwald zu einem weitabgelegenen, tierverschneiten Bauernhof kam. Die ganze Familie war gerade beim Essen. Bei näherem Zusehen entdeckte er, daß ein Toter auf der Bank lag. Es war der Großvater, der vor zwei Tagen gestorben war und der wegen des Schnees nicht zum Friedhof gebracht werden konnte. Uns mutet das sehr merkwürdig an. Diese

Familie aber lebte mit dem Toten zusammen.

Aber gerade in diesem Bemühen, die Erfahrung des Todes zu verdrängen, zeigt sich im Grund, wie sehr gerade auch wir heutige Menschen den Tod fürchten. Die Furcht und die Ehrfurcht vor dem Tod sind etwas Urmenschliches. Wir wissen, daß auch der vollkommenste Mensch, der je auf Erden gelebt

hat, die Erfahrung des Todes gemacht hat. Als Christus seinen Freund Lazarus tot vor sich sah, „ward Er im Geist ergriffen und innerlich bewegt... und Er weinte“ (Johannes 11, 33—35). Und als Er Seinen eigenen Tod auf sich zukommen sah, hat Er Furcht vor dem Tod empfunden, und zwar in einer solch ausgeprägten Weise, daß „Er in Angst geriet. Sein Schweiß wurde wie Blutstropfen, die auf die Erde niederrannen“ (Lukas 22, 44). In Seiner letzten Stunde „rief Er mit lauter Stimme: .Mein Gott, Mein Gott, warum hast Du Mich verlassen?'“ (Markus, 15, 34).

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In diese Situation bricht nun die frohe Botschaft von Ostern herein. Schon Isaias hat im Hinblick auf den kommenden Messias den Inhalt dieser Botschaft vorausgeahnt: „Den Tod vernichtet Er für immer“ (25, 8). Die Ostersequenz verkündet in

dichterischen Worten das Ereignis: „Tod und Leben da kämpften seltsamen Zweikampf: Der Fürst des Lebens, dem Tod erliegend, herrscht als König und lebt.“ Paulus drückt es so aus: „Als letzter Feind wird der Tod entmachtet“ (1. Korinther. 15, 26).

Wir wissen, daß Gott den ersten Menschen die Unsterblichkeit geschenkt hatte. Sie sollten den Tod

nicht schauen. Erst durch den Sündenfall übergab Gott die Menschen der Macht des Todes: „Denn Staub bist du und kehrest zum Staub wieder“ (Genesis, 3, 19). Christus aber hat die Menschen der Macht des Todes entrissen, Er hat den Tod wahrhaft entmachtet: „Weil durch einen Menschen der Tod kam, so kommt auch durch einen die Auferstehung der Toten; denn wie in Adam alle starben, so werden auch alle in Christus lebendig werden“ (1. Korinther 15, 21 f.).

In der Auferstehung Christi haben wir die Gewißheit, daß auch wir einmal auferstehen werden: „Wenn nun aber von Christus verkündigt wird, daß Er von den Toten auferstanden ist, wie können dann einige von euch meinen, es gäbe keine Auferstehung von den Toten? Gäbe es keine Auferstehung von den Toten, so wäre auch Christus nicht auferstanden. Wäre aber Christus nicht auferstanden, so wäre ja unsere Verkündigung hinfällig und hinfällig auch euer Glaube“ (1. Korinther 15, 12—14). Christus hat sich durch Seine Menschwerdung mit uns solidarisch erklärt, Er hat unser Menschenschieksal auf sich genommen. In der Taufe wurden wir so eng mit Ihm verbunden, daß sich auch Sein menschliches Schicksal in unserem Leben widerspiegeln muß: „ Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist mit Christus in Gott verborgen“ (Kolosser 3, 3). Diese Verbundenheit mit Christus geht so weit, daß Er „unseren armseligen Leib zur Gleichgestalt mit Seinem verherrlichten Leib verwandeln wird“ (Philipper, 3, 21).

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Allerdings ist das eine sicher, daß uns diese Wirklichkeit nur im Glauben zuteil wird, und dies in einem doppelten Sinn. Nur derjenige, der sich zu dem christliehen Glauben durchringt, wird sein Ja zum Inhalt dieser Osterbotschaft sagen können. Andernfalls wird er

tekennen müssen: „Die Botschaft iör' ich wohl; allein mir fehlt der Haube.“ Aber auch nur der Jlaubende wird die Entmachtung les Todes an sich erfahren. Chri-tus sagt ganz klar zu Martha: „Ich in die Auferstehung und das .■eben. Wer an Mich glautot, wird eben, auch wenn er gestorben ist; ind jeder, der lebt und an Mich Elaufot, wird in Ewigkeit nicht ster-icn; glautost du dies?“ (Johannes 11, i5).

