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Entscheidung…

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Einer Welt, in der das Menschenleben nichts galt, in der Sklavenherden zum Bau von Heerstraßen oder Riesenbauten getrieben, in der unterworfene Völker vernichtet oder verschleppt wurden, einer Welt, die keine Achtung vor dem Nebenmenschen kannte, kündete Christus sein „Liebet einander“. Von da an wußten die Menschen, daß sie wohl in ihren Äußerungen und Lebensumständen verschieden, daß sie im Innersten ihres Wesens aber gleich waren. Mensch sein hieß von nun an Mitmensch sein. Wenn es bisher nur als physische Masse oder Kraft gewertet wurde, so war von nun ab jedes einzelne menschliche Wesen wertvoll, als Mensch, als Seele, als willentlich und verantwortlich handelndes Subjekt. Standes-, Rassen-, Klassenunterschiede waren zu Äußerlichkeiten geworden. Sie bedeuteten Verschiedenheiten der Form, nicht des Inhalts.

Diese in der christlichen Heilslehre begründete, im damaligen Zeitpunkt umstürzend neue Auffassung vom Wesen des Menschen bildete seither die geistige Grundlage der christlichen Kultur. Was in den vergangenen zwei Jahrtausenden bis herauf in unsere Tage an Großem und Umwälzendem geschehen, was an sittlichen und geistigen Werten in unserer Welt Eingang fand, war Abwandlung des einen Satzes, daß die Menschen als Kinder Gottes Brüder siiid. Wir dürfen uns durch die zahlreichen, die Jahrhunderte begleitenden Verirrungen und Kämpfe nicht täuschen lassen. Das Leitmotiv blieb dasselbe, es war das Fundament, auf dem die Menschen unseres Kulturkreises ihre Dome und Staaten bauten. Allen Rückschlägen žum Trotz und durch diese Rückschläge erneut gestärkt, setzte sich mehr und mehr die Erkenntnis durch, daß das Zusammenleben der Menschen zum gemeinsamen Wohl nur auf der Anerkennung des Nebenmenschen als grundsätzlich gleichwertigem und gleichberechtigtem Wesen aufgebaut werden kann. Die sittliche Verantwortlichkeit des einzelnen, die Rücksichtnahme von Mensch zu Mensch, von Volk zu Volk waren wesentliche und notwendige Teile dieses Systems, das im Laufe der Jahrhunderte umkämpft, geläutert und Schritt für Schritt weiterentwickelt wurde.

So sehr wurde diese Geisteshaltung zum geistigen Klima unseres Kulturkreises, zur Selbstverständlichkeit, daß sie im Bewußtsein der Masse den Charakter der Einzigartigkeit, eines schwer erkämpften, stets neu zu erkämpfenden Wertes allmählich verlor. So kam es, daß in uns, mit uns, um uns ein neuer Ungeist wachsen konnte. Die Menschen nahmen die Früchte der Botschaft Christi als tägliches Geschenk. Sie taten weniger und weniger dafür, sich ein Anrecht auf sie zu erwerben. Ein neues Heidentum entstand, das mit der geistigen Grundlage alles in Frage stellte, was auf ihr aufgebaut war. Wieder ward der Mensch zum bloßen Objekt, zum Sklaven, gehetzt, geplagt, geschunden. Freiheit, Menschenwürde, das Recht auf Leben, auf Mitbestimmung seines Schicksals galten nichts mehr. Selbständiges Denken wurde in Propaganda erstickt. Angst, Unsicherheit, Not machten ihn wieder zur unseligen Masse. Da stehen wir heute, erschüttert erkennend, wie viel wir verloren und daß nur das Letzte noch zu verlieren ist.

Die Lehre Christi begann damit, daß sie die Sklaven ihrer Zeit zum Menschen machte. Wir stehen heute neuerlich vor dieser Aufgabe. Wir werden sie nur meistern, wenn wir wieder darangehen, den einzelnen Menschen innerlich zu befreien, das Bewußtsein seiner persönlichen Freiheit und seiner persönlichen sittlichen Pflicht in ihm zu wecken.

