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Er ist immer noch unterwegs

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Es ist schwer, in abgenützten Menschenworten dem Geheimnis der Freude der Oster- tage gerecht zu werden. Nicht bloß, weil alle Geheimnisse des Evangeliums nur mühsam in die Enge unseres Wesens eindringen und noch schwerer unser Wort sie greift. Die Osterbotschaft ist die menschlichste Kunde des Christentums. Darum verstehen wir sie am schwersten. Denn das Wahrste und Naheliegendste, das Leichteste ist am schwersten zu sein, zu tun und zu glauben. Wir Menschen von heute nämlich leben aus dem unausgesprochenen und darum uns um so selbstverständlicheren Vorurteil, das Religiöse sei bloß eine Sache des inwendigsten Herzens und des höchsten Geistes, die wir allein und selber tun müßten und die darum die Schwierigkeit und Unwirklichkeit der Gedanken und Stimmungen des Herzens habe. Ostern aber sagt: Gott hat etwas getan. Er selbst. Und Seine Tat hat nicht bloß da und dort das Herz eines Menschen leicht berührt, auf daß es leise erzitterte von einem Unsagbaren und Namenlosen. Gott hat Seinen Sohn auferweckt. Gott hat das Fleisch lebendig gemacht. Er hat den Tod besiegt. Er hat dort etwas getan und dort gesiegt, wo es gar nicht auf die bloße Innigkeit des Gemütes ankommt, dort, wo wir ja doch — trotz allen Preisens des Geistes — am wirklichsten wir selber sind, in der Wirklichkeit der Erde, weit weg von allem bloß Gedanklichen und bloß Gesinnungshaften, dort, wo wir erfahren, was wir sind: Kinder der Erde, die sterben.

Kinder dieser Erde sind wir. Geburt und Tod, Leib und Erde, Brot und Wein ist unser Leben; die Erde ist unsere Heimat. Gewiß muß in all dem, damit es gültig sei und schön, wie eine geheime Essenz der Geist beigemischt sein, der feine, zarte, der sehende Geist, der ins Unendliche schaut, und die Seele, die alles lebendig macht und leicht. Aber der Geist und die Seele müssen d a sein. Da, wo wir sind, auf der Erde und im Leib, als der ewige Glanz des Irdischen, nicht wie ein Pilger, der, unverstanden und selber fremd, einmal in einer kurzen Episode wie ein Gespenst über die Bühne der Welt wandert. Wir sind zu sehr Kinder dieser Erde, als daß wir aus ihr einmal endgültig auswandern wollten. Und wenn schon der Himmel sich schenken muß, damit die Erde erträglich sei, dann muß er sich schon herniederneigen und als seliges Licht über dieser bleibenden Erde stehen und als Glanz aus dem dunklen Schoß der Erde selber brechen.

Wir sind von hier. Aber wenn wir der Erde nicht treulos ‘ werden können — nicht aus Eigensinn oder Selbstherrlichkeit, die den Söhnen der demütig-ernsten Mutter Erd nicht anständen, sondern weil wir sein müssen, was wir sind —, dann sind wir in einem damit krank an einem geheimen Schmerz, der tödlich im Innersten unseres irdischen Wesens sitzt. Die Erde, unsere große Mutter, ist selbst bekümmert. Sie stöhnt unter der Vergänglichkeit. Ihre fröhlichsten Fett sind plötzlich wie der Beginn einer Totenfeier, und wenn man ihr Leben hört, zittert man, ob sie nicht im nächsten Augenblick unter einem Gelächter weint. Sie gebiert Kinder, die sterben, die zu schwach sind, um immer zu leben, und zuviel Geist haben, um an spruchslos auf die ewige Freude verzichten zu können, weil sie, anders wie die Tiere der Erde, schon das Ende sehen, bevor es da ist, und ihnen die wache Erfahrung des Endes nicht mitleidig erspart wird. Die Erde gebiert Kinder maßlosen Herzens, und ach, was sie ihnen gibt, ist zu schön, um von ihnen verachtet zu werden, und ist zu arm, um sie — die Unersättlichen — reich zu machen. Und weil sie die Stätte dieses unglücklichen Zwiespalts ist zwischen der großen Verheißung, die nicht losläßt, und der kargen Gabe, die nicht befriedigt, darum wird sie der üppige Acker auch noch der Schuld ihrer Kinder, die ihr mehr zu entreißen suchen, als sie gerecht geben kann. Sie mag klagen, daß sie selbst erst so zwiespältig geworden sei durch die Urschuld des ersten Mannes der Erde, den wir Adam nennen. Aber das ändert nichts daran: sie ist jetzt die unglückliche Mutter; zu lebendig und zu schön, um ihre Kinder von sich wegschicken zu können, damit sie in einer anderen Welt sich selbst eine neue Heimat ewigen Lebens erobern, zu arm, um selbst ihnen als Erfüllung zu geben, was als Seh flau c h t sie ihnen mitgegeben hat. Und meistens bringt sie es, weil sie immer beides ist: Leben und Tod, zu keinem von beiden; und die trübe Mischung, die sie uns reicht, von Leben und Tod, Jauchzen und Klage, schöpferischer Tat und immer gleichem Frohn- dienst, nennen wir unsern Alltag. So sind wir hier auf der Erde, der Heimat für ewig; und doch: es reicht nicht. Das Abenteuer, aus dem Irdischen auszuwandern — nein, das geht nicht, nicht aus Feigheit, sondern aus Treue, die uns das eigene Wesen gebietet.

