Kästner - © Foto: picturedesk.com  / Ullstein Bild  / Fritz Eschen

Erich Kästner: Ein Beobachter im Auge des ­Orkans

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Seine Bücher wurden von den Nationalsozialisten verbrannt, er emigrierte aber nicht, sondern schrieb in sein „Blaues Buch“. Erich Kästners Tagebücher 75 Jahre nach Kriegsende.

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Seine Bücher wurden von den Nationalsozialisten verbrannt, er emigrierte aber nicht, sondern schrieb in sein „Blaues Buch“. Erich Kästners Tagebücher 75 Jahre nach Kriegsende.

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Blaue Briefe bekommt man nicht gern. Sie signalisieren beispielsweise, dass schulische Leistungen im roten Bereich angekommen sind. Ein „blaues Buch“ ist etwas anderes, auch wenn es durchaus Unerfreuliches für diejenigen enthielte, vor denen es verborgen bleiben sollte und glücklicherweise auch verborgen blieb. Erich Kästner führte während der Zeit des Zweiten Weltkriegs ein Tage- und Notizbuch, das wegen seines blauen Einbandes nun auch im Titel seiner beiden Veröffentlichungen so genannt wird. In einer heute ungebräuchlichen Stenografen-Handschrift verfasst, dauerte es bis zum Erscheinen der Werkausgabe 1998, dass zunächst Auszüge veröffentlicht werden konnten. 2006 folgte eine Edition des Deutschen ­Literaturarchivs Marbach im Rahmen der Nr. 111/112 des Marbacher Magazins, 2018 kam eine erweiterte Neuausgabe im Züricher Atrium-Verlag heraus. Er war 1935 eigens gegründet worden, um Kästners Werke im Ausland weiter verlegen zu können – zumindest bis zum bald darauf erfolgten Berufsverbot des Autors.

Gut vernetzt

Kästner-Kenner wissen, dass der Autor 1933 nicht emigrierte, obwohl seine Bücher zu jenen gehörten, die ins Feuer geworfen wurden. Kästner sah sogar, als er zufällig vorbeikam, die Bücherverbrennung auf dem Berliner Opernplatz mit eigenen Augen. Sven Hanuschek verweist, das Verbleiben in Deutschland betreffend, in seiner Einführung zum vorliegenden Band auf die von Kästner selbst immer wieder ins Spiel gebrachte Begründung, er habe Augenzeuge sein und über die Zeit später einen Roman schreiben wollen, ebenso auf die enge Bindung an die in Dresden ­lebenden Eltern.

Oft gibt es ja auch multikausale Antworten. Vier weitere Gründe könnte man noch anführen. Erstens: Kästner glaubte fälschlicherweise nicht daran, dass die Deutschen so dumm sein und eine solche Regierung lange dulden würden. Zweitens: Seine Fremdsprachenkenntnisse waren mehr als mäßig und er wollte die Grenzen seiner Muttersprache nicht verlassen. Drittens: Kästner stand gerade im Zenit seines jungen Erfolges – 1931 war der Roman „Fabian“ erschienen, das „Spiegelbild einer Generation“ (Hilde Spiel), im selben Jahr kam die auch im Ausland erfolgreiche Verfilmung von „Emil und die Detektive“ ins Kino, noch 1933 erschien „Das fliegende Klassenzimmer“, von anderen sehr erfolgreichen Werken (etwa den vier Lyrikbänden) ganz zu schweigen. Viertens: Kästner war, wie man heute sagen würde, extrem gut vernetzt. Die vielen Kontakte retteten ihm wohl das Leben, nicht nur, wenn man an 1945 denkt: Als Teil einer Filmcrew konnte Kästner mit seiner Lebensgefährtin Luiselotte Enderle im Tiroler Zillertal das Kriegsende erwarten, während die Bomben der Alliierten auch auf seinen Wohnort Berlin fielen. Kästner hätte, trotz Schreibverbots, den Auftrag für das Drehbuch zu dem Ufa-Jubiläumsfilm „Münchhausen“ (1943) nicht bekommen, wenn nicht der Propagandaminis­ter persönlich die Hand über ihn gehalten hätte. Goebbels war wie Kästner promovierter Germanist und wusste trotz ideologischer Vorbehalte Qualität zu schätzen.

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