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Entschleierte Gefahr

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Zu den rational letztlich nicht erklärbaren Phänomenen in der Menschheitsgeschichte gehören jene Völkerstürme, die, aus der unendlichen Weite des asiatischen Raumes kommend, immer wieder über Europa dahingebraust sind. Mehr als einmal schien es, als würden sie die abendländische Welt vernichten, bis es, schier in letzter Stunde und wie durch die Kraft eines Wunders, dann doch noch gelang, dem unabwendbar scheinenden Verderben Einhalt zu gebieten. Was zurückblieb, war jenes geheime Grauen vor einer Bedrohung vom Osten her, wie sie beispielsweise, im Verein mit der klaren Erkenntnis und freudigen Bejahung ureigenster kultureller Verantwortlichkeit, die obschon verborgene, doch vielleicht stärkste Triebfeder der französischen Politik durch Generationen gewesen ist. Gewiß hat es auch an Gegenbewegungen m west-östlicher Richtung nicht gefehlt; doch diese gehen, sofern nicht religiöser Enthusiasmus sie beschwingt, kaum über bloße Abwehr hinaus. Nicht gewaltsame Eroberung aus Freude an schrankenloser Expansion ist ihr Ziel, sondern planvolle, am liebsteh friedliche Durchdringung eines darum zumeist nur verhältnismäßig kleinen Raumes, der als Bastion zu dienen bestimmt ist.

Allein wie immer dort, wo der Mensch sich c:n. m als übermächtig erlebten Un-begreifjjiren gegenüberstehend weiß, Furcht und Sehnsucht sich miteinander paaren, so auch hier: man erspürt es, daß jene Ferne Dämonisches und Göttliches zugleich in ihrem Schöße birgt. Das Feuer, das in ihr lodert, hat sich ja nicht nur als zerstörende Macht offenbart; es nährt die hehre Leuchte heiliger Erkenntnis in den Händen der Seher und Weisen. Und fast will es uns bedünken, als ob in dem unablässigen, heißen Begehren, an solchem Wissen Anteil zu gewinnen, ein Gesetz sichtbar werde: wie das Kind aus der Bedrängnis eigenen Unvermögens die Wirklichkeit zu meistern, zu den Eltern flüchtet, um sich bei ihnen Rat zu Holen, so wird die Menschheit nicht müde, ihre Schritte dorthin zu lenken wo einstens ihre Wiege stand, heimzukehren zu den Müttern.

Nur diß auch dieses Gesetz in Christus sein Ende gefunden hat Seit sich in ihm die vordem nur dunkel geahnte Wahrheit des „ex onente lux“ in ihren tiefsten Sinngehalt erschlossen hat, ist denen, die seinen Minien tragen, der Pilerweg zu den Stätten lockender Geheimnisse und nun als trügerisch erkannter Verheißungen verwehrt. Wenn die Kirche sich schon frühzeitig, ja man kann sagen von Anbeginn an in ein Rittgen auf Leben und Tod mit eben diesen relig'/sea Mächten hineingezwungen sah und in den kommenden Jahrhunderten wieder und wieder genötigt war, den Kampf erheut aufzunehmen, so bezeugt dies eindrucksvoll genug die elementare Kraft ihres Gegners. Ist sie auch heute noch ungebrochen?

Erst unlängst war von dem Forum dieser Zeitschrift aus eine ernste Warnung vor der drohenden Gefahr eines Neu-Gnostizismu? zu vernehmen. * Wohl wissen wir uns einverstanden mit der bei dieser Gelegenheit dargebotenen grundsätzlichen Bewertung der verschiedenen religiösweltanschaulichen Strömungen, die um der Gleichartigkeit ihrer Struktur und Ziel' setzung willen als Modifikationen einer und derselben scharf ausgeprägten, von ihrem zentralen Anliegen her sinnvoll als Gnosis zu benennenden Geistes- und Seelenhaltung angesehen werden dürfen Daß ihre Anhänger — ein beträchtlicher Teil von ihnen nach Jahren erzwungenen Stillschwei-gens —( erfüllt von neuem Eifer und mit der begründeten Aussicht, in kleinen Kreisen geistlich heimat -und wurzellos Gewordener Widerhall zu finden, ihre Werbetätigkeit wieder verstärkt aufgenommen haben, kann ebensowenig geleugnet und soll gewiß nicht bagatellisiert werden. Nur glauben wir, daß von Seiten dieses Neu-gnost. iismus eine irgendwie belangvolle Ein-