Was sollen wir tun? Die Botschaft der Auferstehung des Herrn hören! Ist Christus, der Herr, von den Toten auferstanden oder nicht? Wir glauben an seine Auferstehung und also bekennen wir: Er ist gestorben, abgestiegen ins Totenreich und auferstanden am dritten Tag! Aber was heißt das und warum ist es eine Seligpreisung der Kinder der Erde?

Er, der Sohn des Vaters, ist gestorben, der der Menschensohn ist. Er, der zugleich die ewige Fülle der Gottheit, der unbedürftigen, der schrankenlosen und seligen, als das Wort des Vaters vor aller Zeit und das Kind dieser Erde als Sohn der gebenedeiten Mutter ist. Er, der also der Sohn der Erfüllung Gottes und das Kind der Bedürftigkeit der Erde in einem ist, Er ist gestorben. Aber — gestorben heißt nicht wie wir als eigentlich sehr unchristliche Spiritualisten kurzsichtig meinen: Sein Geist und Seine Seele, das Gefäß Seiner ewigen Gottheit, habe sich der Welt und Erde entrungen, sei gewissermaßen in die weite Herrlichkeit Gottes jenseits aller Welt geflüchtet, weil der Leib, der sie der Erde verband, im Tod zerbrochen sei und weil die mörderische Erde gezeigt habe, daß das Kind des ewigen Lichtes keine Heimat in ihrem Dunkel habe finden können. Gestorben, sagen wir und fügen gleich hinzu: abgestiegen ins Totenreich und auferstanden; und damit bekommt das „Gestorbene“ einen ganz anderen als jenen weltflüchtigen Sinn, den wir dem Tod beizulegen versucht sind. Jesus hat selbst gesagt, daß Er hinuntersteigen werde ins Herz der Erde Mt. 12, 40, dorthin, eben in das Herz aller irdischen Dinge,’wo alles verknüpft und eins ist und wo inmitten dieser Einheit der Tod und die Vergeblichkeit sitzt. Dorthin ist Er im Tod hinabgedrungen; Er ließ — heilige List des ewigen Lebens — sich besiegen vom Tod, damit dieser Ihn ins Innerste der Welt hineinverschlinge, damit Er, abgestiegen zu den Müttern und der Wurzelhaften Einheit der Welt, ihr Sein göttliches Leben für immer einstifte. Weil Er gestorben ist, gehört Er erst recht dieser Erde. Denn wenn der Leib eines Menschen in das Grab der Erde gebettet wird, geht der Mensch — die Seele, wie wir sagen —, obwohl er im Tod gottunmittelbar wird, erst recht die endgültige Einheit ein mit jenem geheimnisvollen einen Grund, in den alle raumzeitlichen Dinge zu-:sammengeknüpft sind und wie aus einer Wurzel leben. In dieses Unterste und Tiefste aller Sichtbarkeit ist der Herr im Tod hinabgestiegen. Dort ist jetzt Er und nicht mehr die Vergeblichkeit und der Tod. Im Tod ist Er das Herz der irdischen Welt geworden, göttliches Herz in der Herzmitte der Welt, wo diese noch hinter ihrer Entfaltung in Raum und Zeit ihre Wurzel in die Allmacht Gottes senkt. Aus diesem einen Herzen aller irdischen Dinge, in dem erfüllte Einheit und Nichtigkeit nicht mehr unterscheidbar waren, aus dem ihr ganzes Schicksal quoll, ist Er auferstanden. Auferstanden, nicht um nun schließlich doch von dannen zu gehen, nicht, damit Ihn die Wehen des Todes, die Ihn aufs neue gebären, dem Leben und Lichte Gottes a o schenken, daß Er den dunklen Schoß der Erde selbst hoffnungslos und leer zurücklasse. Er ist ‘ja auferstanden in Seinem Leibe. Das heißt aber: Er hat schon begonnen, sich diese Welt anzuverwandeln. Er hat die Welt für ewig angenommen, Er ist aufs neue geboren als Kind der Erde, aber jetzt der verklärten, der befreiten, der ent- schränkten, der Erde, die in Ihm ewig bestätigt und ewig vom Tode und der Vergeblichkeit erlöst ist. Er ist auferstanden, nicht um zu zeigen, daß Er das Grab der Erde endgültig verlasse, sondern um zu erweisen, daß eben dieses Grab der Toten — der Leib und die Erde — sich endgültig verwandelt hat in das herrliche, unermeßliche Haus des lebendigen Gottes und der gott- erfüllten Seele des Sohnes. Er ist nicht auferstehend ausgezogen aus der Hütte der Erde. Denn Er hat ja noch, ja endgültig und verklärt, den Leib, der ein Stück der Erde ist, ein Stück, das immer noch ihr gehört als ein Teil ihrer Wirklichkeit und ihres Schicksals. Er ist auferstanden, um zu offenbaren, daß durch Seinen Tod das Leben der Freiheit und Seligkeit in die Enge und den Schmerz der Erde, mitten in ihrem Herzen, ewig eingesenkt bleibt.