Alles, was heute in der Welt geschieht und uns täglich bewegt und in finsteren

Schattenbildern drohend in unserer Nähe vorüberzieht, ist nur aus diesem Ringen unserer Kultur um ihre geistige und materielle Grundlage zu verstehen. Eine Kultur vergeht, sobald sie nicht letzten Einsatzes für wert befunden wird. Mit ihr geben wir aber auch alles preis, woran jene kleinen, armseligen Geister noch hängen, die das Große, das Wesentliche, um das es heute nur mehr geht, nicht sehen wollen. Es ist sinnlos, davonläufen oder sich verstecken zu wollen. Das Bekennen zur Entscheidung ist die Parole der Stunde. Auch im Ringen der Ideen bringt nur Offensive den Sieg.

Freiheit und Ordnung sind These und Antithese im Zusammenleben der Menschen. Wir wissen, daß Freiheit in Willkür und Chaos entartet, wenn die Achtung vor dem Nebenmenschen als gleichberechtigt gleichwertigem Wesen nicht mehr gilt. Dann bleibt nur Zwangsordnung als Ausweg. Die Synthese von Freiheit und Ordnung offenbart sich uns als nur im Bereiche des Sittlichen möglich. Die Menschen müssen begreifen, daß sie nur die Wahl haben zwischen frei und gut sein einerseits und Sklave sein andererseits, wo es dann weder Freiheit noch Güte gibt. Hier ist der Schlüsselpunkt zur sozialen, zur menschlichen Frage.

Wir können das Böse aus der Welt niemals völlig vertreiben, wir glauben aber an das Gute im Menschen und an die menschliche Vernunft. Angesichts der Selbstzerfleischung der Menschheit bleibt uns nur dieser Glaube und der Widerstand gegen alle die Kräfte, die dem Menschen den Willen zum Gutsein rauben, die seine Vernunft verfälschen, ihn auf- und verhetzen, ihn verwirren und blenden — und den Menschen zu Masse verderben. Diesen Mächten gilt die Absage und unser gegnerischer Aktivismus. Gegen die entschlossene Minorität von Machtgierigen und Böswilligen kann sich nur eine ebenso entschlossene Einheit von gutgesinnten und verständigen Menschen behaupten. Die entscheidende Frage lautet: Achtest du die Freiheit, das Leben,- das Recht auf Arbeit und Brot jedes einzelnen deiner Mitmenschen mit jeder praktischen Konsequenz? Siehst du in ihm daf-.dir wesentlich gleichartige, gleichberechtigte Wesen?

Das Ja oder Nein der Antwort auf diese Frage markiert haarscharf den V erlauf der geistigenFront. Jeder muß hier Stellung beziehen in seinem Glauben und Wollen, in sei ne m alltäglichen Tun. Wenn wir doch endlich alle erkennen würden, daß es Aufgabe bedeutet von allem was uns heilig ist, wenn heute noch einer versucht, sich in dem Winkel zu verkriechen, in dem er seinen Kram verstaut hat! Er wird auch dort — gerade dort erreicht von dem Sturm, in dem nur der besteht, der verwurzelt ist mit dem Boden, der ihn physisch und geistig geboren, der standhält und kämpft. Wenn die Mächte der Menschlichkeit und der Liebe in ihrem physischen Kampf vielleicht bereits mit dem Rücken an der Wand stehen, so haben wir in der geistigen Auseinandersetzung noch Bewegungsfreiheit genug. Hier liegt unsere Stärke, in unserem Glauben an Recht und Menschlichkeit, in unserem entschlossenen Willen, mit diesen Gewässern ausgebrannte Steppen wieder zu befruchten. Aber wir werden nur leben, wenn wir, um alles zu gewinnen, alles aufgeben, woran unser Herz noch hängt, wenn wir wieder zum Kreuz ' greifen und so brennend daran glauben, daß unser Glaube die Welt wiedererobern wird.

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