Glaubst du dies? Diese Frage ist in jeden einzelnen von uns gerich-et. Jeder von uns hat sich ihr zu teilen. Es wäre schlimm, wenn vir versuchen würden, uns vor der Antwort zu drücken. Wohl uns, venn wir ehrlichen Herzens mit Hartha antworten könnten: „Ja, lerr, ich glaube, daß Du der Mes-ias, der Sohn Gottes, bist“ (Johan-ies 11, 27). Dann, aber nur dann wird an uns die Verheißung Christi n Erfüllung gehen: „Denn der Wille Meines Vaters ist es, daß ieder, der den Sohn sieht und an hn glaubt, ewiges Leben habe und laß Ich ihn auferwecke am Jüngsten Tag“ (Johannes 6, 40).

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An dieser Stelle unserer Überlegung könnte natürlich die Frage auftauchen: „Ist denn nun im Leben les Christen der Tod wirklich entnachtet, oder ist er es nicht? Ich habe doch die Macht des Todes verspürt, als mir meine geliebte Frau Mitrissen wurde, mit der ich in Freude und Leid durch Jahrzehnte hindurch aufs innigste verbunden war!“ Wir sollten uns dem Ernst dieser Frage stellen und ihre Berechtigung anerkennen. Es ist ein gefährlicher Spiritualismus, wenn man davon spricht, in den Totenmessen statt der schwarzen Farbe der Trauer die weiße Farbe der Freude zu nehmen und statt des Totenamtes ein Osteramt zu halten. Wenn Christus über den Tod Seines Freundes geweint hat und zutiefst davon betroffen war, brauchen auch wir uns unserer Trauer nicht zu schämen. Dennoch sollte sich die Trauer des Christen von der des Nichtchristen unterscheiden: „Ihr sollt ja nicht trauern wie die anderen, die keine Hoffnung haben“ (1. Thessaloniker 4, 13). Der Trauer über den Tod ist die Sinnlosigkeit und die Hoffnumgslosdgikeiit genommen. Zwar wissen wir meistens nicht, welchen Sinn der Tod eines geliebten Menschen hat. Aber wir dürfen das Vertrauen zu unserem Vater haben, daß Er um den Sinn weiß. Und wir dürfen vor allem die sichere Hoffnung haben, daß wir im kommenden Reich einander wieder begegnen. In der Totenpräfation beten wir: „Wohl drückt das unabänderliche Todeslos uns nieder, allein die Verheißung künftiger Unsterblichkeit richtet uns empor. Deinen Gläubigen, Herr, kann ja das Leben nicht genommen werden, es wird nur neugestaltet“ *

Welche Haltung der Christ eigentlich zu Leben und Tod einnehmen soll, hat uns der heilige Paulus exemplarisch vorgelebt. Er sitzt im Gefängnis in Rom und erwartet sein Urteil. Und in dieser Situation schreibt er an seine Gemeinde in Philippi: „So erwarte ich zuversichtlich und hoffnungsfroh, daß ich durchaus nicht zuschanden werde, sondern auch jetzt wie immer wird sich Christus ganz offensichtlich in meiner Person verherrlichen — es sei nun durch mein Leben oder meinen Tod. Denn Leben ist für mich Christus, und Sterben Gewinn. Gilt es, im Irdischen weiterzuleben, so heißt das für mich: fruchtbar wirken, und dann weiß ich nicht, was ich wählen soll. Nach beiden Seiten zieht es mich: Ich habe Lust, aufzubrechen, um bei Christus zu sein — das wäre ja weitaus das Beste; aber im irdischen Leben zu bleiben, ist um euretwillen nötiger“ (1, 20—24).

Wir dürfen uns als Christen der Freude der Osterbotschaft hingeben. Der Tod hat seine Macht verloren: ..Verschlungen ist der Tod im Sieg! Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“ (1. Korinther 15, 54 f.) Zwar werden wir und unsere Mitmenschen den Tod noch erleiden müssen. Aber wir wissen um das Wort Christi: „Ich lebe, und auch ihr werdet leben!“ (Johannes 14. 19.

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