Was wir Seine Auferstehung nennen und unbedacht als Sein privates Schicksal betrachten, ist nur auf der Oberfläche der ganzen Wirklichkeit das erste Symptom in der Erfahrung dafür, daß hinter der sogenannten Erfahrung die wir so wichtig nehmen alles schon anders geworden ist in der wahren und entscheidenden Tiefe aller Dinge. Seine Auferstehung ist wie das erste Ausbrechen eines Vulkans, das zeigt, daß im Innern der Welt schon das Feuer Gottes brennt, das alles zum seligen Glühen in seinem Lichte bringen wird. Er ist auferstanden, um zu zeigen: es hat schon begonnen. Schon schaffen von der Herzmitte der Welt aus, in die Er sterbend hinabdrang, die neuen Kräfte einer verklärten Erde, schon ist im Innersten aller Wirklichkeit die Vergeblichkeit, die Sünde und der Tod besiegt, und es braucht nur noch die kleine Weile, die wir die Geschichte post Christum natum nennen, bis überall und nicht nur im Leibe Jesu in Erscheinung tritt, was eigentlich schon geschehen ist. Weil Er nicht an den Symptomen der Oberfläche begann, die Welt zu heilen, zu retten und zu verklären, sondern an der innersten Wurzel anfing, meinen wir Wesen der Oberfläche, es sei nichts geschehen. Weil die Wasser des Leidens und der Schuld dort noch fließen, wo wir stehen, wähnen wir, ihre Quellkammern in der Tiefe seien noch nicht versiegt. Weil die Bosheit noch immer neue Runen in das Angesicht der Erde zeichnet, schließen wir, im tiefsten Herzen der Wirklichkeit sei die Liebe gestorben- Aber es ist alles nur Schein. Der Schein, den wir für die Realität des Lebens halten.

