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Enttäuschende Zwiesprachen

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Die beiden in der Vorwoche aufgeführ- ten Dramen von Fritz Kortner und Arthur Miller haben etwas gemeinsam: ein Eheprivatissimum wird abgehandelt, bei Kortner als „dialogisierter“, bei Miller als ein sich als Zwiesprache mit einem unsichtbaren Partner tarnender Monolog. Es geht um Gott und die Welt, um Liebe und Tod, um Fragen des Gewissens, der mißbrauchten Macht, der Lüge und des Hasses, um den neuerlichen Versuch, die Vergangenheit zu bewältigen. Bei Kortner nicht nur die jüngste, auch die vergangenen zweitausend Jahre der Christen und Juden.

In seinem Drama „Die Zwiesprache“ läßt Kortner das Ehepaar Mehnert an dessen zehnten Hochzeitstag stundenlang gegenseitig ihre Seelen erforschen, um die ‘‘„Wahrheit“, SW ’ si£r! is nennen, ans Licht zu fördern. Er war Hitlergegner tod’’schöpft jetzt %1s RödhtsariMIU ausgiebig aus dem Geldstrom des Wirtschaftswunders. Der Alternde ist zugleich maßlos eifersüchtig auf seine geliebte Frau, die in erster Ehe mit einem prominenten NS-Funktionär verheiratet war. Rationalist und Skeptiker, möchte der Mann aus ihrem Vorleben ergründen, wie sie es trotz ihres tiefen Glaubens an der Seite des blutordengeschmiickten Ehepartners hatte aushalten können. In diese eheliche Auseinandersetzung dringen ein aus der Emigration heimgekehrter jüdischer Professor und Freund, ein auf Geld versessener Geschäftemacher mit seiner lebenslustig-naiven Frau, ein überspannter Komponist und ein alberneitler Schauspieler. Sie alle treiben teils heitere, teils verbissen ernste Konversation, bis — reichlich kolportagehaft — die Nachricht von einem Lawinenunglück eintrifft, das die Söhne des Hauses (jeder der beiden Partner hat einen aus der ersten Ehe mitgebracht) ereilt haben könnte oder auch nicht. In dieser spannungsgeladenen Ungewißheit wird die eheliche Gewissenerforschung und Entlarvung immer radikaler, so daß der Frau am Ende nichts anderes übrigbleibt als Verzicht und Aufbruch aus dem „Ehebunker“, vielleicht — es bleibt unausgesprochen — als Anfang zu einem neuen Leben.

Gewiß sind die vielen großen und kleinen Anliegen, mit denen der Autor sein Stück überfrachtet hat, sehr ernst zu nehmen. Aber weder verdichtet sich diese reichlich private Ehegeschichte, die zugleich Zeitstück und menschliche Tragödie sein will, zu einer konkreten, dramatisch bewegten Handlung, noch geht der Dialog an den entscheidenden Stellen über ein meist überklug pointiertes An- einander-Vorbeireden der Personen hinaus. Es wuchert nur so von Formulierungen wie: „Einschüchterungsarchitek tur“ der Kirche fürs Beichten, „Glaubensflirten —- Inbrünsteleien — Geschlechtsflegeleien — Deklamationskretin“ und ähnlichem. Worte, viel zu viele Worte eines klugen, allzu mühelos formulierenden Autors (der doch ein bedeutender Schauspieler und ein theaterbesessener Regisseur ist).

Der starke Beifall des Publikums nach der Aufführung im Akademietheater galt vor allem den Schauspielern, die es zuwege brachten, das überladene und eher wirre Stück mit Leben zu erfüllen: an erster Stelle Käthe Gold als Frau und Mutter, deren Seelenregungen sphinxhaft bleiben. Paul Hoffmann, der eifernde, räsonierende, girrende Ehemann, Hans Hinrich als etwas zu nüchtern wirkender Professor, Peter P. Jost als Komponist voll nihilistischem Zynismus, Theo Lingen und Jane Tilden als leibhaftige Karikaturen eines Wohlstandsehepaares,

Ingeborg Gruber als attraktives Hausmädchen, während Andreas Wolj als eitler Mime schon von der Rolle her im dürftigen Klischee steckenbleiben mußte. Regisseur Franz Reichert sorgte umsichtig für Bewegung und Abwechslung in dem dreistündigen Gerede. Das Bühnenbild voll üppiger moderner Innenarchitektur mit Madonna, offenem Kamin, vielen Sitz-, Liege- und Trinkgelegenheiten stammt von Lois Egg.