* Anna Louise Matzka, Neu-Gnostizismus unterwegs. („Furche“ Nr. 44 vom -2. November 1946.)wirkung auf das religiöse Bewußtsein unserer Zeit nicht zu erwarten ist. —-

Was uns zu dieser Annahme bestimmt, ist die Uberzeugung, daß der Orient seine faszinierende Gewalt über die Gemüter weithin eingebüßt hat und sie in absehbarer Zeit wiederzuerlangen kaum imstande sein dürfte. Für eine Entwicklung, wie sie sich in der, seelisch nicht minder als politisch und wirtschaftlich, krisenhaften Zeit nach dem ersten Weltkrieg vollzog, fehlen heute alle Voraussetzungen. Damals meinten Ungezählte voll gläubigen Vertrauens auf die geheimen Segenskräfte einer ers' der Entschleierung harrenden Welt zu der Weisheit des Ostens ihre Zuflucht nehmen zu sollen. Bei manchen unter ihnen mag es nur die bequeme Bereitschaft, auf der von der Mode des Tages vorgezeichneten Bahn dahinzutrotten, gewesen sein, was sie bestimmte, theosophische und anfhropo-sophischc Zirkel mit ihrer Anwesenheit zu beehren, die Erneuerung ihres Lebens vom lebenverneinenden Buddhismus zu erwarten, den Werken eine Rbindranath Tagore kanonisches Ansehen beizumessen oder sich sonst einer geistigen Strömung anheimzugeben, die in ihrer Fremdartigkeit allein schon Tiefe und Reichtum zu verbürgen schien. Die Mehrzahl freilich mußte diesen Weg aus einer inneren Notwendigkeit heraus gehen. Stiefkinder des Glücks der Geborgenheit eines gesicherten Daseins jählings beraubt, von einer dem äkularis-mus verfallenen Epoche mit Steinen statt mit Brot gespeist, entfremdet den Quellen unvergänglichen Lebens, streckten sie ihre Hände sehnsüchtig aus nach dem ihrem verwundeten Herzen dargereichten Labsal.

Um solcher Hingabe willen merkten sie nidit das unheilkündende Flackern der Gestirne, denen sie folgten, und wnn sie je und dann doch seiner gewahr wurden, erschien es ihnen wohl als Sinnbild einer Wahrheit, die sich nicht anders denn in der Vielgestaltigkeit einander widerstreitender Religionen und philosophischer Systeme erschließt —, damit freilich selbst allzu leicht zum Spielzeug des menschlichen Intellekts wird. Unter den Erschütterungen des Zeitgeschehens haltlos und müde geworden, liebäugelte man im stillen, vielleicht ohne es sich selbst recht eingestehen zu wollen, mit einem Denken, das die gegebene Wirklichkeit als Illusion zu begreifen gestattet, der zu entfliehen uns gnädig verwehrt ist.

Seither haben sich einschneidende Wandlungen im geistigen Bewußtsein der abendländischen Nationen nidit zuletzt auch unseres eigenen Volkes, vollzogen. Es kamen die Jahre, in denen bislang bestenfalls treulich gehütete, aber in ihrer entscheidenden Bedeutung für die innere Existenz des Menschen kaum mehr verstandene religiöse Werte sich wieder als lebensmächtig erwiesen. Allgemach beginnt man. zunächst auf dem Wege wissenschaftliche! Neubesinnung, später unter dem überwältigenden Eindruck christlichen Bekennermutes in Verfolgung und Tod, zurückzufinden zum Mysterium des Glaubens. Ihm aber entstammt jener Zug im geistigen Leben der Gegenwart, der, kostbares Unterpfand einer besseren Zukunft, uns inmitten aller Not zu dankerfüllter Hoffnungsfreudigkeit stimmen will: ein Realismus, der die Versuchung zur feigen Flucht in eine nebulose Welt der Spekulation siegreich überwunden hat, und der dieses irdische Sein um so gewisser zu meistern vermag, je deutlicher ihm dessen Hintergründigkeit in der Buße vor dem Angesicht des lebendigen Gottes bewußt geworden ist.

Neu-Gnostizismus unterwegs? Vielleicht war seine große Stunde damals gekommen, als religiöser Verkümmerung entsprossene Resignation bereit war, sich ihm in die Arme zu werfen; heute, dessen sind wir gewiß, ist sie vergangen.

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