Er ist auferstanden, weil Er die innerste Mitte allen irdischen Seins im Tod für ewig erobert und erlöst hat. Und auferstanden hat Er sie behalten. Und so ist Er geblieben. Wenn wir Ihn bekennen als aufgefahren zu den Himmeln Gottes, so ist das nur ein anderes Wort dafür, daß Er uns die Greifbarkeit Seiner verklärten Menschheit eine Weile entzieht, und vor allem dafür, daß kein Abgrund mehr ist zwischen Gott und der Welt. Christus ist schon inmitten all der armen Dinge dieser Erde, die wir nicht Jassen kön- den, weil sie unsere Mutter ist. Er ist im namenlosen Harren aller Kreatur, die, ohne es zu wissen, harrt auf die Teilnahme an der Verklärung seines Leibes. Er ist in der Geschichte der Erde, deren blinder Gang in allen Siegen und allen Abstürzen mit unheimlicher Präzision auf Seinen Tag zusteuert, auf den Tag, an dem Seine Herrlichkeit, alles verwandelnd, aus ihren eigenen Tiefen brechen wird. Er ist in allen Tränen und in allem Tod als der verborgene Jubel und das Leben, das siegt, indem es zu sterben scheint. EristimBettler, dem wir schenken, als der geheime Reichtum, der dem Schenkenden zuteil wird. Er ist in den armseligen Niederlagen Seiner Knechte, als der Sieg, der Gottes allein ist. Er ist in unserer Ohnmacht als die Macht, die schwach zu scheinen sich erlauben darf, weil sie unbesiegbar ist. Er ist selbst noch mitten in der Sünde als das bis zum Ende geduldig bereite Erbarmen der ewigen Liebe. Er ist da als das geheimste Gesetz und die innerste Essenz aller Dinge, die noch triumphiert und sich durchsetzt, wenn alle Ordnungen sich aufzulösen scheinen. Er ist bei uns wie das Licht des Tages und die Luft, die wir nicht beachten, wie das geheime Gesetz einer Bewegung, das wir nicht fassen, weil das Stück dieser Bewegung, das wir selbst erleben, zu kurz ist, um daraus die Bewegungsformel abzulesen. Aber Er ist da, das Herz dieser irdischen Welt und das geheime Siegel ihrer ewigen Gültigkeit.

Darum dürfen wir Kinder dieser Erde sie lieben, müssen sie lieben, selbst dort noch, wo sie schrecklich ist und uns mit ihrer Not und ihrer Todgeweihtheit quält. Denn seit Er in sie eingegangen ist für immer durch Tod und Auferstehung, ist ihr Jammer zur bloßen Vorläufigkeit und zur bloßen Prüfung unseres Glaubens an ihr innerstes Geheimnis geworden, das der Auferstandene ist. Daß dies der geheime Sinn ihrer Not ist, das ist nicht unsere Erfahrung. Wahrlich nicht! Aber unser Glaube! Der Glaube, der selig aller Erfahrung Trotz bietet. Der Glaube, der die Erde lieben kann, weil sie der „Leib“ des Auferstandenen ist oder wird. Wir brauchen sie darum nicht zu lassen. Denn das Leben Gottes wohnt in ihr. Wenn wir den Gott der Unendlichkeit suchen wie könnten wir es lassen? und die vertraute Erde, wie sie ist und wie sie werden soll, um unsere ewig freie Heimat zu sein —: es ist ein Weg zu beiden! Denn in der Auferstehung des Herrn hat Gott gezeigt, daß Er sie für immer angenommen hat. Caro cardo salutis, hat ein alter Kirchenvater in einem unübersetzbaren Wortspiel gesagt: das Fleisch ist der Angelpunkt des Heiles. Das Jenseits aller Not, der Sünde und des Todes ist nicht drüben, es ist herabgestiegen und wohnt in der innersten Wirklichkeit unseres Fleisches. Die sublimste Religiosität der Weltflüchtigkeit würde den Gott unseres Lebens und der Rettung dieser Erde nicht herabholen aus den Fernen Seiner Ewigkeit und käme auch nicht bis zu Ihm in Sein Jenseits. Aber Er ist selbst gekommen zu uns. Und Er hat das verwandelt, was wir sind und was wir doch immer betrachten wollen als den trüben Erdenrest unserer Geistigkeit: das Fleisch. Seitdem gebiert die Mutter Erde nur noch Kinder, die verwandelt werden. Denn Seine Auferstehung ist der Anfang der Auferstehung allen Fleisches.

Eines tut freilich not, damit Seine Tat, die wir nie ungeschehen zu machen vermögen, die Seligkeit unseres Daseins werde. Er muß auch das Grab unseres Herzens sprengen. Er muß aus der Mitte auch unseres Wesens, wo Er ist als die Kraft und die Verheißung, auferstehen. Da ist Er noch unterwegs. Da ist noch Karsamstag bis zum letzten Tag, der das All-Ostern des Kosmos sein wird. Und dieses Auferstehen geschieht unter der Freiheit unseres Glaubens. Es ist auch so Seine Tat. Aber Seine Tat, die geschieht als unsere: als Tat des liebenden Glaubens, die uns hineinnimmt in den ungeheuerlichen Aufbruch aller irdischen Wirklichkeit zu ihrer eigenen Herrlichkeit, der begonnen hat in der Auferstehung Christi.

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