Arthur Miller ist bei uns vor allem durch seine sozialkritischen Dramen „Hexenjagd“ und „Tod des Handlungsreisenden“ bekannt und den Illustriertenlesern durch seine Ehe mit dem Gesangsund Filmstar Marilyn Monroe vertraut. Miller hatte nach seiner Verehelichung mit dein Hollywoodstat" mnd seit"‘seinem Drama „Ein Blick von der Brücke“ (MSfid 2 keim neues B ihmenwerk- ,raehr zustande gebracht. Die 1957 erschienene Gesamtausgabe seiner Theaterstücke trug noch die schlichte Widmung: „For Marilyn“. Aber die verführerisch-unschuldige Frau von proletarischer Herkunft mußte seinem Intellekt, den Sachlichkeit, nüchterne Wachheit und ungezierte Bescheidenheit auszeichnen, letzten Endes unbegreiflich bleiben. Die kinderlose Ehe wurde denn auch vier Jahre später geschieden; die arme Monroe ging, nachdem sie sich durch Whisky und Drogen zugrunde gerichtet hatte, freiwillig aus dem Leben. Sie hatte die Spannung ihres

Daseins nicht mehr ertragen können. Miller überlebte, und trug seither schwer an einem Schuldgefühl, an dem Tod der Monroe irgendwie mitverantwortlich zu sein. Nach neunjähriger Pause kehrte Miller Anfang dieses Jahres mit einem verblüffenden Werk auf die Bühne zurück. Sein fünftes Schauspiel „Nach dem Sündenfall“ (After the Fall) läuft letzten Endes — man mag es drehen und wenden wie man will — auf eine exhi- bitionistische Schaustellung der Miller- Monroe-Ehe hinaus und auf einen Rechtfertigungsversuch.

Der weit über zwei Stunden ausgedehnte Zweiakter handelt von der Suche eines Mannes namens Quentin nach Wahrheit und nach dem Sinn seines Lebens. Die Reise in die eigene Vergangenheit spielt sich, wie auch im Programm vermerkt, „im Geist, in den Gedanken und in der Erinnerung von Quentin, einem Zeitgenossen“ ab. Der Darsteller des Quentin verläßt denn auch nicht für einen Augenblick die Biihne: immer wieder hängt er auf der Vorderbühne redselig seinen Gedanken nach, um dann, sich vom Publikum lösend, in die verschiedenen Episoden der Erinnerung einzutauchen, was sich in locker gefügten szenischen Rückblenden vollzieht. Alle Fragen tauchen wieder auf, die Miller in seinen früheren Stücken angeschnitten hatte: der Jammer der Familie, hier die keifende Mutter und der zersorgte Vater; die Hexenjagden von einst und gestern, hier die Schwierigkeiten, die Miller und seine Freunde mit dem Kongreßausschuß zur Bekämpfung unamerikanischer Tätigkeit zu bestehen hatten; die wütende, von psychoanalytischer Erkenntnis ge leitete Zergliederung des eigenen Ichs und das zweifache Eheschicksal, vermehrt um ein drittes, neues mit einer ehemaligen, aus Österreich stammenden Photographin, der gegenwärtigen Frau Miller.

Da Miller das Problem des schuldhaften Überlebens als das zentrale Thema des Stückes vorgeschwebt zu haben scheint, leuchtet während der Reise Quentins-Millers durch die eigene Vergangenheit bei den Familienzwisten, bei den schuldhaften Verstrickungen mit den Eltern, den Ehefrauen, den Freunden immer wieder die KZ-Vison in Form eines Wachtturmes im Hintergrund der Szene auf. Gleich zu Beginn wird dieses Leitmotiv bei der Begegnung mit dem Mädchen Holga in Deutschland angeschlagen, aber erst als sein Freund, vom „Komitee“ bedrängt und von ihm feige in Stich gelassen, Selbstmord begeht, begreift Quentin die Schuldgefühle dessen, der mit dem Leben davongekommen ist. Leider aber entgleitet alles wieder in Rhetorik und wird zerredet, statt in Phantasie, in Bilder und Visionen umgesetzt zu werden. Die Sozialkritik war in den früheren Stücken Millers überzeugender, und so manches an dieser Bühnenbeichte wirkt indiskret und peinlich.

Trotz aller dieser grundsätzlichen Einschränkungen konnte das Burgtheater unter der Regie von Rudolf Steinböck, die keinen Wunsch offen ließ, mit einer eindrucksvollen Aufführung (übrigens die Erstaufführung in deutscher Sprache) aufwarten. Lois Egg hatte die mächtige Bühne durch Stufen, Treppen und Podien aufgeteilt, die, ständig wechselnd, sich bald zum intimen Raum verengte, bald das Spiel auf verschiedene Ebenen zugleich verlegte oder in die Ferne rückte. Beleuchtungseffekte und Projektionen sorgten für blitzschnelle Verwandlung. Richard Münch (als Gast) macht in der Riesenrolle des Quentin-Miller den „Aufstieg eines Mannes durch Nacht zum Licht“ erschütternd glaubhaft. Sonja Satter als Maggie, wie die Marilyn in dem Stück heißt, durchlebt alle Phasen ihres Daseins, naiv, vulgär, launisch, liebes- selig und verzweifelt. Annemarie Düringer ist die unglücklich-selbstgerechte erste Frau, Erika Pluhar das deutsche Mädchen, das unter dem Überleben leidet und schließlich die dritte Frau wird, Hilde Wagener die groteske Mutter. Aber auch alle anderen der mehr als ein Dutzend Mitwirkenden boten durchwegs eindringliche Leistungen. Starker Beifall.

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